The Project Gutenberg eBook of Friedrich Nietzsche in seinen Werken, by Lou Andreas-Salomé. (2024)

The Project Gutenberg EBook of Friedrich Nietzsche in seinen Werken, by Lou Andreas-SaloméThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Friedrich Nietzsche in seinen WerkenAuthor: Lou Andreas-SaloméRelease Date: November 22, 2015 [EBook #50525]Language: GermanCharacter set encoding: ISO-8859-1*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH NIETZSCHE IN ***Produced by Marc D'Hooghe at http://www.freeliterature.org

The Project Gutenberg eBook of Friedrich Nietzsche in seinen Werken, by Lou Andreas-Salomé. (1)

IN SEINEN

WERKEN

VON

LOU ANDREAS-SALOMÉ.

MIT 2 BILDERN UND 3 FACSIMILIRTEN BRIEFEN NIETZSCHES.

ZWEITE AUFLAGE.

MOTTO:
NIETZSCHES WAHLSPRUCH:
»Incresc*nt animi, virescit volnere virtus.—«
Furius Antias bei Gellius.

VERLAGSBUCHHANDLUNG CARL KONEGEN
(ERNST STÜLPNAGEL). WIEN 1911.

Nicht Willens mich auseinanderzusetzen, weder mit deminzwischen veröffentlichten Nachlaß Nietzsches, nochmit Andern über Nietzsche, lasse ich diese Schrift inunverändertem (anastatischem) Druck neu auflegen.

Lou Andreas-Salomé.

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Friedrich Nietzsche

IN TREUEM GEDENKEN GEWIDMET

EINEM UNGENANNTEN

INHALTS-VERZEICHNISS.

Sein Wesen
Seine Wandlungen
Das »System Nietzsche«

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F. Nietzsche. Zeichnung: Hans Olde.

Ein Brief Friedrich Nietzsches zum Vorwort.

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(Gedruckter text.)

[Die »Bitte« in der »Fröhlichen Wissenschaft«, auf welche in demvorstehend facsimilirten Briefe Bezug genommen ist, lautet:

»Ich kenne mancher Menschen Sinn
Und weiss nicht, "Wer ich selber bin!
Mein Auge ist mir viel zu nah—
Ich bin nicht, was ich seh und sah.
Ich wollte mir schon besser nützen,
Könnt' ich mir selber ferner sitzen.
Zwar nicht so ferne wie mein Feind!
Zu fern sitzt schon der nächste Freund—
Doch zwischen dem und mir die Mitte!
Errathet ihr, um was ich bitte?«

(Scherz, List und Rache 25.)]

I. ABSCHNITT

SEIN WESEN.

MOTTO:
»Der Mensch mag sich noch so
weit mit seiner Erkenntniss ausrecken,
sich selber noch so objectiv Vorkommen:
zuletzt trägt er doch Nichts davon,
als seine eigene Biographie.«
(Menschliches, Allzumenschliches I. 513.)

»Mihi ipsi scripsi!« ruft Friedrich Nietzsche in seinen Briefenwiederholt nach Vollendung eines Werkes aus. Und gewiss hat es etwaszu bedeuten, wenn der erste lebende Stilist dies von sich selbersagt, er, dem es, wie keinem Zweiten, gelungen ist, für jeden seinerGedanken, und noch für die feinste Schattirung darin, den erschöpfendenAusdruck zu finden. Dem, der Nietzsches Schriften zu lesen weiss, istes denn auch ein verrätherisches Wort: es deutet die Verborgenheitan, in welcher alle seine Gedanken stehen, die lebendige Hülle, diesie vielgestaltig umkleidet, es deutet an, dass er im Grunde nur fürsich dachte, für sich schrieb, weil er nur sich selbst beschrieb, seineignes Selbst in Gedanken umsetzte.

Wenn es überhaupt die Aufgabe des Biographen ist, den Denker durchden Menschen zu erläutern, so gilt dies in ungewöhnlich hohem Massefür Nietzsche, denn bei keinem Andern fallen äusseres Geisteswerk undinneres Lebensbild so völlig in Eins zusammen. Auf ihn trifft es ganzbesonders zu, was er in dem vorangestellten Briefe von den Philosophenüberhaupt ausspricht: dass man ihre Systeme auf die Personalacten ihrerUrheber hin prüfen solle. Später hat er der gleichen Auffassung in denWorten Ausdruck gegeben: »Allmählig hat sich mir herausgestellt, wasjede grosse Philosophie bisher war: nämlich das Selbstbekenntniss ihresUrhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter mémoires.« (Jenseitsvon Gut und Böse 6.)

Dies war denn auch der leitende Gedanke in meinem in dem vorstehendenBriefe erwähnten Entwurf zu einer Charakteristik Nietzsches, denich ihm im October 1882 vorlas und mit ihm durchsprach. Die Arbeitenthielt im Umriss den ersten Theil des vorliegenden Buches undeinzelne Abschnitte des zweiten Theiles,—der Inhalt des dritten, daseigentliche »System Nietzsche« war damals noch nicht geboren. Im Laufeder Jahre erweiterte sich, im Anschlüsse an die rasch aufeinanderfolgenden Werke, jene Charakteristik immer mehr, und Einzelnes darausist bereits in besonderen Aufsätzen veröffentlicht worden.[1] Eshandelte sich für mich ausschliesslich darum, die Hauptzüge vonNietzsches geistiger Eigenart zu schildern, aus denen allein seinePhilosophie und ihre Entwicklung begriffen werden können. Zu diesemZwecke beschränkte ich mich freiwillig sowohl nach der Seite derrein theoretischen Betrachtungsweise, als auch hinsichtlich der reinpersönlichen Lebensbeschreibung. Beides durfte nicht zu weit geführtwerden, wenn die Grundlinien seines Wesens deutlich hervortretensollten. Wer Nietzsche auf seine Bedeutung als Theoretiker hin prüfenwollte, auf das, was etwa die zünftige Philosophie aus ihm zu lernenvermöchte, der würde sich enttäuscht abwenden, ohne zum Kern seinerBedeutung vorzudringen. Denn der Werth seiner Gedanken liegt nichtin ihrer theoretischen Originalität, nicht in dem, was dialektischbegründet oder widerlegt werden kann, sondern durchaus in der intimenGewalt, mit welcher hier eine Persönlichkeit zur Persönlichkeitredet,—in dem, was nach seinem eigenen Ausdruck wohl zu widerlegen,aber doch nicht »todtzumachen« ist. Wer andererseits von Nietzschesäusserem Erleben ausgehen wollte, um sein Inneres zu erfassen, derwürde ebenfalls nur eine leere Schale in der Hand behalten, aus welcherder Geist entwichen ist. Denn man kann von Nietzsche sagen, dass ernach aussen hin eigentlich nichts erlebte:[2] all sein Erleben war einso tief innerliches, dass es sich nur im Gespräch, von Mund zu Mund,und in den Gedanken seiner Werke kundthat. Die Summe von Monologen,aus denen im Wesentlichen seine vielbändigen Aphorismensammlungenbestehen, bilden ein einziges grosses Memoirenwerk, dem seinGeistesbild zu Grunde liegt. Dieses Bild ist es, das ich hier zuzeichnen versuche: das Gedanken-Erlebniss in seiner Bedeutung fürNietzsches Geisteswesen—das Selbstbekenntniss in seiner Philosophie.

Obgleich Nietzsche seit einigen Jahren häufiger genannt wird als irgendein anderer Denker, obgleich viele Federn damit beschäftigt sind,theils Jünger für ihn zu werben, theils gegen ihn zu polemisiren, soist er doch in den Grundzügen seiner geistigen Individualität nahezuunbekannt geblieben. Denn seitdem die kleine, zerstreute Schaar seinerLeser, die er stets besass, und die ihn wahrhaft zu lesen verstand,zu einer grossen Schaar von Anhängern angewachsen ist, seitdem weiteKreise sich seiner bemächtigt haben, ist ihm das Schicksal widerfahren,welches jedem Aphoristiker droht; einzelne seiner Ideen, aus demZusammenhang gelöst und dadurch beliebig deutbar, sind zu Stich- undSchlagworten ganzer Richtungen gemacht worden, erklingen im Kampf vonMeinungen, im Streit von Parteien, denen er selbst völlig fern stand.Wohl verdankt er diesem Umstand seinen raschen Ruhm, den plötzlichenLärm um seinen stillen Namen,—aber im Besten, durchaus Einzigartigenund Unvergleichlichen, das er zu geben hat, ist er dadurch vielleichtübersehen worden und unbeachtet geblieben,—ja in eine vielleicht nochtiefere Verborgenheit zurückgetreten als vorher. Viele feiern ihnzwar noch laut, mit der ganzen Naivetät gläubiger Kritiklosigkeit,doch gerade sie gemahnen unwillkürlich an sein bitteres Wort: DerEnttäuschte spricht: »Ich horchte auf Widerhall, und ich. hörte nurLob—« (Jenseits von Gut und Böse 99). Kaum Einer von ihnen ist ihmwahrhaft nachgegangen,—fernab von den Andern und ihrem Tagesstreitund allein in der Ergriffenheit seines eigenen Innern; kaum Einer hatdiesen einsamen, schwer ergründlichen, heimlichen und auch unheimlichenGeist begleitet, der Ungeheures zu tragen wähnte und an einemungeheuren Wahn zusammenbrach.

Daher ist es, als stände er da inmitten derer, die ihn am meistenpreisen, wie ein Fremdling und Einsiedler, dessen Fuss sich in ihrenKreis nur verirrte, und von dessen verhüllter Gestalt Keiner den Mantelgehoben,—ja, als stände er da mit der Klage seines »Zarathustra« aufden Lippen:

»Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends ums Feuer sitzen,aber Niemand—denkt an mich! Dies ist die neue Stille, dieich lernte: ihr Lärm um mich breitet einen Mantel um meineGedanken.«

Friedrich Wilhelm Nietzsche ist am 15. October 1844 als dereinzige Sohn eines Predigers in Röcken bei Lützen geboren, von wosein Vater später nach Naumburg versetzt wurde. Seine Schulbildungempfing er in der nahegelegenen Schulpforta und ging dann als Studentder classischen Philologie an die Universität Bonn, wo damals derberühmte Philologe Ritschl lehrte. Er studirte fast ausschliesslichunter Ritschl, verkehrte auch persönlich viel mit ihm und folgte ihmim Herbst 1865 nach Leipzig. In seine Leipziger Studienzeit fälltNietzsches erste persönliche Beziehung zu Richard Wagner, den er1868 im Hause von dessen Schwester, der Frau Prof. Brockhaus, kennenlernte, nachdem er sich schon früher mit seinen Werken vertrautgemacht. Noch vor seiner Promotion berief 1869 die UniversitätBasel den 24jährigen Nietzsche auf den Lehrstuhl des PhilologenKiessling, der von dort an das Johanneum in Hamburg ging. Nietzscheerhielt erst eine ausserordentliche, kurz darauf eine ordentlicheProfessur für classische Philologie, und die Universität Leipzigverlieh ihm den Doctorgrad ohne vorhergehende Promotion. Neben seinenUniversitätscollegien übernahm er den Unterricht des Griechischenin der dritten (höchsten) Classe des Baseler Pädagogiums,—einerMittelanstalt zwischen Gymnasium und Universität,—an welcher nochandere Universitätsprofessoren, wie der Culturhistoriker JacobBurckhardt und der Philologe Mähly, lehrten. Hier gewann er grossenEinfluss auf seine Schüler; sein seltnes Talent, junge Geister ansich zu fesseln und entwickelnd, anregend auf sie zu wirken, kam zuvoller Geltung. Burckhardt sagte damals von ihm: einen solchen Lehrerhabe Basel noch niemals besessen. Burckhardt gehörte zum engstenFreundeskreise Nietzsches, zu dem noch der Kirchenhistoriker FranzOverbeck und der Kantphilosoph Heinrich Romundt zählten. Mit denbeiden Letztem wohnte Nietzsche zusammen in einem Hause, welches nachVeröffentlichung der »Unzeitgemässen Betrachtungen« in der BaselerGesellschaft den Beinamen: »Die Gifthütte« erhielt. Gegen Schlussseines Baseler Aufenthalts lebte Nietzsche eine Zeit lang mit seinereinzigen, fast gleichaltrigen Schwester Elisabeth zusammen, die späterseinen Jugendfreund Bernhard Förster heiratete und mit diesem nachParaguay ging. 1870 machte Nietzsche den deutschfranzösischen Krieg alsfreiwilliger Krankenpfleger mit; nicht lange darauf traten die erstendrohenden Anzeichen eines Kopfleidens hervor, das sich in periodischwiederkehrenden heftigen Schmerzen und Uebelkeiten äusserte. Willman Nietzsches eigenen, mündlichen Aeusserungen Glauben schenken,so war dieses Leiden erblicher Natur, und ist sein Vater demselbenerlegen. Neujahr 1876 fühlte er sich bereits so köpf- und augenkrank,dass er sich im Pädagogium vertreten lassen musste, und von da abverschlimmerte sich sein Zustand derartig, dass er mehrere Male demTode nahe war.

»Ein paar Mal den Pforten des Todes entwischt, aber fürchterlichgequält,—so lebe ich von Tag zu Tage; jeder Tag hat seineKrankengeschichte.« Mit diesen Worten schildert Nietzsche in einemBriefe an einen Freund die Leiden, unter welchen er ungefähr 15 Jahrezugebracht hat.

Umsonst verlebte er den Winter 1876-1877 in dem milden Klima vonSorrent, wo er sich in Gesellschaft einiger Freunde befand: von Romwar seine langjährige Freundin Malwida von Meysenbug (Verfasserinder bekannten »Memoiren einer Idealistin« und Anhängerin R. Wagners)zu ihm gekommen; von Westpreussen Dr. Paul Rée, mit dem ihn schondamals Freundschaft und Gleichheit der Bestrebungen-verband. Demkleinen gemeinschaftlichen Hauswesen hatte sich auch noch ein jungerbrustkranker Baseler, Namens Brenner, zugesellt, der jedoch bald daraufstarb. Als auch der Aufenthalt im Süden ohne günstige Wirkung auf seineSchmerzen blieb, gab Nietzsche 1878 seine Lehrthätigkeit am Pädagogiumund 1879 seine Professur an der Universität endgiltig auf. Seitdemführte er nur noch ein Einsiedlerleben, theils in Italien—meistens inGenua—theils im Schweizer Gebirge, namentlich in dem kleinen EngadinerDorfe Sils-Maria, unweit des Maloja-Passes.

Sein äusserer Lebenslauf erscheint damit abgeschlossen und gleichsambeendet, während sein Denkerleben erst jetzt recht eigentlich beginnt:so dass uns der Denker Nietzsche, mit dem wir uns zu beschäftigenhaben, erst am Ausgang dieser Lebensereignisse vollkommen deutlichentgegentritt. Trotzdem werden wir auf alle Schicksalswendungen undErlebnisse, die hier nur kurz skizzirt worden sind, bei Gelegenheitder verschiedenen Perioden seiner Geistesentwicklung noch ausführlicherzurückkommen müssen. Sein Leben und Schaffen zerfällt in der Hauptsachein drei ineinander übergreifende Perioden, die je ein Jahrzehntumfassen:

Zehn Jahre, 1869-1879, dauerte Nietzsches Lehrthätigkeit in Basel;diese philologische Wirksamkeit fällt der Zeit nach fast völligzusammen mit dem Jahrzehnt seiner Jüngerschaft Wagner gegenüber undmit der Veröffentlichung derjenigen Werke, welche von der MetaphysikSchopenhauers beeinflusst sind: sie währte von 1868 bis 1878, inwelchem Jahre er zum Zeichen seiner philosophischen SinnesänderungWagner sein positivistisches Erstlingswerk: »Menschliches,Allzumenschliches« übersandte.

Seit dem Anfang der Siebzigerjahre bestand seine Verbindung mit PaulRée, die im Herbst 1882 ihren Abschluss fand,—gleichzeitig mit derVollendung der »Fröhlichen Wissenschaft«, des letzten derjenigen WerkeNietzsches, die noch auf positivistischer Grundlage ruhen.

Im Herbst 1882 fasste Nietzsche den Entschluss, sich zehn Jahrelang aller schriftstellerischen Thätigkeit zu enthalten. In dieserZeit tiefsten Schweigens wollte er seine neue, dem Mystischen sichzuwendende Philosophie auf ihre Richtigkeit prüfen und dann 1892 alsihr Verkündiger auftreten. Diesen Vorsatz hat er nicht ausgeführt,sondern gerade in den Achtzigerjahren eine fast ununterbrocheneProductivität entfaltet und ist dann noch vor Ablauf des von ihmangesetzten Jahrzehntes verstummt: 1889 setzte ein gewaltsamer Ausbruchseines Kopfleidens plötzlich aller weiteren Geistesarbeit ein Ziel.

Der Zeitraum aber zwischen der Niederlegung seiner Baseler Professurund dem Aufhören aller geistigen Thätigkeit überhaupt umfasst wiederumein Jahrzehnt, die Zeit von 1879-1889. Seitdem lebt Nietzsche alsKranker, nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der Anstalt vonProfessor Binswanger in Jena, bei seiner Mutter in Naumburg.

Die beiden diesem Buche beigegebenen Bilder zeigen Nietzscheinmitten dieser letzten zehn Leidensjahre. Und gewiss ist dies dieZeit gewesen, in welcher seine Physiognomie, sein ganzes Aeussere,am charakteristischesten ausgeprägt erschien: die Zeit, in welcherder Gesammtausdruck seines Wesens bereits völlig vom tief bewegtenInnenleben durchdrungen war, und selbst noch in dem bezeichnend blieb,was er zurückhielt und verbarg. Ich möchte sagen: dieses Verborgene,die Ahnung einer verschwiegenen Einsamkeit,—das war der erste, starkeEindruck, durch den Nietzsches Erscheinung fesselte. Dem flüchtigenBeschauer bot sie nichts Auffallendes; der mittelgrosse Mann in seinerüberaus einfachen, aber auch überaus sorgfältigen Kleidung, mitden ruhigen Zügen und dem schlicht zurückgestrichenen braunen Haarkonnte leicht übersehen werden. Die feinen, höchst ausdrucksvollenMundlinien wurden durch einen vornübergekämmten grossen Schnurrbartfast völlig verdeckt; er hatte ein leises Lachen, eine geräuschloseArt zu sprechen und einen vorsichtigen, nachdenklichen Gang, wobeier sich ein wenig in den Schultern beugte; man konnte sich schwerdiese Gestalt inmitten einer Menschenmenge vorstellen,—sie trug dasGepräge des Abseitsstehens, des Alleinstehens. Unvergleichlich schönund edel geformt, so dass sie den Blick unwillkürlich auf sich zogen,waren an Nietzsche die Hände, von denen er selbst glaubte, dass sieseinen Geist verriethen,—eine darauf zielende Bemerkung findet sich in»Jenseits von Gut und Böse« (288): »Es giebt Menschen, welche auf eineunvermeidliche Weise Geist haben, sie mögen sich drehen und wenden,wie sie wollen, und die Hände vor die verrätherischen Augen halten—als ob die Hand kein Verräther wäre!—.«[3]

Wahrhaft verrätherisch sprachen auch die Augen. Halbblind, besassensie dennoch nichts vom Spähenden, Blinzelnden, ungewollt Zudringlichenvieler Kurzsichtigen; vielmehr sahen sie aus wie Hüter und Bewahrereigener Schätze, stummer Geheimnisse, die kein unberufener Blickstreifen sollte. Das mangelhafte Sehen gab seinen Zügen eine ganzbesondere Art von Zauber dadurch, dass sie, anstatt wechselnde, äussereEindrücke wiederzuspiegeln, nur das Wiedergaben, was durch sein Innereszog. In das Innere blickten diese Augen und zugleich,—weit über dienächsten Gegenstände hinweg,—in die Ferne, oder besser: in das Innerewie in eine Ferne. Denn im Grunde war seine ganze Denkerforschungnichts als ein Durchforschen der Menschenseele nach unentdecktenWelten, nach »ihren noch unausgetrunkenen Möglichkeiten« (Jenseitsvon Gut und Böse 45), die er sich rastlos schuf und umschuf. Wenn ersich einmal gab, wie er war, im Bann eines ihn erregenden Gesprächs zuZweien, dann konnte in seine Augen ein ergreifendes Leuchten kommenund schwinden;—wenn er aber in finsterer Stimmung war, dann sprachdie Einsamkeit düster, beinahe drohend aus ihnen, wie aus unheimlichenTiefen,—aus jenen Tiefen, in denen er immer allein blieb, die ermit Niemandem theilen konnte, vor denen ihn selbst bisweilen Grauenerfasste,—und in die sein Geist zuletzt versank.

Einen ähnlichen Eindruck des Verborgenen und Verschwiegenen machteauch Nietzsches Benehmen. Im gewöhnlichen Leben war er von grosserHöflichkeit und einer fast weiblichen Milde, von einem stetigen,wohlwollenden Gleichmuth,—er hatte Freude an den vornehmen Formen imUmgang und hielt viel auf sie. Immer aber lag darin eine Freude ander Verkleidung,—Mantel und Maske für ein fast nie entblösstesInnenleben. Ich erinnere mich, dass, als ich Nietzsche zum erstenMale sprach,—es war an einem Frühlingstage in der Peterskirchezu Rom,—während der ersten Minuten das gesucht Formvolle an ihmmich frappirte und täuschte. Aber nicht lange täuschte es an diesemEinsamen, der seine Maske doch nur so ungewandt trug, wie Jemand, deraus Wüste und Gebirge kommt, den Rock der Allerweltsleute trägt; sehrbald tauchte die Frage auf, die er selbst in die Worte zusammengefassthat: »Bei Allem, was ein Mensch sichtbar werden lässt, kann manfragen: was soll es verbergen? Wovon soll es den Blick ablenken?Welches Vorurtheil soll es erregen? Und dann noch: bis wie weit gehtdie Feinheit dieser Verstellung? Und worin vergreift er sich dabei?«

Dieser Zug stellt nur die Kehrseite der Einsamkeit dar, aus welcherNietzsches Innenleben ganz herausbegriffen werden muss,—einer sichstetig steigernden Selbstvereinsamung und Selbstbeziehung auf sich.

In dem Maasse, als sie zunimmt, wird alles nach Aussen gewandte Seinzum Schein,—zum blossen täuschenden Schleier, den die Einsamkeitstiefenur um sich webt, um zeitweilig für Menschenaugen erkennbare Oberflächezu werden. »Tiefdenkende Menschen kommen sich im Verkehr mit Andern alsKomödianten vor, weil sie sich da, um verstanden zu werden, immer ersteine Oberfläche anheucheln müssen.« (Menschliches, AllzumenschlichesII 232). Ja, man kann selbst Nietzsches Gedanken, sofern sie sichtheoretisch aussprechen, noch mit zu dieser Oberfläche rechnen, hinterder, abgründig tief und stumm, das innere Erleben ruht, dem sieentstiegen sind. Sie gleichen einer »Haut, welche Etwas verräth, abernoch mehr verbirgt« (Jenseits von Gut und Böse 32); »denn«, sagt er»entweder verstecke man seine Meinungen, oder man verstecke sich hinterseine Meinungen« (Menschliches, Allzumenschliches II 338). Er findeteine schöne Bezeichnung für sich selbst, wenn er in diesem Sinne vonden »Verborgenen unter den Mänteln des Lichts« redet (Jenseits von Gutund Böse 44),—von denen, die sich in ihre Gedankenklarheit verhüllen.

In jeder Periode seiner Geistesentwicklung finden wir daher Nietzschein irgend einer Art und Form der Maskirung, und immer ist sie es,welche die jeweilige Entwicklungsstufe recht eigentlich charakterisirt.»Alles, was tief ist, liebt die Maske.... Jeder tiefe Geist brauchteine Maske: mehr noch, um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eineMaske« (Jenseits von Gut und Böse 40).

»Wanderer, wer bist Du?... Ruhe Dich hier aus ... erholeDich!... Was dient Dir zur Erholung?...« »Zur Erholung? ZurErholung? Oh du Neugieriger, was sprichst du da! Aber gieb mir, ichbitte....« »Was? Was? sprich es aus!—»Eine Maske mehr! Eine zweiteMaske!...« (Jenseits von Gut und Böse 278).

Und zwar wird es sich uns aufdrängen, dass in dem Grade, alsseine Selbstvereinsamung und grüblerische Selbstbeziehung aufsich ausschliesslicher wird, auch die Bedeutung der jedesmaligenVerkleidung eine tiefere wird, und das wirkliche Wesen hinter seinerAeusserungsform, das wirkliche Sein hinter dem vorgehaltenen Scheinimmer weniger sichtbar zurückweicht. Schon in »Der Wanderer und seinSchatten« (175) weist er auf die »Mediocrität als Maske« hin. »DieMediocrität ist die glücklichste Maske, die der überlegene Geisttragen kann, weil sie die grosse Menge, das heisst die Mediocren,nicht an Maskirung denken lässt— und doch nimmt er sie geradeihretwegen vor,—um sie nicht zu reizen, ja nicht selten aus Mitleidund Güte.« Von dieser Maske des Harmlosen an wechselt er sie bis zuder des Grauenhaften, die noch Grauenhafteres hinter sich verbirgt:»—bisweilen ist die Narrheit selbst die Maske für ein unseliges allzugewisses Wissen.« (Jenseits von Gut und Böse 270),—und endlich bis zueinem täuschenden Lichtbild des göttlich Lachenden, das den Schmerzin Schönheit zu verklären strebt. So ist Nietzsche innerhalb seinerletzten philosophischen Mystik allmälig in jene letzte Einsamkeitversunken, in deren Stille wir ihm nicht mehr folgen können, die unsnur noch, wie Symbole und Wahrzeichen, seine lachenden Gedankenmaskenund deren Deutung übrig lässt, während er für uns bereits zu demgeworden ist, als den er sich einmal in einem Briefe unterschreibt:»Der auf ewig Abhandengekommene.« (Brief vom 8. Juli 1881 ausSils-Maria.)

Dieses innere Alleinsein, diese Einsamkeit ist in allen WandlungenNietzsches der unveränderliche Rahmen, aus welchem sein Bild unsanschaut. Mag er sich verkleidet haben, wie er will,—immer trägter »die Einöde und den heiligen unbetretbaren Grenzbezirk mit sich,wohin er auch gehe«. (Der Wanderer und sein Schatten 387.) Und esdrückt daher auch nur das Bedürfniss aus, dass das äussere Daseinseiner einsamen Innerlichkeit entsprechen möge, wenn er einem Freundeschreibt: (Am 31 October 1880 aus Italien.)

»Als Recept, sowie als natürliche Passion erscheint mir immerdeutlicher die Einsamkeit und zwar die vollkommene,—und den Zustand,in dem wir unser Bestes schaffen können, muss man hersteilen und vieleOpfer dafür bringen können.«

Den zwingenden Anlass aber, sein inneres Alleinsein so vollkommen wiemöglich zu einem äusseren zu machen, bot ihm erst sein körperlichesLeiden, welches ihn von den Menschen forttrieb und selbst den Verkehrmit einzelnen seiner Freunde,—immer einen seltenen Verkehr zuZweien,—nur mit grossen Unterbrechungen möglich machte.

Leiden und Einsamkeit,—das sind also die beiden grossen Schicksalszügein Nietzsches Entwicklungsgeschichte, immer stärker ausgeprägt,je näher man dem Ende kommt. Und sie tragen bis an das Ende jeneswundersame Doppelgesicht, welches sie als ein äusserlich gegebenesLebenslos, und zugleich als eine rein psychisch bedingte, einegewollte innere Nothwendigkeit erscheinen lassen. Auch seinphysisches Leiden, nicht minder als seine Verborgenheit und Einsamkeit,reflectirte und symbolisirte etwas Tiefinnerliches—und dies sounmittelbar, dass er es auch in seine äussere Schickung aufnahm wieeinen ihm zugedachten ernsten Freund und Wegegenossen. So schreibt ereinmal bei Gelegenheit einer Beileidsäusserung (Ende August 1881 ausSils-Maria): »Es jammert mich immer zu hören, dass Sie leiden, dassIhnen irgend etwas fehlt, dass Sie Jemanden verloren haben: während beimir Leiden und Entbehrung zur Sache gehören und nicht, wie bei Ihnen,zum Unnöthigen und zur Unvernunft des Daseins.«

Hierauf beziehen sich die einzelnen, in seinen Werken zerstreutenAphorismen über den Werth des Leidens für die Erkenntniss.

Er schildert den Einfluss der Stimmungen des Kranken und desGenesenden auf das Denken, er begleitet die feinsten Uebergängesolcher Stimmungen bis ins Geistigste hinauf. Eine periodischwiederkehrende Erkrankung, wie die seinige es war, scheidet beständigeine Lebensperiode, und damit auch eine Gedankenperiode von dervorhergehenden. Sie gibt durch dieses Doppeldasein die Erfahrungenund das Bewusstsein zweier Wesenheiten. Sie lässt alle Dinge immerwieder auch dem Geiste neu werden,—»neu schmecken« nennt er eseinmal höchst treffend,—und setzt ganz neue Augen auch noch für dasGewohnteste, Alltäglichste ein. Ein Jegliches erhält etwas von derFrische und dem lichten Thau der Morgenschönheit, weil eine Nachtes vom vorhergehenden Tage getrennt hat. So wird jede Genesung ihmzu einer Palingenesis seiner selbst und darin zugleich des Lebens umihn,—und immer wieder ist der Schmerz »verschlungen in den Sieg«.

Deutet Nietzsche es schon selbst an, dass die Natur seines physischenLeidens sich gewissermassen in seinen Gedanken und Werken widerspiegle,so springt der enge Zusammenhang von Denken und Leiden noch auffälligerhervor, wenn man sein Schaffen und dessen Entwicklung als Ganzesbetrachtet. Man steht nicht jenen allmäligen Veränderungen desGeisteslebens gegenüber, wie sie ein Jeder durchmacht, der seinernatürlichen Grösse entgegenwächst,— nicht den Wandlungen desWachsthums: sondern einem jähen Wandel und Wechsel, einem fastrhythmischen Auf und Nieder von Geisteszuständen, die letzten Grundesnichts Anderem zu entspringen scheinen, als einem Erkranken anGedanken und einem Genesen an Gedanken.

Nur aus der innersten Bedürftigkeit seiner ganzen Natur, nur ausdem quälendsten Heilungsverlangen heraus erschliessen sich ihm neueErkenntnisse. Kaum aber ist er völlig in ihnen aufgegangen, kaum hater an ihnen ausgeruht und sie seiner eignen Kraft assimilirt,—daergreift es ihn auch schon wieder wie ein neues Fieber, etwas wie einunruhig drängender Ueberschuss an innerer Energie, der zuletzt seinenStachel gegen ihn selbst kehrt und ihn an sich selber erkranken lässt.»Das Zuviel von Kraft erst ist der Beweis der Kraft», sagt Nietzscheim Vorwort zur Götzen-Dämmerung (s. I);—in diesem Zuviel thut seineKraft sich Schmerzen an, tobt sie sich aus in leidvollen Kämpfen,reizt sich auf zu den Qualen und Erschütterungen, an denen sein Geistfruchtbar werden will.[4] Mit der stolzen Behauptung: »Was mich nichtumbringt, macht mich stärker!« (Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile 8)geisselt er sich,—nicht bis zum Umbringen, nicht bis zum Tode, abereben bis zu jenen Fiebern und Verwundungen, deren er bedarf. DiesesSchmerzheischende zieht sich durch die ganze EntwicklungsgeschichteNietzsches als die eigentliche Geistesquelle in ihr; er spricht esam treffendsten in den Worten aus: »Geist ist das Leben, das selberins Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt es sich das eigneWissen,—wusstet ihr das schon? Und des Geistes Glück ist dies: gesalbtzu sein und durch Thränen geweiht zum Opferthier,— wusstet ihr dasschon?... Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambossnicht, der er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers!« (Alsosprach Zarathustra II 33.) »Jene Spannung der Seele im Unglück,...ihre Schauer im Anblick des grossen Zügrundegehens, ihreErfindsamkeit und Tapferkeit im Tragen, Ausharren, Ausdeuten, Ausnützendes Unglücks, und was ihr nur je von Tiefe, Geheimniss, Maske, Geist,List, Grösse geschenkt worden ist:—ist es nicht ihr unter Leiden,unter der Zucht des grossen Leidens geschenkt worden?« (Jenseits vonGut und Böse 225.)

Und immer wieder tritt Zweierlei an diesem Vorgang besonders auffällighervor: Einmal der enge Zusammenhang von Gedankenleben und Seelenlebenin seinem Wesen, die Abhängigkeit seines Geistes von den Bedürfnissenund Erregungen seines Innern. Dann aber die Eigenthümlichkeit, dass ausdieser so engen Zusammengehörigkeit sich immer von Neuem Leiden ergebenmüssen; jedesmal bedarf es einer höhen Gluth der Seele, wo es zuhöchster Klarheit, zu hellem Licht der Erkenntniss kommen soll,—abernie darf diese Gluth in wohlthuender Wärme ausströmen, sondern mussverwunden mit sengenden Feuern und brennenden Flammen: auch hiergehört,—wie er es in dem oben angeführten Briefe ausdrückt,—»dasLeiden zur Sache«.

Wie Nietzsches körperliches Leiden der Anlass zu seiner äusserenVereinsamung wurde, so muss auch in seinem psychischen Leidenszustandeiner der tiefsten Gründe gesucht werden für seinen scharf zugespitztenIndividualismus, für die strenge Betonung des »Einzelnen« alsdes »Einsamen« in Nietzsches besonderem Sinn. Die Geschichte des»Einzelnen« ist durchaus eine Leidensgeschichte und nicht irgendwelchem allgemeinen Individualismus zu vergleichen,—ihr Inhalt lautetviel weniger: »Selbstgenügsamkeit« als: »Selbsterduldung«.Betrachtetman das leidensvolle Auf und Nieder seiner Geisteswandlungen, dannliest man die Geschichte eben so vieler Selbstverwundungen, und esverbirgt einen langen, schmerzlichen Heldenkampf mit sich selbst, wennNietzsche über seine Philosophie die kühnen Worte setzt: »Dieser Denkerbraucht Niemanden, der ihn widerlegt: er genügt sich dazu selber!« (DerWanderer und sein Schatten 249.)

Seine ausserordentliche Fähigkeit, sich immer wieder in die härtesteSelbstüberwindung einzuleben, in jeder neuen Erkenntniss immer wiederheimisch zu werden, scheint nur da zu sein, um die Trennung vomNeuerrungenen jedesmal um so erschütternder zu gestalten. »Ich komme!brich Deine Hütte ab und wandre mir entgegen!« gebietet ihm der Geist,und mit trotziger Hand macht er sich selbst obdachlos und sucht vonNeuem das Dunkel, das Abenteuer und die Wüste auf mit der Klage aufden Lippen: »Ich muss den Fuss weiter heben, diesen müden, verwundetenFuss: und weil ich muss, so habe ich oft für das Schönste, das michnicht halten konnte, einen grimmigen Rückblick,—weil es mich nichthalten konnte!« (Fröhliche Wissenschaft 309.) Sobald ihm in einerAnschauungsweise wahrhaft wohl geworden ist, erfüllt sich an ihm selbstsein Wort: »Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbehinaus.« (Jenseits von Gut und Böse 73.)[5]

Der Meinungswechsel, der Wandlungsdrang stecken daher derPhilosophie Nietzsches tief im Herzen, sie sind durchaus bestimmend fürdie Art seines Erkennens. Nicht umsonst nennt er sich im Schlussliedvon »Jenseits von Gut und Böse« einen: »Ringer, der zu oft sich selbstbezwungen,—Zu oft sich gegen eigne Kraft gestemmt.... Durch eignenSieg verwundet und gehemmt.«

Im Heroismus der Bereitwilligkeit, die eigne Ueberzeugung preiszugeben,nimmt dieser Drang in seinem Innern geradezu die Stelle derUeberzeugungstreue[6] ein. »Wir würden uns für unsere Meinungennicht verbrennen lassen:« heisst es in Der Wanderer und sein Schatten(333), »wir sind ihrer nicht so sicher. Aber vielleicht dafür, dasswir unsere Meinungen haben dürfen und ändern dürfen.« Und in derMorgenröthe (370) spricht sich diese Gesinnung in den schönen Wortenaus: »Nie etwas zurückhalten oder Dir verschweigen, was gegen DeinenGedanken gedacht werden kann. Gelobe es Dir! Es gehört zur erstenRedlichkeit des Denkens. Du musst jeden Tag auch Deinen Feldzuggegen Dich selber führen. Ein Sieg und eine eroberte Schanze sindnicht mehr Deine Angelegenheit, sondern die der Wahrheit,—aber auchDeine Niederlage ist nicht mehr Deine Angelegenheit!« Darüber stehtals Titel: »Inwiefern der Denker seinen Feind liebt.« Aber dieseFeindesliebe entspringt der dunklen Ahnung, dass im Feind ein künftigerGenosse verborgen sein könne, und dass nur des Unterliegenden neueSiege harren: sie entspringt der Ahnung, dass für ihn der stetsgleiche, schmerzliche Seelenprocess der Selbstverwandlung unumgänglicheBedingung aller Schaffenskraft sei. »Der Geist ist es, der unsrettet, dass wir nicht ganz verglühen und verkohlen.... Vom Feuererlöst, schreiten wir dann, durch den Geist getrieben, von Meinungzu Meinung,... als edle Verräther aller Dinge.« (Menschliches,Allzumenschliches, I 637.) »—wir müssen Verräther werden,Untreue üben, unsere Ideale immer wieder preisgeben. (Menschliches,Allzumenschliches, I 629.) Dieser Einsame musste gleichsam sichselber vervielfältigen, in eine Mehrheit von Denkern zerfallen, indem Masse, als er sich in sich selber abschloss;—nur so vermochteer geistig zu leben. Der Selbstverwundungstrieb war nur eine Artseines Selbsterhaltungstriebes: nur indem er sich immer wieder inLeiden stürzte, entlief er seinen Leiden. »Unverwundbar bin ichallein an meiner Ferse!... Und nur wo Gräber sind, gibt esAuferstehungen!... Also sang Zarathustra;« (II 46).—Er, zu dem dasLeben einst »dies Geheimniss redete«: »Siehe, sprach es, ich bin das,was sich immer selber überwinden muss« (II 49).[7]

Ueber nichts hat wohl Nietzsche so oft und so tief nachgedacht,wie über dieses sein eignes Wesensräthsel, und über nichts könnenwir uns daher aus seinen Werken so gut unterrichten wie geradehierüber: im Grunde waren ihm alle seine Erkenntnissräthsel nichtsanderes. Je tiefer er sich selbst erkannte, desto rückhaltsloserwurde seine ganze Philosophie zu einer ungeheuren Widerspiegelungseines Selbstbildes,—und desto naiver legte er es dem Allbilde alssolchem unter. Wie unter den Philosophen abstracte Systematiker ihreeignen Begriffe zu einer Weltgesetzlichkeit verallgemeinert haben, soverallgemeinert Nietzsche seine Seele zur Weltseele. Aber um sein Bildzu zeichnen, bedarf es nicht erst der Zurückführung seiner sämmtlichenTheorien auf ihn selbst, wie es in den folgenden Theilen geschieht.Ein gewisses Verständniss dafür ist auch schon hier möglich, woNietzsche lediglich in Bezug auf seine geistige Veranlagung betrachtetwird, Der Reichthum derselben ist zu mannigfaltig, als dass er ineiner bestimmten Ordnung erhalten werden könnte; die Lebendigkeit undder Machtwillen jedes einzelnen Talentes und Geistestriebes führennothwendig zu einer nie beschwichtigten Nebenbuhlerschaft allerTalente. In Nietzsche lebten in stetem Unfrieden, nebeneinander undsich gegenseitig tyrannisirend, ein Musiker von hoher Begabung, einDenker von freigeisterischer Richtung, ein religiöses Genie und eingeborener Dichter. Nietzsche selbst versuchte, daraus die Besonderheitseiner geistigen Individualität zu erklären, und erging sich häufig ineingehenden Gesprächen darüber.

Er unterschied zwei grosse Hauptgruppen von Charakteren: solche,deren verschiedene Regungen und Triebe in Harmonie zueinanderstehen, eine gesunde Einheit bilden, und solche, deren Triebe undRegungen sich gegenseitig hemmen und befehden. Die erste Gruppeverglich er,—innerhalb des einzelnen Individuums,—mit dem Zustandeder Menschheit zur Zeit des Heerdenwesens, vor aller staatlichenGliederung: wie dort der Einzelne seine Individualität und seinMachtgefühl nur besitzt im geschlossenen Ganzen der Heerde, so hierdie einzelnen Triebe im Ganzen der geschlossenen Persönlichkeit, derenInbegriff sie bilden. Die Naturen der zweiten Gruppe dagegen lebenin ihrem Innern, wie die Menschen bei einem Kriege Aller gegen Alleleben würden;—die Persönlichkeit selbst löst sich gewissermassen ineine Unsumme von eigenmächtigen Triebpersönlichkeiten auf, in eineSubject-Vielheit. Dieser Zustand wird nur überwunden, wenn von aussenher eine höhere Macht, eine stärkere Autorität geschaffen werden kann,die über Alle zu herrschen weiss: gleich einem Gesetz staatlicherGliederung, für das es nur unterworfene Gewalten gibt. Denn was in denzuerst geschilderten Naturen ganz instinctmässig vor sich geht—dieEinordnung des Einzelnen ins Ganze,—das muss hier erst erobert und dentyrannischen Einzelgelüsten abgezwungen werden als eine unerbittlichfeste Rangordnung der Triebe untereinander.[8]

Man sieht, hier ist der Punkt, an welchem Nietzsche die Möglichkeiteiner Selbstbehauptung als Ganzes durch dasLeiden alles Einzelnen aufgegangen ist. Hier liegt wie in einerKnospe eingeschlossen die ursprüngliche Bedeutung seiner späterenDecadenz-Lehre mit dem Grundgedanken: es giebt die Möglichkeit eineshöchsten Vermögens und Schaffens durch ein beständiges Erdulden undVerwunden. Mit einem Wort: hier ging ihm die Bedeutung des Heroismus als Ideal auf. Die eigene qualvolleUnvollkommenheit riss ihn dem Ideal und dessen Tyrannei entgegen:»Unsere Mängel sind die Augen, mit denen wir das Ideal sehen.«(Menschliches, Allzumenschliches, II 86).

»Was macht heroisch? zugleich seinem höchsten Leide und seiner höchstenHoffnung entgegengehen« sagt er (Fröhliche Wissenschaft 268). Und ichfüge dem noch drei Aphorismen bei, die er mir einmal niederschrieb,und die mir seine Auffassung mit besonderer Schärfe zu verdeutlichenscheinen:

»Der Gegensatz des heroischen Ideals ist das Ideal der harmonischenAllentwicklung,—ein schöner Gegensatz und ein sehr wünschenswerther!Aber nur ein Ideal für grundgute Menschen. (Zum Beispiel: Goethe).[9]

Weiter: »Heroismus—das ist die Gesinnung eines Menschen, der ein Zielerstrebt, gegen welches gerechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt.Heroismus ist der gute Wille zum absoluten Selbst-Untergang.«

Und als drittes: »Menschen, die nach Grösse streben, sind gewöhnlichböse Menschen; es ist ihre einzige Art, sich zu ertragen.« Das Wort»böse« will hier ebenso wie oben das Wort »gut« weder im Sinn deslandläufigen Urtheils noch überhaupt im Sinne eines Urtheils genommenwerden, sondern blos als Bezeichnung eines Thatbestandes: und als einesolche bezeichnet es für Nietzsche stets den »innern Krieg« in einerMenschenseele,—dasselbe, was er später »Anarchie in den Instincten«nennt. In seiner letzten Schaffensperiode hat sich ihm, auf dem Wegeeiner bestimmten Gedankenentwicklung, das Bild dieses Seelenzustandesbis zum Culturbilde der Menschheit ausgedehnt; die Losungsworte heissenda: Innenkrieg=Décadence, und Sieg=Selbstuntergang der Menschheitzur Erschaffung einer Uebermenschheit. Ursprünglich aber handelt essich für ihn um sein eigenes Seelenbild.

Er unterscheidet nämlich die harmonische oder einheitliche und dieheroische oder vielspältige Naturanlage als die beiden Typen deshandelnden und des erkennenden Menschen, mit anderen Worten: denTypus seines Wesens-Gegensatzes und seinen eigenen.

Zum handelnden Menschen wird ihm der Ungetheilte und Unzersetzte,der Instinct-Mensch, die Herrennatur. Wenn dieser seiner natürlichenEntwicklung folgt, muss sein Wesen sich immer selbstsicherer und festerzuspitzen und seine gedrängte Kraft in gesunden Thaten sich entladen.Die Hemmnisse, welche die Aussenwelt ihm möglicherweise entgegenstellt,enthalten zugleich eine Anregung und Förderung dafür: denn nichts istihm naturgemässer, als der tapfere Kampf nach aussen hin, in nichtserweist sich seine ungebrochene Gesundheit so sehr als in seinerKriegstüchtigkeit. Mag sein Intellect klein oder gross sein: in jedemFall steht er im Dienst dieser frischen Wesenskraft und dessen, wasihr wohl thut und noth thut,—er hat sich ihr in seinen Zielen nichtentgegengesetzt, er hat sie nicht zersetzt, er folgt nicht eignen Wegen.

Ganz anders der erkennende Mensch. Anstatt nach einem festenZusammenschluss seiner Triebe zu suchen, der sie schützt und erhält,lässt er sie so weit als irgend möglich auseinanderlaufen; je breiterdas Gebiet, das sie zu umfassen lernen, desto besser, je mehr derDinge, bis zu denen sie ihre Fühlhörner ausstrecken, und die siebetasten, sehen, hören, riechen, desto tüchtiger sind sie ihm für seineZwecke,—für die Zwecke des Erkennens. Denn ihm ist nunmehr »das Lebenein Mittel der Erkenntniss« (Fröhliche Wissenschaft 324) und erruftseinen Genossen zu (Fröhliche Wissenschaft 319): »Wir selber wollenunsere Experimente und Versuchstiere sein!« So gibt er sich selbstfreiwillig als Einheit auf,—je polyphoner sein Subject, desto lieberist es ihm:

»Scharf und milde, grob und fein,
Vertraut und seltsam, schmutzig und rein,
Der Narren und Weisen Stelldichein:
Dies Alles bin ich, will ich sein,
Taube zugleich, Schlange und Schwein!«
(Fröhliche Wissenschaft, Scherz, List und Rache 11.)

Denn wir Erkennenden, sagt er, müssen dankbar sein »gegen Gott,Teufel, Schaf und Wurm in uns,... mit Vorder- und Hinterseelen,denen Keiner leicht in die letzten Absichten sieht, mit Vorder-und Hintergründen, welche kein Fuss zu Ende laufen dürfte, wir diegeborenen, geschworenen, eifersüchtigen Freunde der Einsamkeit....«(Jenseits von Gut und Böse 44.) Der Erkennende hat die Seele, welche»die längste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann,... dieumfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren undschweifen kann;... die sich selber fliehende, die sich selber imweitesten Kreise einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit amsüssesten zuredet: ... die sich selber bebendste, in der alle Dingeihr Strömen und Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben....« (Alsosprach Zarathustra III 82.)

Mit solcher Seele wird man zum »Tausendfuss und Tausend-Fühlhorn«(Jenseits von Gut und Böse 205), immer im Begriff, sich selbst zuentlaufen, um sich bis in fremdes Wesen hinein zu erstrecken: »Wennman erst sich selber gefunden hat, muss man verstehen, sich von Zeitzu Zeit zu verlieren—und dann wieder zu finden: vorausgesetzt, dassman ein Denker ist. Diesem ist es nämlich nachtheilig, immer an EinePerson gebunden zu sein.« (Der Wanderer und sein Schatten 306.) DasGleiche besagen die Verse (Fröhliche Wissenschaft, Scherz, List undRache 33):

»Verhasst ist mir's schon, selber mich zu führen!
Ich liebe es, gleich Wald- und Meeresthieren,
Mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
In holder Irrniss grüblerisch zu hocken.
Von ferne her mich endlich heimzulocken,
Mich selber zu mir selber—zu verführen.«

Das Versehen ist überschrieben »Der Einsame«, d. h. der von denAnforderungen und Kämpfen der Aussenwelt möglichst Abgeschiedene;denn kriegstüchtig nach aussen hin wird ein solches Innenleben in demMasse immer weniger, je vollkommener es benommen und bewegt ist vonden Kriegen, Siegen, Niederlagen und Eroberungen innerhalb seinereignen Triebe. In der Einsamkeit seiner geistigen Selbstversenkung undSelbsterweiterung sucht es vielmehr eine Hülle, die es schonend behütevor den lauten und verwundenden Lebensereignissen draussen,—stehtes doch schon ohnedies in Kampf und Wunden; gilt doch von diesemErkennenden die Schilderung:—das ist ein Mensch, der beständigausserordentliche Dinge erlebt, sieht, hört, argwöhnt, hofft, träumt;der von seinen eigenen Gedanken wie von Aussen her,... als vonseiner Art Ereignissen und Blitzschlägen getroffen wird.« (Jenseitsvon Gut und Böse 292.)

Denn die kriegerische Stellung der Triebe zu einander in seinem Innernist damit nicht aufgehoben, sondern eher gesteigert: »Wer aber dieGrundtriebe des Menschen darauf hin ansieht, wie weit sie geradehier als inspirirende Genien (oder Dämonen und Kobolde—) ihr Spielgetrieben haben mögen, wird finden,... dass jeder Einzelnevon ihnen gerade sich gar zu gerne als letzten Zweck des Daseins undals berechtigten Herrn aller übrigen Triebe darstellen möchte.Denn jeder Trieb ist herrschsüchtig und als solcher versucht er zuphilosophiren« (Jenseits von Gut und Böse 6).

Daher grade legt die Erkenntniss des Erkennenden ein »entscheidendesZeugniss dafür ab, wer er ist,—das heisst, in welcher Rangordnungdie innersten Triebe seiner Natur zu einander gestellt sind«(ebendaselbst).

Trotzdem aber wird durch das Erkennen in diesem Innen-Krieg eineVerwandlung vollzogen, die demselben eine neue Bedeutung gibt,—einerettende und erlösende Bedeutung: in der Erkenntniss ist ein allenTrieben gemeinsames Ziel gegeben, eine Richtung, der ein jeder vonihnen insofern zustrebt, als sie alle das Nämliche erobern wollen.Die Zersplitterung des Beliebens, die Tyrannei der Willkür ist damitgebrochen. Die Triebe halten an ihrer »Subjects-Vielheit« fest, abersie unterstellen dieselbe einer höheren Macht, die ihnen als Dienernund Werkzeugen befiehlt; sie bleiben wild und kriegerisch, aber siewerden in ihrem Kriegs-Ziel unvermerkt zu Helden, die zu kämpfenund zu bluten berufen sind;—das heroische Ideal ist inmitten ihrerSelbstsucht aufgerichtet und zeigt den für sie einzig möglichen Wegzur Grösse. So ist die Gefahr der Anarchie beseitigt zu Gunsten einessichern »Gesellschaftsbaues der Triebe und Affecte«.

Ich erinnere mich eines mündlichen Ausspruches von Nietzsche, der sehrbezeichnend diese Freude des Erkennenden an der umfassenden Breite undTiefe seiner Natur ausdrückt,—die Lust, die daraus entspringt, dasser sein Leben nunmehr als ein »Experiment des Erkennenden« (FröhlicheWissenschaft 324) auffassen darf: »Einer alten, wetterfesten Burggleiche ich, die viele versteckte Keller und Unterkeller hat; inmeine eignen verborgensten Dunkelgänge bin ich noch nicht ganzhinabgekrochen, in meine unterirdischen Kammern bin ich noch nichtgekommen. Sollte mit ihnen nicht alles unterbaut sein? sollte ich nichtaus meiner Tiefe zu allen Oberflächen der Erde hinaufklettern können?sollten wir nicht auf jedem Dunkelgang zu uns selber wiederkehren?«

Dasselbe Gefühl gibt auch in der »Fröhlichen Wissenschaft« (249)der Aphorismus wieder, der die Ueberschrift trägt: »Der Seufzer desErkennenden«: »Oh über meine Habsucht! In dieser Seele wohnt keineSelbstlosigkeit,— vielmehr ein Alles begehrendes Selbst, welchesdurch viele Individuen wie durch seine Augen sehen und wie mitseinen Händen greifen möchte,—ein auch die ganze Vergangenheit nochzurückholendes Selbst, welches nichts verlieren will, was ihm überhauptgehören könnte! Oh über diese Flamme-meiner Habsucht! Oh dass ich inhundert Wesen wiedergeboren würde!«

Auf diese Weise wird das Umfassende und Verschlungene derunharmonischen, der »stillosen« Natur zu einem gewaltigen Vorzug:»Wollten und wagten wir eine Architektur nach unserer Seelen-Art,...so müsste das Labyrinth unser Vorbild sein!« (Morgenröthe169.)—aber kein Labyrinth, in welchem die Seele sich selbst verliert,sondern aus dessen Wirrnis sie zur Erkenntniss hindurchdringt. »Manmuss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebärenzu können«,— dieses Wort Zarathustras (I 15) gilt von ihr, diezum Sternendasein, zum Licht geboren ist als zu ihrem eigenstenWesensgenius, ihrer eigensten Verklärung. Nietzsche hat dies unter demNamen: »Eine lichte Art von Schatten« geschildert (Der Wanderer undsein Schatten 258): »Dicht neben den ganz nächtigen Menschen befindetsich fast regelmässig, wie an sie angebunden, eine Lichtseele. Sie istgleichsam der negative Schatten, den jene werfen.«

Diese Lichtseele ist um so strahlender, je mächtiger und nächtiger,also je tyrannischer und gefährlicher die Natur ist, welche sichgleichsam in ihr verbrennen lässt,—alle ihre Neigungen als Brennstoffin diese heilige Gluth wirft. Die Art, in welcher dies geschieht,wechselt mit dem Erkenntnissstandpunkt des Erkennenden: NietzschesAuffassung dessen, was »Erkenntnisse ist, ist in seinen verschiedenenGeistesperioden eine verschiedene, und dementsprechend verschiebt sichauch jedesmal das, was er die »innere Rangordnung der Triebe« nennt,innerhalb des wogenden Kampfes in dieser reichen Genie-Natur. Mankann sagen, dass aus den wechselnden Bildern solcher Verschiebungensich die Geschichte seiner Entwicklung im Wesentlichen zusammensetzt,bis in seiner letzten Schaffensperiode sein ganzes Innenleben sichin philosophischen Theorien widerspiegelt: bis ihm Dunkelseele undLichtseele zu Repräsentanten des Menschlichen und Uebermenschlichenwerden.

Der geschilderte Seelenprocess selbst aber bleibt durch alle Wandlungenhindurch in seinen Grundzügen der nämliche. »Hat man Charakter,so hat man auch sein typisches Erlebniss, das immer wiederkommt,«sagt Nietzsche (Jenseits von Gut und Böse 70). Nun, dieses ist seintypisches Erlebniss, das immer wiederkommt, an dem er sich immer wiederaufrichtete, über sich selbst erhob,—an dem er auch endlich sich insich selbst überschlug und zu Grunde ging.

Und daran musste er wohl zu Grunde gehen. Denn in dem gleichenProcess, der ihm stets von neuem Heilung und Erhebung sicherte, lagauch schon das pathologische Moment dieser Art von Geistesentwicklungverborgen. Auf den ersten Blick fällt es nicht auf. Man solltevielmehr meinen, in einer Kraft, die sich selber so zu heilen weiss,müsse mindestens ebensoviel Gesundheit stecken wie in dem ruhigenFrieden einer harmonischen Kräfteentfaltung. Ja, sogar eine weitgrössere Gesundheit: denn sie ist im Stande, selbst an dem, wasWunden schlägt und Fieber erzeugt, sich noch zu befestigen und zubeweisen; sie ist im Stande, Krankheit und Kampf zu einem Stimulansfür Leben und Erkennen umzuwandeln, zu einem Sp*rn und Hellsehen fürihre Zwecke,—sie umfasst also schadlos Kampf und Krankheit. Aufsolche Weise wollte Nietzsche, namentlich zuletzt, namentlich als eram krankhaftesten war, seine Leidensgeschichte aufgefasst wissen:alseine Genesungsgeschichte. Allerdings vermochte diese gewaltigeNatur es, sich mitten aus Schmerzen und Widerstreit heraus in ihremErkenntnissideal selbst zu heilen und zusammenzufassen. Aber, nacherlangter Genesung, bedurfte sie wiederum ebenso nothwendig derLeiden und Kämpfe, der Fieber und Wunden. Sie, die sich selbst Heilunggeschafft, ruft jene wieder, hervor; sie wendet sich gegen sichselbst, schäumt gleichsam über, um sich in neue Krankheitszustände zuergiessen. Ueber jedem erreichten Erkenntnissziel, jedem erlangtenGenesungsglück stehen immer wieder die Worte: »Wer sein Ideal erreicht,kommt eben damit über dasselbe hinaus«, denn: »sein Ueberglück wardihm zum Ungemach« (Fröhliche Wissenschaft, Scherz, List und Rache 47),und er fühlt sich: »verwundet von seinem Glücke«[10] (Also sprachZarathustra II 2). »Sich Schmerzen machen. Rücksichtslosigkeit desDenkens ist oft das Zeichen einer unfriedlichen inneren Gesinnung,welche Betäubung begehrt.» Menschliches, Allzumenschliches I 581.

Die Gesundheit ist hier also nicht das Ueberlegene und Ueberragende,welches das Pathologische, als ein Nebensächliches, zu einem Werkzeugfür sich umschafft, sondern beide bedingen sich, ja enthalten sichgegenseitig,—beide zusammen stellen thatsächlich eine eigenthümlicheSelbstspaltung innerhalb ein und desselben Geisteslebens dar.

Eine solche innere Spaltung liegt nämlich dem ganzen geschildertenSeelenprocess zu Grunde. Anscheinend zwar sollte in ihm dieVielspältigkeit, die Subjects-Vielheit der unharmonisch veranlagtenNatur, in einer hohem Einheit, in einem richtunggebenden Zielaufgehoben werden. Nun vollzieht sich aber dieser Vorgang innerhalbder vielspältigen Seele in der Weise, dass ein einziger Trieb sichalle übrigen unterordnet; mit anderen Worten: die Vielspältigkeitwird auf eine um so tiefer gehende Zweispaltung reducirt. So wenigwie die Gesundheit hier überragend das Krankhafte mit umfasst,so wenig umfasst und überragt der herrschende Trieb wahrhaft dasgesammte Innere, indem er es in den Dienst der Erkenntniss stellt:der Erkennende blickt wohl mit seinen Geistesaugen auf sich selbstwie auf eine zweite Wesenheit, aber er bleibt doch in der eigenenWesenheit gefangen; er ist nur im Stande sie zu spalten, nicht über siehinauszugreifen. Die Macht der Erkenntniss also, weit davon entfernt,eine einigende zu sein, ist vielmehr eine trennende,—aber die Tiefeder Trennung erweckt den Schein, als läge das Ziel aller Regungenausser ihnen. In Folge dieser Selbsttäuschung drängen alle Kräftebegeistert der Erkenntniss zu, als vermöchten sie damit sich selbst undihrem Zwiespalt zu entlaufen.

Man sollte allerdings glauben, es werde wenigstens eine Art vonZusammenschluss des Gesammtlebens dadurch erreicht, dass auf der einenSeite das Triebleben, unter dem darauf gerichteten Erkenntnissblick,zu ungeheurer Bewusstheit gesteigert wird,—dass auf der anderen dasDenken durch die Welt der Stimmungen und Triebe eine ungemeine Belebungerhält. Aber das Resultat ist ein gerade entgegengesetztes, indemder Gedanke die Unmittelbarkeit aller inneren Regungen zersetzt,die Erregungen des Inneren hinwiederum die beherrschte Strenge desGedankens beständig lockern. So durchdringt thatsächlich die Spaltungdes Ganzen alles Einzelne nur immer weiter und tiefer.

Was ist es nun, das trotzdem eine so hohe, geradezu erlösend wirkendeBefriedigung aus einer so durchsichtigen Selbsttäuschung quellenlässt? Was ist es, das einen Schein dazu befähigt, das ganze Sein,wenn auch unter steten Erkrankungen und Verwundungen, zu beseligenund zu verklären? Mit dieser Frage stehen wir vor dem eigentlichenNietzsche-Problem; sie erst weist uns auf den geheimen Zusammenhang desGesunden und Pathologischen in ihm.

Indem nämlich die Vielheit unverbundener Einzeltriebe sich in zweieinander gleichsam gegenüber stehende Wesenheiten zerspaltet, von denendie Eine herrscht, die Andere dient,—wird es dem Menschen ermöglicht,zu sich selber nicht nur wie zu einem anderen, sondern auch wie zueinem höhern Wesen zu empfinden. Indem er einen Theil seiner selbstsich selber zum Opfer bringt, ist er einer religiösen Exaltationnahe gekommen. In den Erschütterungen seines Geistes, in denen er dasheroische Ideal eigener Preisgebung und Hingebung zu verwirklichenwähnt, bringt er an sich selbst einen religiösen Affect zum Ausbruch.

Von allen grossen Geistesanlagen Nietzsches gibt es keine, die tieferund unerbittlicher mit seinem geistigen Gesammtorganismus verbundengewesen wäre, als sein religiöses Genie. Zu einer anderen Zeit,in einer andern Culturperiode würde dasselbe diesem Predigerssohnsicherlich nicht gestattet haben, zum Denker zu werden. Unter denEinflüssen unserer Zeit erhielt jedoch sein religiöser Geist dieRichtung aufs Erkennen und vermochte dasjenige, wonach es ihninstinctiv am drängendsten verlangte, wie nach dem natürlichen Ausdruckseiner Gesundheit, nur in krankhafter Weise zu befriedigen,—dasheisst, er vermochte es nur vermittelst einer Rückbeziehung auf sichselbst anstatt auf eine ihn mit umfassende, ausser ihm liegendeLebensmacht. So erreichte er das gerade Gegentheil des Angestrebten:nicht eine höhere Einheit seines Wesens, sondern dessen innersteZweitheilung, nicht den Zusammenschluss aller Regungen und Triebe zueinem einheitlichen Individuum, sondern ihre Spaltung zum »Dividuum«.Es war immerhin eine Gesundheit erreicht,—doch mit den Mittelnder Krankheit; eine wirkliche Anbetung, doch mit den Mitteln derTäuschung; eine wirkliche Selbstbehauptung und Selbsterhebung, dochmit den Mitteln der Selbstverwundung. Deshalb liegen in dem gewaltigenreligiösen Affect, aus dem ganz allein bei Nietzsche alle Erkenntnisshervorgeht, unlöslich in einen Knoten verschlungen: eigne Aufopferungund eigne Apotheose, Grausamkeit der eignen Vernichtung undWollust der eignen Vergötterung, leidvolles Siechen und siegendeGenesung, glühender Rausch und kühle Bewusstheit. Man fühlt hier dieenge Verknüpfung der Gegensätze, die einander unaufhörlich bedingen:man fühlt das Ueberschäumen und freiwillige Hinabstürzen der aufsHöchste erregten und gespannten Kräfte ins Chaotische, Dunkle,Schauerliche, und dann wieder aus diesem heraus ein Drängen ins Lichte,Zarteste,—das Drängen eines Willens, der sich« ...von der Noth derFülle und Ueberfülle, vom Leiden der in ihm gedrängten Gegensätzelöst«,[11]—ein Chaos, das den Gott gebären möchte,—gebären muss.

»Im Menschen ist Geschöpf und Schöpfer vereint: im Menschenist Stoff, Bruchstück, Ueberfluss, Lehm, Koth, Unsinn, Chaos;aber im Menschen ist auch Schöpfer, Bildner, Hammer-Härte,Zuschauer-Göttlichkeit und siebenter Tag...«. (Jenseits von Gutund Böse 225.) Und hier zeigt sich, dass unablässiges Leiden undunablässige Selbstvergöttlichung sich gegenseitig bedingen, indemein jedes seinen eignen Gegensatz immer wieder neu erzeugt,— wie esNietzsche in der Geschichte des Königs Viçvamitra ausgedrückt findet,»der aus tausendjährigen Selbstmarterungen ein solches Machtgefühl undZutrauen zu sich gewann, dass er es unternahm, einen neuen Himmel zubauen:... Jeder, der irgendwann einmal einen »neuen Himmel« gebauthat, fand die Macht dazu erst in der eigenen Hölle...« (Genealogie derMoral III 10.) Eine andere Stelle, wo er dieser Sage gedenkt, stehtin der Morgenröthe (113) und folgt unmittelbar auf die Schilderungjener machtdurstigen Leidenden, die als das würdigste Object ihrerVergewaltigungslust sich selbst auserlesen haben: »Der Triumph desAsketen über sich selber, sein dabei nach Innen gewendetes Auge,welches den Menschen zu einem Leidenden und zu einem Zuschauendenzerspaltet sieht und fürderhin in die Aussenwelt nur hineinblickt, umaus ihr gleichsam Holz zum eigenen Scheiterhaufen zu sammeln, dieseletzte Tragödie des Triebes nach Auszeichnung, bei der es nur noch EinePerson gibt, welche in sich selber verkohlt....« Dieser Abschnitt,der die Beschreibung aller bisherigen Askese und ihrer Motive enthält,schliesst mit der Bemerkung:... ja, ist denn wirklich der Kreislaufim Streben nach Auszeichnung mit dem Asketen am letzten Ende angelangtund in sich abgerollt? Könnte dieser Kreis nicht noch einmal von Anfangan durchlaufen werden, mit der festgehaltenen Grundstimmung des Asketenund zugleich des mitleidenden Gottes?«

In »Menschliches, Allzumenschliches« (I 137) sagt er darüber: Es gibteinen Trotz gegen sich selbst, zu dessen sublimirtesten Aeusserungenmanche Formen der Askese gehören. Gewisse Menschen haben nämlich einso hohes Bedürfniss, ihre Gewalt und Herrschsucht auszuüben, dasssie ... endlich darauf verfallen, gewisse Theile ihres eigenenWesens ... zu tyrannisiren.... Dieses Zerbrechen seiner selbst,dieser Spott über die eigene Natur, dieses spernere se sperni,aus dem die Religionen so viel gemacht haben, ist eigentlich einsehr hoher Grad der Eitelkeit.... Der Mensch hat eine wahreWollust darin, sich durch übertriebene Ansprüche zu vergewaltigenund dieses tyrannisch fordernde Etwas in seiner Seele nachher zuvergöttern.«—und 138: »... Eigentlich liegt ihm also nur an derEntladung seiner Emotion; da fasst er wohl, um seine Spannung zuerleichtern, die Speere der Feinde zusammen und begräbt sie in seineBrust,«—und 142: »... er geisselt seine Selbstvergötterung mitSelbstverachtung und Grausamkeit, er freut sich an dem wilden Aufruhreseiner Begierden,... er versteht es, seinem Affect, zum Beispieldem der äussersten Herrschsucht, einen Fallstrick zu legen, so dass erin den der äussersten Erniedrigung übergeht und seine aufgehetzte Seeledurch diesen Contrast aus allen Fugen gerissen wird;... es ist imGrunde eine seltene Art von Wollust, welche er begehrt, aber vielleichtjene Wollust, in der alle anderen in einen Knoten zusammengeschlungensind. Novalis, eine der Autoritäten in Fragen der Heiligkeit durchErfahrung und Instinct, spricht das ganze Geheimniss einmal mit naiverFreude aus: »Es ist wunderbar genug, dass nicht längst die Associationvon Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihreinnige Verwandtschaft und gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat.«

In der That ist eine rechte Nietzsche-Studie in ihrer Hauptsacheeine religionspsychologische Studie, und nur insoweit als dasGebiet der Religionspsychologie bereits aufgehellt ist, fallenauch helle Streiflichter auf die Bedeutung seines Wesens, seinesLeidens und seiner Selbst-Beseligung. Seine ganze Entwicklung ginggewissermassen davon aus, dass er den Glauben verlor, also von der»Emotion über den Tod Gottes«,—dieser ungeheuren Emotion, die bis indas letzte Werk hineinklingt, das Nietzsche, schon auf der Schwelledes Wahnsinns verfasste,— bis in den vierten Theil seines: »Alsosprach Zarathustra«. Die Möglichkeit, einen Ersatz[12] »für denverlorenen Gott« in den verschiedensten Formen der Selbstvergottungzu finden, das ist die Geschichte seines Geistes, seiner Werke, seinerErkrankung. Es ist die Geschichte des »religiösen Nachtriebes imDenker«, der noch mächtig bleibt, auch nachdem der Gott zerbrach,auf den er sich bezog, und auf den Nietzsches Worte Anwendung findenkönnen: (Menschliches, Allzumenschliches I 223): »Die Sonne istschon hinunter gegangen, aber der Himmel unseres Lebens glüht undleuchtet noch von ihr her, ob wir sie schon nicht mehr sehen.« Manlese darüber den ergreifenden Gefühlsausbruch des »tollen Menschen« inder »Fröhlichen Wissenschaft« (125). »Wohin ist Gott?« rief er, »ichwill es Euch sagen! Wir haben ihn getödtet!—ihr und ich! Wir Allesind seine Mörder!... Hören wir noch nichts vom Lärm derTodtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von dergöttlichen Verwesung?—auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibttodt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder allerMörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, istunter unseren Messern verblutet,—wer wischt dies Blut von uns ab?Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?... Ist nicht dieGrösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Götternwerden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössereThat,—und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Thatwillen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!«—

Die Antwort auf diesen Ausbruch von Qual und Sehnsucht gab sichNietzsche in seiner letzten Schaffensperiode mit den WortenZarathustras (I Schluss): »Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dassder Uebermensch lebe!«—und sprach damit den innersten Seelengrundseiner Philosophie aus.

Die Gottsehnsucht wird in ihrer Qual zu einem Drang der Gott-Schöpfung,und dieser musste sich nothwendig in Selbstvergottung äussern.Mit richtigem Blick erkannte Nietzsche im religiösen Phänomen dieungeheure Auslebung des individuellsten Verlangens, den Willen zurhöchsten Selbstbeseligung. Dieser Individualismus, der als Kern inallem Religiösen steckt, dieser »sublime Egoismus«, der in allemReligiösen frei und naiv ausströmt, indem er sich auf eine von aussengegebene Lebens-oder Gottesmacht zu beziehen glaubt, wurde in ihm,dem »Erkennenden«, auf sich selbst zurückgeworfen. Und so gelangt erdazu, sich die ihm vom Verstände aufgedrungene Gottlosigkeit mit demvermessenen Schlüsse innerlich anzueignen: »Wenn es Götter gäbe, wiehielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.« DieseWorte stehen im zweiten Theil des »Also sprach Zarathustra« (6); an sielassen sich jene anderen anschliessen (55): »Und Anbetung wird noch inDeiner Eitelkeit sein!« In ihnen ist die ganze Gefahr ausgesprochen,die über dem »Einsamen« und »Einzelnen« schwebt, der sich spalten undverdoppeln muss. »Einer ist immer zu viel um mich.... Immer EinmalEins—das gibt auf die Dauer Zwei!« (Also sprach Zarathustra I 76.)

Die Art, wie er sich zu dieser Zweiheit stellte, wie er sich gegensie zur Wehre setzte oder ihr nachgab, und worin er sie jedesmalsuchte,—das alles bedingt den Wandel seiner Erkenntniss, sowie dieEigenart seiner verschiedenen Geistesperioden—bis endlich seineZweiheit ihm zu einer Hallucination und Vision, zu einer leibhaftenWesenheit wurde, die seinen Geist verdüsterte, seinen Verstanderstickte. Er vermochte nicht sich länger gegen sich selbst zu wehren:Dieses war das dionysiche Drama vom »Schicksal der Seele« (ZurGenealogie der Moral, Vorrede XIII) in Nietzsche selbst. Die Einsamkeitdes Innenlebens, in welcher der Geist über sich selbst hinausgelangenwill, ist nirgends tiefer und schmerzvoller als zum Schluss. Man könntesagen, die stärkste Mauer in dieser verhängnissvollen Selbstvermaurungsei ein zarter, glänzender, göttlicher Schein, der sie umgaukelt, eineLuftspiegelung, die ihm die eigenen Grenzen verwischt und verbirgt.Jeder Gang nach aussen führt immer wieder in die Tiefe dieses Selbstzurück, das sich schliesslich zu Gott und Welt, zu Himmel und Höllewerden muss—jeder Gang führt es einen Schritt weiter in seine letzteTiefe und in seinen Untergang.

Diese Grundzüge von Nietzsches Eigenart enthalten die Ursachen deszugleich Raffinirten und Exaltirten, das auch dem Grossen undBedeutenden in seiner Philosophie beigemischt ist gleich einerbrennenden Würze. Am schärfsten wird es wohl von der unverdorbenenZunge junger und gesunder Geister herausgeschmeckt werden,—oderauch von denen, die, im ruhigen Frieden glaubensvoller Anschauungengeborgen, niemals den ganzen furchtbaren Kampf und Brand eines religiösveranlagten Freigeistes am eignen Leibe erfahren haben. Aber es istauch dasjenige, was Nietzsche in so hohem Masse zum Philosophen unsererZeit hat werden lassen. Denn in ihm hat typische Gestalt gewonnen,was sie in ihrer Tiefe bewegt: jene »Anarchie in den Instincten«schöpferischer und religiöser Kräfte, die zu gewaltig nach Sättigungbegehren, um sich mit den Brosamen begnügen zu können, welche vom Tischder modernen Erkenntniss für sie abfallen. Dass sie sich nicht mitihnen begnügen können. aber ebensowenig ihre Stellung zur Erkenntnisspreisgeben,— gleich unersättlich im leidenschaftlichen Verlangenwie unermüdlich im Darben und Entbehren,—das ist der grosse underschütternde Zug im Bilde der Philosophie Nietzsches. Das ist es auch,was sie in immer neuen Wendungen zum Ausdruck bringt:—eine Reihe vongewaltigen Versuchen, dieses Problem moderner Tragik, das Räthsel dermodernen Sphinx zu lösen und sie in den Abgrund zu stürzen.

Aber deshalb ist es eben der Mensch und nicht der Theoretiker,auf den wir unsern Blick richten müssen, um uns in den WerkenNietzsches zurechtzufinden,—und deshalb wird auch der Gewinn, dasResultat unserer Betrachtung nicht darin bestehen, dass uns einneues theoretisches Weltbild in seiner Wahrheit aufgeht, sonderndas Bild einer Menschenseele in ihrer Zusammensetzung von Grösseund Krankhaftigkeit. Zunächst scheint die philosophische Bedeutungin Nietzsches Wandlungen dadurch abgeschwächt zu werden, dass sichjedesmal genau derselbe innere Process abspielt. Aber sie wird vertieftund verschärft, weil der Wechsel der Ansichten immer wieder auf dasWesen übergreift. Nicht nur die äusseren Umrisslinien einer Theoriesind jedesmal verändert, sondern die ganze Stimmung, Luft, Beleuchtungwandelt sich mit ihnen. Während wir Gedanken einander widerlegen hören,sehen wir Welten versinken, neue Welten emporsteigen. Gerade hieraufberuht die wahre Originalität des Nietzscheschen Geistes: durch dasMedium seiner Natur, die Alles auf sich und ihre intimsten Bedürfnissebezieht, aber sich auch an Alles hingebend verliert, erschliessen sichihm jene inneren Erlebnisse und Ergebnisse von Gedankenwelten, diewir sonst nur mit dem Verstände streifen, ohne sie jemals in ihrenTiefen auszuschöpfen und ohne daher an ihnen schöpferisch zu werden.Theoretisch betrachtet, lehnt er sich häufig an fremde Muster undMeister an, aber das, worin diese ihre Reife, ihren Productionspunkthaben, wird ihm nur zum Anlass, daran zu eigner Productivität zugelangen.[13] Die geringste Berührung, die sein Geist empfand, genügte,um in ihm eine Fülle innern Lebens,—Gedanken-Erlebens, auszulösen.Er hat einmal gesagt: »Es gibt zwei Arten des Genie's: eins, welchesvor allem zeugt und zeugen will, und ein andres, welches sich gernbefruchten lässt und gebiert.« (Jenseits von Gut und Böse 248.)Zweifellos gehörte er der letzteren Art an. In Nietzsches geistigerNatur lag—ins Grosse gesteigert—etwas Weibliches;[14] aber erist darin in einem solchen Masse Genie, dass es fast gleichgiltigerscheint, woher er die erste Anregung empfängt. Wenn wir alleszusammenlesen, was sein Erdreich befruchtet hat, dann haben wir einigeunscheinbare Samenkörner vor uns: wenn wir in seine Philosophieeintreten, umrauscht uns ein Wald schattenspendender Bäume, umfängtuns die verschwenderische Vegetation einer wildgrossen Natur. SeineUeberlegenheit bestand darin, dass er jedem Samenkorn, welches in seinInneres fiel, entgegenbrachte, was er selbst als das Kennzeichen desechten Genies anführt: »den neuen, treibenden Fruchtboden mit einerurwaldfrischen unausgenutzten Kraft.« (Der Wanderer und sein Schatten118.)

[1] Eine zusammenfassende Charakteristik Nietzsches, inder zum ersten Male die drei Perioden seiner geistigen Entwicklungunterschieden und bestimmt charakterisirt sind, erschien in derSonntags-Beilage der Vossischen Zeitung 1891, Nr. 2, 3 und 4. Ausserdembrachte die »Freie Bühne« eingehendere Ausführungen einzelner Punkteunter dem Titel »Zum Bilde Friedrich Nietzsches, Jahrg. II (1891), Heft3, 4 und 5, Jahrg. III (1892), Heft 3 und 5; das Magazin für Literatur1892, October, »Ein Apokalyptiker«; Der Zeitgeist 1893, Nr. 20, »Idealund Askese«.

[2] Was das Leben—, die sogenannten »Erlebnisse« angeht,—wer von uns hat dafür auch nur Ernst genug? Oder Zeit genug? Beisolchen Sachen waren wir, fürchte ich, nie recht »bei der Sache«, wirhaben eben unser Herz nicht dort—und nicht einmal unser Ohr!« (ZurGenealogie der Moral, Vorrede III.)

[3] Eine ähnliche Bedeutung legte er seinen selten kleinen undfeinmodellirten Ohren bei, von denen er sagte, sie seien die wahren»Ohren für Unerhörtes«. (Zarathustra I 25.)

[4] »Giebt es—eine Vorneigung für das Harte, Schauerliche,Böse, Problematische des Daseins aus Wohlsein, aus überströmenderGesundheit, aus der Ueberfülle selbst?... Giebt es vielleicht—eineFrage für Irrenärzte—Neurosen der Gesundheit?« (Versuch einerSelbstkritik zur neuen Ausgabe der »Geburt der Tragödie aus dem Geisteder Musik« IV u. IX.)

[5] Vgl. auch »Die fröhliche Wissenschaft« 253, »Eines Tageserreichen wir unser Ziel—und weisen nunmehr mit Stolz darauf hin, wasfür lange Reisen wir dazu gemacht haben. Wir kamen aber dadurch soweit, dass wir an jeder Stelle wähnten, zu Hause zu sein.«

[6] Daher nennt er die Ueberzeugungen Feinde der Wahrheit:»Ueberzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.«(Menschliches, Allzumenschliches, I 483).

[7] Durch diesen Trieb entwickelte er sich mehr, als er esselbst wahr haben wollte, zu jenem »Don Juan der Erkenntniss«, den er(Morgenröthe 327) folgendermassen schildert: »Er hat Geist, Kitzel undGenuss an Jagd und Intriguen der Erkenntniss—bis an die höchsten undfernsten Sterne der Erkenntniss hinauf!—bis ihm zuletzt Nichts mehr zuerjagen übrig bleibt, als das absolut Wehethuende der Erkenntniss,glefich dem Trinker, der am Ende Absinth und Scheidewasser trinkt. Sogelüstet es ihn am Ende nach der Hölle,—es ist die letzte Erkenntniss,die ihn verführt. Vielleicht, dass auch sie ihn enttäuscht, wie allesErkannte! Und dann müsste er in alle Ewigkeit stehen bleiben, an dieEnttäuschung festgenagelt und selber zum steinernen Gast geworden, miteinem Verlangen nach einer Abendmahlzeit der Erkenntniss, die ihm niemehr zu Theil wird!—denn die ganze Welt der Dinge hat diesem Hungrigenkeinen Bissen mehr zu reichen.«

[8] »Die Instincte bekämpfen müssen—das ist die Formelfür décadence: so lange das Leben aufsteigt, ist Glück gleichInstinct«, sagt er (Götzen-Dämmerung, Das Problem des Sokrates 11), undunterscheidet so den Dekadenten von der geborenen Herrennatur.

[9] Nietzsche fasst hier, nebenbei bemerkt, Goethe durchausanders auf als einige Jahre später (in der Götzen-Dämmerung). Hiersieht er noch in ihm den Antipoden seiner eigenen, unharmonischenNatur—später hingegen einen ihm tief verwandten Geist, der nichtharmonisch war, sondern sich durch Ausgestaltung und Hingabe seinerselbst zum Harmonischen umschuf.

[10] Vgl. auch Jenseits von Gut und Böse 224: »wir ... sinderst dort in unsrer Seligkeit, wo wir auch am meisten—in Gefahrsind.«

[11] »Versuch einer Selbstkritik«, in der neuen Ausgabe der»Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« XI.

[12] Siehe in der Fröhlichen Wissenschaft (Scherz, Listund Rache 38) über die menschliche Bestimmung als erfüllt in derGottschöpfung des Menschen:

»Der Fromme spricht:
»Gott liebt uns, weil er uns erschuf!«
»Der Mensch schuf Gott!« sagt drauf ihr Feinen.
Und soll nicht lieben, was er schuf?
Soll's gar, weil er es schuf, verneinen?
Das hinkt, das trägt des Teufels Huf.

[13] Auch wenn man von denjenigen Denkern absieht, welchedie verschiedenen Phasen von Nietzsches Entwicklung direct bestimmthaben, lassen sich viele seiner Gedanken schon bei früheren Philosophennachweisen. Auf diese für die wahre Bedeutung Nietzsches durchausunwesentliche Thatsache ist neuerdings mit dem grössten Lärm von Leutenhingewiesen worden, denen lediglich der Zufall das eine oder anderephilosophische Buch in die Hände gespielt hat. In der vorliegendenSchrift ist absichtlich auf die Stellung Nietzsches in der Geschichteder Philosophie kein Bezug genommen, da dies eine eingehendesystematische Prüfung seiner einzelnen Theorien auf ihren objectivenWerth zur Voraussetzung haben würde, was einer besonderen ArbeitVorbehalten bleiben muss.

[14] Manchmal, wenn er dies besonders empfand, war er geneigt,das weibliche Genie als das eigentliche Genie zu nehmen. »Die Thieredenken anders über die Weiber, als die Menschen; ihnen gilt dasWeibchen als das productive Wesen.... Die Schwangerschafthat die Weiber milder, abwartender, furchtsamer, unterwerfungslustigergemacht; und ebenso erzeugt die geistige Schwangerschaft den Charakterdes Contemplativen, welcher dem weiblichen Charakter verwandt ist:—essind die männlichen Mütter.—« (Die fröhliche Wissenschaft 72.)

II. ABSCHNITT

SEINE WANDLUNGEN.

MOTTO:
»Die Schlange, welche sich nicht
häuten kann, geht zu Grunde. Ebenso
die Geister, welche man verhindert,
ihre Meinungen zu wechseln; sie hören
auf, Geist zu sein.«
(Morgenröthe 573)

Die erste Wandlung, die Nietzsche in seinem Geistesleben durchkämpfte,liegt weit zurück in der Dämmerung seiner Kindheit oder doch wenigstensseiner Knabenjahre.

Es ist der Bruch mit dem christlichen Kirchenglauben. In seinenWerken findet diese Trennung selten Erwähnung. Trotzdem kann sie alsder Ausgangspunkt seiner Wandlungen angesehen werden, weil schonvon ihr aus ein charakteristisches Licht auf die Eigenart seinerEntwicklung fällt. Seine Aeusserungen über diesen Gegenstand, den ichbesonders eingehend mit ihm besprochen habe, betrafen hauptsächlichdie Gründe, welche den Glaubensbruch hervorrufen. Weitaus die meistenreligiös veranlagten Menschen werden erst durch intellectuelleGründe dahin gedrängt, sich in schmerzlichen Kämpfen von ihrenGlaubensvorstellungen loszusagen. Wo aber, in selteneren Fällen,die erste Entfremdung vom Gemüthsleben selbst ausgeht, da ist derProcess ein kampfloser und schmerzloser; der Verstand zersetzt nur,was schon vorher abgestorben,—eine Leiche war. In Nietzsches Fallfand eine eigenthümliche Kreuzung dieser beiden Möglichkeiten statt:weder waren es nur intellectuelle Gründe, die ihn ursprünglich von denanerzogenen Vorstellungen frei machten, noch auch hatte der alte Glaubeaufgehört, den Bedürfnissen seines Gemüths zu entsprechen. Vielmehrbetonte Nietzsche immer wieder, dass das Christenthum des elterlichenPfarrhauses seinem inneren Wesen »glatt und weich« angelegenhabe—»gleich einer gesunden Haut«, und dass ihm die Erfüllung allseiner Gebote so leicht geworden sei wie das Befolgen einer eignenNeigung. Dieses gleichsam angeborene, unveräusserliche »Talent« zualler Religion hielt er für eine der Ursachen der Sympathie, die ihmernste Christen selbst dann noch entgegenbrachten, als er bereits durcheine tiefe Geisteskluft von ihnen getrennt war.

Der dunkle Instinct, der ihn hier zum ersten Mal aus lieb und theuergewordnen Gedankenkreisen forttrieb, erwachte grade in diesemHeimathsgefühl, in diesem warmen »Zu Hause«, von dem sich NietzschesWesen darin umfangen fühlte. Um in machtvoller Entwicklung zu sichselbst zu gelangen, bedurfte sein Geist der seelischen Kämpfe,Schmerzen und Erschütterungen,—er bedurfte dessen, dass sein Gemüthsich die Trennung von diesem ruhigen Friedenszustand anthat, weilseine Schaffenskraft von der Emotion und Exaltation seines Innernabhängig war: hier tritt uns die Erscheinung des Schmerzheischendenin der »Decadenten-Natur« zum ersten Mal in Nietzsches Leben entgegen.

»Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sichselbst her,« (Jenseits von Gut und Böse 76) und verbannt sich selbst ineine Gedankenfremde, in der er von nun an zu einem ewigen Wandern ohneRast und Ruhe bestimmt ist. Aber in dieser Rastlosigkeit lebt von nunan eine unersättliche Sehnsucht in Nietzsche, die nach dem verlorenenParadies zurückstrebt, während seine Geistesentwicklung ihn zwingt,sich in grader Linie immer weiter davon zu entfernen.

Im Gespräch über die Wandlungen, die schon hinter ihm lagen, äusserteNietzsche einmal halb im Scherz: »Ja, so beginnt nun der Lauf und wirdfortgesetzt,—bis wohin? wenn Alles durchlaufen ist,—wohin läuft manalsdann? Wenn alle Combinationsmöglichkeiten erschöpft wären,—wasfolgte dann noch? wie? müsste man nicht wieder beim Glauben anlangen?Vielleicht bei einem katholischen Glauben?« Und der Hintergedanke,der sich in dieser Aeusserung verbarg, trat in den ernst hinzugefügtenWorten aus seinem Versteck:

»In jedem Fall könnte der Kreis wahrscheinlicher sein als derStillstand.«

Eine in sich selbst zurücklaufende, niemals stillstehendeBewegung,—das ist in Wahrheit das Kennzeichen der ganzen GeistesartNietzsches. Die Combinationsmöglichkeiten sind keineswegs unendlich,sind im Gegentheil sehr begrenzt, da der vorwärts treibende,selbstverwundende Drang, der die Gedanken nicht zur Ruhe kommen lässt,ganz und gar der innern Eigenart der Persönlichkeit entspringt: soweit auch die Gedanken zu schweifen scheinen, so bleiben sie dochstets an die gleichen Seelenvorgänge gebunden, die sie immer wiederzurück unter die herrschenden Bedürfnisse zwingen. Wir werden sehen,inwiefern Nietzsches Philosophie in der That einen Kreis beschreibt,und wie zum Schlüsse der Mann in einigen seiner intimsten undverschwiegensten Gedankenerlebnisse sich wieder dem Knaben nähert,so dass von dem Gang seiner Philosophie die Worte gelten: siehe einenFluss, der in vielen Windungen zurück zur Quelle fliesst!« (Also sprachZarathustra III 23.) Es ist kein Zufall, dass Nietzsche in seinerletzten Schaffensperiode zu seiner mystischen Lehre von einer ewigenWiederkunft gelangte: das Bild des Kreises,—eines ewigen Wechselsin einer ewigen Wiederholung,—steht wie ein wundersames Symbol undGeheimzeichen über der Eingangspforte zu seinen Werken.

Als sein erstes »literarisches Kinderspiel« (Zur Genealogie der Moral,Vorrede VI) nennt Nietzsche einen Aufsatz aus seiner Knabenzeit,»über den Ursprung des Bösen«, worin er, »wie es billig ist«, Gott»zum Vater des Bösen« machte. Auch gesprächsweise erwähnte erdiesen Aufsatz als Beweis dafür, dass er sich schon zu einer Zeitphilosophischen Grübeleien hingegeben habe, wo er sich noch in demphilologischen Schulzwang der Schulpforte befand.

Wenn wir Nietzsche aus seiner Kindheit in seine Lehrjahre und dann indie lange Zeit seiner philologischen Thätigkeit folgen, dann erkennenwir auch hier deutlich, wie seine Entwicklung von Anfang an auch reinäusserlich unter dem Einfluss eines gewissen Selbstzwanges verläuft.Schon die strenge philologische Schulung musste einen solchen Zwang fürden jungen Feuergeist enthalten, dessen reiche schöpferische Kräftedabei leer ausgingen. Ganz besonders aber galt dies von der Richtungseines Lehrers Ritschl. Grade bei diesem wurde das Hauptaugenmerk,sowohl nach Seite der Methode wie nach Seite der Probleme, auf formaleBeziehungen und äussere Zusammenhänge gerichtet, während die innereBedeutung der Schriftwerke zurückstand. Für Nietzsches ganze Eigenartaber war es bezeichnend, dass er später seine Probleme ausschliesslichder Welt des Innern entnahm und geneigt war, das Logische demPsychologischen unterzuordnen.

Und doch war es eben hier, in dieser strengen Zucht und auf diesemsteinigen Boden, dass sein Geist so früh reife Frucht trug undAusgezeichnetes leistete. Eine Reihe vortrefflicher philologischerUntersuchungen[1] bezeichnet den Weg von seinen Studienjahren an biszu der Baseler Professur. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einezu frühe Entfesselung des ganzen Geistesreichthums Nietzsches durchdas Studium der Philosophie oder der Künste ihn von vornherein zujener Zügellosigkeit verführt hätte, der sich einige seiner letztenWerke nähern. So aber gab für seine »vielspältigen Triebe« die kühleStrenge philologischer Wissenschaft eine Zeit lang das einigende undzusammenhaltende Band ab, indem es für Manches, das in ihm schlummerte,zur Fessel wurde.

In welchem Grade jedoch Nietzsches unberücksichtigte starke Talenteihn quälten und störten, während er seinen Fachstudien nachging, dasempfand er darum nicht minder als ein tiefes Leiden. Namentlich wares der Drang nach Musik, den er nicht abzuweisen vermochte, und oftmusste er Tönen lauschen, während er Gedanken lauschen wollte. Wie einetönende Klage begleiten jene ihn durch die Jahre hindurch, bis ihm seinKopfleiden jede Ausübung der Musik unmöglich machte.

Aber wie gross auch der Gegensatz war, den Nietzsches Philologenthumzu seinem spätem Philosophenthum bildete, so fehlt es doch nicht anzahlreichen vermittelnden Zügen, die von der einen Periode zu derandern überleiten.

Grade die Richtung Ritschls, welche diesen Gegensatz zu verschärfenscheint, kam in einer bestimmten Besonderheit Nietzsches Geistesartsogar entgegen, indem sie seinen Hang zum Produciren noch verstärkteund ausbildete. Es lag in ihr das Streben nach einer gewissen formellkünstlerischen Abrundung und virtuosen Behandlung wissenschaftlicherFragen, möglich gemacht durch strenge Begrenzung derselben undConcentrirung auf einen gegebenen Punkt. Bei Nietzsche stand nun dasBedürfniss, durch freiwillige und concentrirte Beschränkung einerAufgabe, dieselbe in rein künstlerischer Weise zum Abschluss zubringen, in engem Zusammenhang mit dem Grundtrieb seiner Natur, überdas Selbstgeschaltene immer wieder hinauszugehen, es als ein endgültigErledigtes, Vergangenes, von sich abzustossen. Für den Philologen istein solcher Wechsel der Aufgaben und Probleme von selbst gegeben,—denfür Nietzsche charakteristischen Ausspruch: »Eine Sache, die sichaufgeklärt hat, hört auf, uns etwas anzugehen,« (Jenseits von Gut undBöse 80)—könnte ein Philologe gethan haben, denn für diesen wirdthatsächlich ein aufgeklärtes Dunkel zu einer völlig erledigten Sache,die ihn nicht länger zu beschäftigen braucht. Aber es sind hiervon tiefverschiedene Gründe, die Nietzsches häufigen Gedankenwechsel bedingen,und daher ist es in hohem Grade interessant zu sehen, wie sich hierdie Gegensätze des Philologenthums und Philosophenthums dennoch zuberühren scheinen, und wie Nietzsche auch in dieser ihm fremdestenVerkleidung,—der nüchtern philologischen,— in dieser äusserstengeistigen Selbstunterordnung, sein Selbst durchsetzte.

Der Philologe tritt einem Problem mit seiner Gesinnung, seinem innernMenschen, überhaupt nicht nahe, assimilirt es sich in keiner Weise undwird von ihm daher auch nur so lange festgehalten, als er zur Lösungder Aufgabe bedarf. Für Nietzsche dagegen bedeutete Beschäftigungmit einem Problem, bedeutete erkennen, vor allem andren: sicherschüttern lassen; und von einer Wahrheit sich überzeugen bedeuteteihm: von einem Erlebniss überwältigt werden,—»über den Haufen geworfenwerden«, wie er es nannte. Er nahm einen Gedanken auf, wie man einSchicksal auf sich nimmt, das den ganzen Menschen ergreift und in Bannschlägt: er lebte den Gedanken noch viel mehr, als er ihn dachte,aber er that es mit einer so leidenschaftlichen Inbrunst, einer somaasslosen Hingebung, dass er sich an ihm erschöpfte,— und, gleicheinem Schicksal, das ausgelebt ist, fiel der Gedanke wieder von ihm ab.Erst in der Ernüchterung, wie sie naturgemäss einer jeden derartigenErregung folgen musste, Hess er seine überwundene Erkenntniss reinintellectuell auf sich wirken; erst dann ging er ihr mit still und klarnachprüfendem Verstände nach. Sein merkwürdiger Wandlungsdrang auf demGebiete philosophischer Erkenntniss war durch den ungeheuren Drang nachimmer neuen Emotionen geistigster Art bedingt, und daher war für ihnvollkommene Klarheit stets nur die Begleiterscheinung von Ueberdrussund Erschöpfung.

Aber selbst in dieser Erschöpfung verlassen ihn seine Problemenicht, der Ueberdruss gilt nur ihren Lösungen, durch welche dieQuelle der Erschütterung momentan verschüttet worden ist. Diegefundene Lösung war deshalb für Nietzsche jedesmal ein Signal zu einemGesinnungswechsel, denn nur so liess sich das Problem festhalten, dieLösung von neuem versuchen. Mit wahrem Hass verfolgte er hinterherAlles, was ihn zu ihr getrieben, Alles, was ihm geholfen hatte,sie zu finden. Da »eine Sache, die sich aufgeklärt hat, aufhört,uns etwas anzugehen«, so wollte Nietzsche im Grunde nichts von derendgiltigen Aufklärung eines Problems wissen, und jenes Wort, dasscheinbar die volle Befriedigung erfolgreichen Denkens zum Ausdruckbringt, bezeichnete für ihn die Tragik seines Lebens: er wolltenicht, dass; die Probleme seiner Forschung jemals aufhören sollten,ihn etwas anzugehen, er wollte, dass sie fortfahren sollten, ihn imTiefsten seiner Seele aufzuwühlen, und daher war er gewissermaassender Auflösung gram, die ihm sein Problem raubte, daher warf er sichjedesmal auf sie mit der ganzen Feinheit und Ueberfeinheit seinerSkepsis und zwang sie schadenfroh,—seines eigenen Leids und desSchadens, den er sich damit zufügte, froh!—ihm seine Probleme wiederherauszugeben. Deshalb kann man von vorn herein mit einem gewissenRecht von Nietzsche sagen: was innerhalb einer Denkrichtung, einerBetrachtungsweise diesen leidenschaftlichen Geist dauernd festhalten,was einen neuen Wandel und Wechsel unmöglich machen soll, das muss imletzten Grunde unaufklärbar für ihn bleiben, es muss der Energiealler Lösungsversuche widerstehen, seinen Verstand an tödtlichenRäthseln aufreiben,—an Räthseln gleichsam kreuzigen. Als endlich inder That auf diesem; Wege die Erschütterung seines Innern stärkergeworden war, als die durch sie gewaltsam gesp*rnte Verstandeskraft, daerst gab es für ihn kein Entrinnen und kein Entweichen mehr. Doch daverlor sich auch nothwendig das Ende in Dunkel, Schmerz und Geheimniss:in eine Besessenheit der Gedanken durch die Gefühlserregungen, dieeinem stürmischen Meere gleich über ihnen zusammenschlugen.

Wer Nietzsches Zickzack-Pfaden bis zuletzt folgt, der tritt dicht andiesen Punkt heran, wo er sich, im Grauen vor einer letzten Aufklärungund Problemlösung, endgiltig in die ewigen Räthsel der Mystikhinabstürzt.—

Die Geistesbegabung Nietzsches zeichnete sich aber noch durch zweiEigenschaften aus, die in gleicher Weise dem Philologen wie späterdem Philosophen zu statten kamen. Die erste war sein Talent fürSubtilitäten, seine Genialität in der Behandlung feinster Dinge, dievon einer zarten und sichern Hand angefasst sein wollen, um nichtverwischt und entstellt zu werden. Es ist dasselbe, was ihn späternach meinem Dafürhalten als Psychologen noch mehr fein als grosserscheinen lässt,—oder lieber: am grössten im Erfassen und Gestaltenvon Feinheiten. Höchst bezeichnend ist dafür der Ausdruck, den ereinmal (Der Fall Wagner 3) von den Dingen gebraucht, wie sie sich demBlick des Erkennenden darstellen: »Das Filigran der Dinge«.

In Verbindung mit diesem Zuge steht die Neigung, Verborgenem undHeimlichem nachzuspüren, Verstecktes ans Licht zu ziehen—; derBlick für das Dunkel, und die instinctiv ergänzende Anempfindung undNachempfindung, wo dem Wissen Lücken bleiben. Ein grosser Theil vonNietzsches Genialität beruht hierauf. Es hängt dies aufs engste mitseiner hohen künstlerischen Kraft zusammen, in der sich der Blickfür das Feine und Einzelne in wundervoller Weise zu einem grossen,freien Schauen des Zusammenhanges, des Gesammtbildes erweitert. ImDienste strengphilologischer Kritik hat er dieses Talent geübt,um aus den Texten das Verblasste und Vergessene gewissenhaftherauszulesen,[2]—aber in diesem Bemühen ist er zugleich schon überseine rein gelehrten Studien hinausgeführt worden. Der Weg, auf demdieses geschah, führt uns zu seiner bedeutendsten philologischenArbeit, zu der Arbeit über die Quellen des Diogenes Laertius.

Denn die Beschäftigung mit dieser Schrift wurde für ihn der Anlass,dem Leben der alten griechischen Philosophen und seiner Beziehungzum Gesammtleben der Griechen nachzugehen. In seinen späteren Werkenkommt er einmal darauf zu sprechen (Menschliches, AllzumenschlichesI 261). Man sieht es, wie er über den Trümmern der Ueberlieferunggesessen und gegrübelt haben mag, in die Lücken, in die entstelltenTheile die verlornen Gestalten hineindichtend, sie nachschaffendund entzückt wandelnd »unter Gebilden von mächtigstem und reinstemTypus«. Er schaut hinein in die Dämmerung jener Zeiten »wie in eineBildner-Werkstätte solcher Typen«. Und es ergreift ihn wunderbar, sichvorzustellen, dass dort die Ansätze gelegen haben mögen zu einem nochhöhern Philosophentypus, wie ihn vielleicht Plato »von der sokratischenVerzauberung frei geblieben« gefunden hätte. Dies Alles ist aber mehrals ein blosser Uebergang vom Philologen zum Philosophen. Was sichda in seinen sehnsüchtig schaffenden Gedanken verrieth, während ergezwungen war, trockene Kritik zu üben, legt schon den letzten undhöchsten Punkt seines Ehrgeizes bloss; nicht umsonst ist es gewesen,dass Nietzsche in die Philosophie nicht auf dem Wege abstracterphilosophischer Fachstudien eintrat, sondern auf dem einer tiefenAuffassung des philosophischen Lebens in seiner innersten Bedeutung.Und wenn wir das Ziel bezeichnen wollten, welchem durch alle Wandlungenhindurch die Kämpfe dieses unersättlichen Geistes galten, so vermöchtenwir dafür kein bezeichnenderes Wort zu finden als das von der ersehntenEntdeckung »einer neuen, bis dahin unentdeckt gebliebenen Möglichkeitdes philosophischen Lebens«. (Menschliches, Allzumenschliches i 261.)

So steht jene rein philologische Schrift dicht vor der ganzen Reihe derspäteren Werke,—einer kleinen, in der Mauer halb verborgenen Pfortevergleichbar, die in ein umfangreiches Gebäude einführt. Wenn wir sieöffnen, streift unser Blick schon die lange Flucht der Innenräume,bis zum letzten, zum dunkelsten. Und wer hier auf der Schwelle stehenbleibt und hindurchblickt, der vermag der gewaltigen Kraft nichtohne Staunen zu gedenken, die Stein um Stein zu einem Ganzen fügte:einer Kraft, die jeden Einzeltheil mit verschwenderischem Reichthumausschmückte, ihn spielend zu so zahllosen Seitengängen und verborgenenVerstecken ausbaute, als beabsichtige sie ein Labyrinth,—und diedennoch mit eiserner Consequenz stets in gerader Grundlinie an ihremWerke weiter schuf.

An seinen griechischen Studien ging aber Nietzsche nicht nur die Ahnungseines innerlichsten Strebens und die erste Fernsicht auf das Zielseiner geheimen Sehnsucht auf, sondern sie wiesen ihm auch den Weg, aufdem er sich diesem Ziel nähern konnte. Denn sie waren es, die ihm dasganze Culturbild des alten Hellenenthums zeigten, die ihm jene Bildereiner versunkenen Kunst und Religion entrollten, in deren Anschauener in durstigen Zügen »frisches volles Leben« trank. So stellt erseine philologische Gelehrsamkeit in den Dienst culturhistorischer,ästhetischer, geschichtsphilosophischer Forschung und überwindet ihrenFormalismus.

Es verwandelt und vertieft sich für ihn damit die Bedeutung derPhilologie, »die zwar weder eine Muse noch eine Grazie, aber eineGötterbotin ist; und wie die Musen zu den trüben, geplagten, böotischenBauern niederstiegen, so kommt sie in eine Welt voll düsterer Farbenund Bilder, voll von allertiefsten und unheilbarsten Schmerzen, underzählt tröstend von den lichten Göttergestalten eines fernen, blauen,glücklichen Zauberlandes«.

Diese Worte sind der Antrittsvorlesung Nietzsches an der BaselerUniversität »Homer und die Klassische Philologie« (24) entnommen,die (Basel 1869) nur für Freunde gedruckt worden ist. Zwei Jahrespäter erschien (Basel 1871) eine andere kleine Schrift derselbenGeistesrichtung: »Sokrates und die griechische Tragödie«, welcheindessen fast vollständig, mit nur äusserlichen Umstellungen desGedankenzusammenhangs, in das 1872 veröffentlichte erste grösserephilosophische Werk Nietzsches: »Die Geburt der Tragödie aus demGeiste der Musik« (Leipzig, E. W. Fritsch, jetzt C. G. Naumann)[3]aufgenommen worden ist. In diesen beiden Arbeiten baute Nietzsche seineculturphilosophischen Ausführungen noch auf streng philologischerGrundlage auf; und sie alle haben dazu beigetragen, seinen Namen unterden philologischen Fachgenossen zu verbreiten. Dennoch bezeichnen sieschon den Weg, den er, von seinem ursprünglichen Fachstudium aus, durchKunst und Geschichte hindurch, zurückgelegt hatte, um schliesslichin die geschlossene Weltanschauung einer bestimmten Philosophieeinzutreten. Es war die Weltanschauung Richard Wagners, die Verknüpfungseines Kunststrebens mit Schopenhauers Metaphysik. Wenn wir das Werkaufschlagen, so befinden wir uns mitten im Bannkreis des Meisters vonBayreuth.

Durch ihn erst vollzog sich für Nietzsche die volle Verschmelzungvon Philologenthum und Philosophenthum, wurde erst jenes Wort wahr,womit er seinen »Homer und die klassische Philologie« schliesst, indemer einen Ausspruch des Seneca umkehrt: »philosophia facta est quaephilologia fuit,« »damit soll ausgesprochen sein, dass alle und jedephilologische Thätigkeit umschlossen und eingehegt sein soll von einerphilosophischen Weltanschauung, in der alles Einzelne und Vereinzelteals etwas Verwerfliches verdampft und nur das Ganze und Einheitlichebestehen bleibt.«

Der Zauber, der Nietzsche auf Jahre hinaus zum Jünger Wagnersmachte, erklärt sich namentlich daraus, dass Wagner innerhalb desgermanischen Lebens dasselbe Ideal einer Kunstcultur verwirklichenwollte, welches Nietzsche innerhalb des griechischen Lebens alsIdeal aufgegangen war. Mit der Metaphysik Schopenhauers trat imGrunde nichts anderes hinzu, als eine Steigerung dieses Ideals insMystische, ins unergründlich Bedeutungsvolle,—gleichsam ein Accent,den es durch die metaphysische Interpretation alles Kunsterlebensund Kunsterkennens noch erhielt. Diesen Accent empfindet man amdeutlichsten, wenn man den »Sokrates und die griechische Tragödie«vergleicht mit der Ergänzung und Erweiterung, die derselbe in demHauptwerk: »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«erhalten hat. In diesem Buche sucht Nietzsche alle Kunstentwicklungauf die Bethätigung zweier entgegengesetzter »Kunsttriebe der Natur«zurückzuführen, die er nach den beiden Kunstgottheiten der Griechenals das Dionysische und das Apollinische bezeichnet. Unter ersteremversteht er das orgiastische Element, wie es sich in den wonnevollenVerzückungen, in der Mischung von Schmerz und Lust, von Freude undEntsetzen, in der selbstvergessenen Trunkenheit Dionysischer Festeauslebte. In ihnen sind die gewöhnlichen Schranken und Grenzen desDaseins vernichtet, scheint das Individuum wieder mit dem Naturganzenzu verschmelzen; zerbrochen ist das Principium individuationis; »derWeg zu den Müttern des Seins, zu dem innersten Kern der Dinge liegtoffen« (86). Näher gebracht wird uns das Wesen dieses Triebes durchdie physiologische Erscheinung des Rausches. Die ihm entsprechendeKunst ist die Musik. Den Gegensatz bildet der formenbildende Trieb,der in Apollo, dem Gott aller bildnerischen Kräfte, verkörpert ist. Inihm vereinigt sich maassvolle Begrenzung, Freiheit von allen wilderenRegungen und weisheitsvolle Ruhe. Er muss als der erhabene Ausdruck,als »die Vergöttlichung des »Principii individuationis« (16) betrachtetweiden, »dessen Gesetz das Individuum, d. h. die Einhaltung der Grenzendesselben, das Maass im hellenischen Sinne ist« (17). Die Macht desdurch ihn symbolisirten Triebes offenbart sich physiologisch in demschönen Schein der Welt des Traumes. Seine Kunst ist die plastische desBildners.

In der Versöhnung und Verbindung dieser beiden sich anfänglichbekämpfenden Triebe erkennt Nietzsche Ursprung und Wesen der attischenTragödie, die als die Frucht der Versöhnung der beiden widerstrebendenKunstgottheiten ebenso sehr dionysisches als apollinisches Kunstwerkist. Entstanden aus dem dithyrambischen Chor, der die Leiden desGottes feierte, ist sie ursprünglich nur Chor, dessen Sänger durchdie dionysische Erregung so verwandelt und verzaubert wurden, dasssie sich selbst als Diener des Gottes, als Satyrn, empfanden und alssolche ihren Herrn und Meister Dionysos schauten. Mit dieser Vision,die der Chor aus sich erzeugt, gelangt sein Zustand zu apollinischerVollendung. Das Drama als »die apollinische Versinnlichung dionysischerErkenntnisse und Wirkungen« ist vollständig. »Jene Chorpartien, mitdenen die Tragödie durchflochten ist, sind also gewissermassen derMutterschoss des eigentlichen Dramas« (41); sie sind das dionysischeElement desselben, während der Dialog den apollinischen Bestandteilbildet. In ihm sprechen von der Scene aus die Helden des Dramas als dieapollinischen Erscheinungen, in denen sich der ursprüngliche tragischeHeld Dionysos objectivirt, als blosse Masken, hinter denen allen dieGottheit steckt.

Wir werden am Schlüsse unseres Buches sehen, in welch eigenthümlicherWeise Nietzsche ganz zuletzt noch einmal auf diesen Gedankenzurückgriff, indem er seine verschiedenen Entwicklungsperiodenund Gesinnungswandlungen so darzustellen versuchte, als seien sienicht unmittelbare Aeusserungen seines Geistes gewesen, sonderngewissermaassen nur willkürlich vorgehaltene Masken, »apollinischeScheinbilder«, hinter denen sein dionysisches Selbst, göttlichüberlegen, das ewig gleiche geblieben sei. Die Ursachen dieserSelbsttäuschung werden wir am Schlüsse erkennen.

Die Bedeutung, die Nietzsche dem Dionysischen beimisst, istcharakteristisch für seine ganze Geistesart: als Philolog hat er mitseiner Deutung der Dionysoscultur einen neuen Zugang zur Welt derAlten gesucht; als Philosoph hat er diese Deutung zur Grundlage seinerersten einheitlichen Weltanschauung gemacht; und über alle seine spätemWandlungen hinweg taucht sie noch in seiner letzten Schaffensperiodewieder auf; verwandelt zwar, insofern ihr Zusammenhang mit derMetaphysik Schopenhauers und Wagners zerrissen ist: aber sich dochgleich geblieben in dem, worin schon damals seine eignen verborgenenSeelenregungen nach einem Ausdruck suchten; verwandelt erscheint siezu Bildern und Symbolen seines letzten, einsamsten und innerlichstenErlebens. Und der Grund dafür ist, dass Nietzsche im Rausch desDionysischen etwas seiner eignen Natur hom*ogenes herausfühlte: jenegeheimnissvolle Wesenseinheit von Weh und Wonne, von Selbstverwundungund Selbstvergötterung,—jenes Uebermass gesteigerten Gefühlslebens, inwelchem alle Gegensätze sich bedingen und verschlingen, und auf das wirimmer wieder zurückkommen werden.

Den schärfsten Contrast zum Dionysischen und der aus ihm geborenenKunstcultur bildet die Geistesrichtung des theoretischen, allerIntuition entfremdeten Menschen, die auf den Namen des Sokratesgetauft wird. In der »Geburt der Tragödie« sucht Nietzsche dieEntwicklung dieser Geistesrichtung von Sokrates an durch diePhilosophie und Wissenschaft aller Jahrhunderte bis auf unsere Zeitin grossen Zügen zu schildern. Mit Sokrates, dessen Vernunftlehresich gegen die ursprünglichen hellenischen Instincte kehrte, umsie zu zügeln,—»schlägt der griechische Geschmack zu Gunsten derDialektik um«, und es beginnt jener Triumphzug des Theoretischen, dasdurch Vernunft-Einsicht die letzten Gründe des Seins zu erforschenund dasselbe corrigiren zu können vermeint. Diesem Optimismus haterst Kants Kritik ein Ende bereitet, indem sie auf die Grenzen destheoretischen Erkennens hinwies und, wie Nietzsche später witzigbemerkt, die Philosophie zu einer »Enthaltsamkeitslehre« reducirt, »diegar nicht über die Schwelle hinwegkommt und sich peinlich, das Rechtzum Eintritt verweigert« (Jenseits von Gut und Böse 204). Dadurchschaffte sie, nach Nietzsche, Raum für die Regeneration der Philosophiedurch Schopenhauer, der endlich einen Zugang zum unerforschten Seinund zu dessen Umgestaltung auf dem Wege der intuitiven Erkenntnisserschlossen habe.

In den Jahren 1873-1876 veröffentlichte Nietzsche im Geist und Sinnseines vorhergehenden Werkes, unter dem Gesammttitel: »UnzeitgemässeBetrachtungen«, vier kleinere Schriften,—bestimmt: »gegen die Zeit,und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zu Gunsten einer kommendenZeit«, zu wirken. Die erste derselben, die den Titel führte: »DavidStrauss, der Bekenner und der Schriftsteller«, bestand in einervernichtenden Kritik des damals überaus gefeierten Buches »Der alteund der neue Glaube«, und einer energischen Befehdung des einseitigenIntellectualismus unserer modernen Bildung. Von dauernderem Interesseist die zweite höchst werthvolle Schrift: »Vom Nutzen und Nachtheilder Historie für das Leben«, deren Grundgedanke in Nietzsches letztenWerken, wenn auch modificirt, aber darum nicht weniger deutlichwiederkehrt als seine Auffassung des Dionysischen. Das Wort Historiebezeichnet hier den Begriff des Gedankenlebens, ganz allgemein gefasst,im Gegensatz zum Instinctleben;—Erkennen des Vergangenen, Wissenvom Gewesenen, im Gegensatz zur vollen Lebenskraft des Gegenwärtigenund Werdenden. Die Schrift behandelt die Frage: »Wie ist das Wissendem Leben unterthan zu machen?« und präcisirt den Standpunkt desVerfassers in dem Satze: »Nur soweit die Historie dem Leben dient,wollen wir ihr dienen.« Sie dient ihm aber nur so lange, als gegenüberden zersetzenden, belastenden und überall eindringenden Einflüssen desGedanklichen die wichtigste Seelenfunction im Menschen noch völligintact geblieben ist. »... die plastische Kraft eines Menschen,eines Volkes, einer Cultur,... ich meine jene Kraft, aus sichheraus eigenartig zu wachsen, Vergangenes und Fremdes umzubilden undeinzuverleiben, Wunden auszuheilen, Verlorenes zu ersetzen, zerbrocheneFormen aus sich nachzuformen« (10). Sonst entsteht in uns ein Chaosfremder, uns nur zugeströmter Reichthümer, die wir nicht zu bewältigen,nicht zu assimiliren im Stande sind, und deren Mannigfaltigkeitdaher das Einheitliche und Organische unserer Persönlichkeitschwer gefährdet. Wir werden dann zum passiven Schauplatzdurcheinanderwogender Kämpfe, in denen sich die verschiedenstenGedanken, Stimmungen, Werthurtheile unaufhörlich befehden; wir leidenunter den Siegen der Einen wie unter den Niederlagen der Andern, ohneim Stande zu sein, unser Selbst zu ihrer Aller Herrn zu machen.

Hier findet sich zum ersten Mal eine Hindeutung auf Nietzsches soviel besprochenen Decadenzbegriff, der in seinen späteren Werkeneine so grosse Rolle spielt. Nicht umsonst gemahnt uns diese ersteBeschreibung der Decadenzgefahr an die von uns gegebene Schilderungseines eignen Seelenzustandes;—wir können hier schon den seelischenUrsprung derselben deutlich erkennen: es ist die geheime Qual, diees diesem leidenschaftlichen Geist verursachte, den steten Andrangüberwältigender Erkenntnisse und Gedankenströmungen auszuhalten,—Gewalt, mit der all sein Denken und Wissen auf sein Innenlebeneinwirkte, so dass die Fülle innerer einander widerstreitenderErlebnisse die geschlossenen Grenzen der Persönlichkeit zu sprengendrohte. Er sagt selbst im Vorwort (V) zu jener Schrift: »—Auch soll ... nicht verschwiegen werden, dass ich die Erfahrungen, die mirjene quälenden Empfindungen erregten, meistens aus mir selbst undnur zur Vergleichung aus Anderen entnommen habe.«[4] Was er in sichselbst vorfand, das wurde ihm zur allgemeinen Gefahr des ganzenZeitalters,—und steigerte sich später sogar zu einer Todesgefahrfür das ganze Menschenthum, die ihn zum Erlöser und Erretteraufrief. Die Folge aber dieses Umstandes ist ein eigenthümlicherDoppelsinn, der durch die ganze Schrift hindurch geht und einemkundigen Nietzsche-Leser sofort auffällt: da nämlich dasjenige, was amherrschenden Zeitgeist seine Bedenken hervorrief, doch etwas wesentlichAnderes war als sein eigenes Seelenproblem, so wendet er sich ohneUnterschied gegen zwei voneinander völlig verschiedene Dinge: Einmalgegen die Verkümmerung eines vollen, reichen Seelenlebens durch denerkältenden und lähmenden Einfluss einseitiger Verstandesbildung: »Dermoderne Mensch schleppt zuletzt eine ungeheure Menge von unverdaulichenWissenssteinen mit sich herum, die dann bei Gelegenheit ordentlichim Leibe rumpeln, wie es im Märchen heisst« (36). »Im Inneren ruhtdann wohl die Empfindung jener Schlange gleich, die ganze Kaninchenverschluckt hat und sich dann still gefasst in die Sonne legt undalle Bewegungen ausser den nothwendigsten vermeidet.... Jeder, dervorübergeht, hat nur den einen Wunsch, dass eine solche »Bildung«nicht an Unverdaulichkeit zu Grunde gehe« (37).—Das andere Malaber gerade gegen die allzu heftige, aufreizende und aufrührerischeEinwirkung des Gedanklichen auf das psychische Leben, gegen den dadurchhervorgerufenen Kampf zusammenhangloser wilder Triebkräfte.

Es ist ein Unterschied wie zwischen Seelenstumpfsinn undSeelenwahnsinn. In Nietzsche selbst pflegten die abstractesten Gedankensich in Gemüthsmächte umzusetzen, die ihn mit unmittelbarer undunberechenbarer Gewalt fortrissen. In dem von ihm gezeichneten Bildeunseres Zeitalters mussten sich ihm daher die beiden entgegengesetztenWirkungen des Intellectuellen vermischen, und in Bezug auf die eine vonihnen,—auf die chaotische Entfesselung des Seelenlebens,—verschmolzenihm in ähnlicher Weise zwei verschiedene Ursachen mit einander. Eshandelt sich nämlich nicht nur um die rein intellectuellen Einflüsse,nicht nur um die Gefahr des Verstandesmässigen für das Instinctmässige,sondern auch um die uns vererbten und einverleibten Einflüsselängst verflossener Zeiten, die, einst einer intellectuellen Quelleentsprungen, jetzt nur in der Form von Trieben und Gefühlsschätzungenin uns leben.

Der geschlossenen Persönlichkeit droht also nicht nur die Gefahr, dievon aussen kommt, sondern auch diejenige, die sie in sich trägt, diemit ihr geboren ist,—jene »Instinct-Widersprüchlichkeit«, die dasErbe aller Spätlinge ist, denn—Spätlinge sind Mischlinge.

Die Ueberwindung des Nachtheils, den die »Historie« in diesemSinn,—erlernt oder erlebt,—bringen kann, liegt in der Hinwendungauf das Unhistorische. Unter dem Unhistorischen versteht Nietzschedie Rückkehr zum Unbewussten, zum Willen des Nichtwissens, zumHorizont-Abschliessenden, ohne das es kein Leben gibt. »Jedes Lebendigekann nur innerhalb eines Horizontes gesund, stark und fruchtbarwerden« (11),... »Das Unhistorische ist einer umhüllenden Atmosphäreähnlich, in der sich Leben allein erzeugt«.... Es ist wahr: erstdadurch, dass der Mensch denkend, überdenkend, vergleichend, trennend,zusammenschliessend jenes unhistorische Element einschränkt, erstdadurch dass innerhalb jener umschliessenden Dunstwolke ein heller,blitzender Lichtschein entsteht, also erst durch die Kraft, dasVergangene zum Leben zu gebrauchen und aus dem Geschehenen wiederGeschichte zu machen, wird der Mensch zum Menschen: aber in einem,Uebermaasse von Historie hört der Mensch wieder auf« (12 f.). SeineKraft misst sich an dem Maass des Historischen, das er verträgt undbesiegt,—an der Kraft des Unhistorischen in ihm: »Je stärkere Wurzelndie innere Natur eines Menschen hat, um so mehr wird er auch von derVergangenheit sich aneignen oder anzwingen; und dächte man sich diemächtigste und ungeheuerste Natur, so wäre sie daran zu erkennen,dass es für sie gar keine Grenze des historischen Sinnes geben würde,an der sie überwuchernd und schädlich zu wirken vermöchte; allesVergangene, eigenes und fremdestes, würde sie an sich heran, in sichhineinziehen und gleichsam zu Blut umschaffen. Das was eine solcheNatur nicht bezwingt, weiss sie zu vergessen; es ist nicht mehr da,der Horizont ist geschlossen und ganz, und nichts vermag daran zuerinnern, dass es noch jenseits desselben Menschen, Leidenschaften,Lehren, Zwecke gibt.« (11) Ein solcher Geist treibt Historie auf alledrei Weisen, auf die sie überhaupt getrieben werden kann, ohne ihrnach irgend einer der drei Richtungen hin zu verfallen: er schaut siean als Monumentalgeschichte, indem er seinen Blick auf den grossenGestalten der Vorzeit ruhen lässt und sie auf sein Werk und seinWollen bezieht, ohne sich jedoch an sie zu verlieren: als begeisterndeVorgänger und Genossen. Er vertieft sich in antiquarische Geschichte,indem er alles Vergangene durchwandert! wie die Stätte seines eignenVorlebens,—wie Jemand, der die Stätte seiner eignen Kindheit betritt,an welcher ihm auch das Geringste werthvoll und bedeutsam erscheint:—»—erversteht die Mauer, das gethürmte Thor, die Rathsverordnung,das Volksfest wie ein ausgemaltes Tagebuch seiner Jugend und findetsich selbst in diesem Allen, seine Kraft, seinen Fleiss, seine Lust,sein Urtheil, seine Thorheit und Unart wieder. Hier Hess es sich leben,sagt er sich, denn es lässt sich leben, hier wird es sich leben lassen,denn wir sind zäh und nicht über Nacht umzubrechen. So blickt er, mitdiesem »Wir«, über das vergängliche wunderliche Einzelleben hinweg undfühlt sich selbst als den Haus-, Geschlechts- und Stadtgeist« (28). Erwird endlich drittens auch kritisch auf die Geschichte blicken, umzum Aufbau einer Zukunft eine Vergangenheit umzubrechen, und hierzubedarf er der grössten Lebenskraft, denn grösser als die Gefahr, einSchwärmer oder ein Sammler zu werden, ist die, ein Verneinender zubleiben. »Es ist immer ein gefährlicher, nämlich für das Leben selbstgefährlicher Process:... Denn da wir nun einmal die Resultatefrüherer Geschlechter sind,... ist (es) nicht möglich sich ganzvon dieser Kette zu lösen.... Wir bringen es im besten Falle zueinem Widerstreite der ererbten, angestammten Natur und unsererErkenntniss,... wir pflanzen eine neue Gewöhnung, einen neuenInstinct, eine zweite Natur an, so dass die erste Natur abdorrt. Esist ein Versuch, sich gleichsam a posteriori eine Vergangenheit zugeben, aus der man stammen möchte, im Gegensatz zu der, aus der manstammt.... Aber hier und da gelingt der Sieg doch, und esgibt ... einen merkwürdigen Trost: nämlich zu wissen, dass auchjene erste Natur irgend wann einmal eine zweite Natur war und dassjede siegende zweite Natur zu einer ersten wird« (33 f.).—Man kanndiese drei Betrachtungsweisen der Historie in gewissem Sinne auf dreiPerioden von Nietzsches eigener Entwicklung anwenden, indem man mitder antiquarischen, die dem Philologen zukommt, den Anfang macht,darauf die monumentale Auffassung folgen lässt, die ihn veranlasst, alsJünger zu Füssen grosser Meister zu sitzen, und endlich seine späterepositivistische Periode als die kritische bezeichnet. Nachdem aberNietzsche auch diese letztere überwunden hatte, verschmolzen ihm alledrei Standpunkte zu einem einzigen, auf dem, wie sich zeigen wird,die in dieser Schrift enthaltenen Gedanken in geheimnissvoller undergreifender Weise wiederkehren sollten, in der extremen und paradoxenZuspitzung des Satzes: das Historische sei unterthan dem individuellenLeben, dessen ständige Bedingung das Unhistorische ist.—Die starkeNatur, die er als zugleich historisch und unhistorisch beschreibt, istsomit ein Erbe aller Vergangenheit und dadurch ungeheuer in der Fülledes Erlebens, aber ein Erbe, der seinen Reichthum wahrhaft fruchtbar zumachen weiss, weil er ihn wahrhaft besitzt, über ihn gebietet,—nichtvon ihm besessen und beherrscht wird. Ein solcher Erbe und Spätlingist dann immer zugleich der Erstling einer neuen Cultur und, alsTräger der Vergangenheit, ein Gestalter der Zukunft: der Reichthum, dener ausstreut, trägt noch den künftigen Zeiten Früchte. Er ist einervon den grossen »Unzeitgemässen«, welche in die fernste Vergangenheitniedertauchen, in die fernste Zukunft hinausweisen, in ihrer Zeit aberimmer als Fremdlinge dastehen, obgleich in ihnen die Gegenwart ihrehöchste Kraft sammelt und ausgibt.

Hier liegt der erste Ansatz zu den Gedanken der letztenSchaffensperiode Nietzsches: ein Einzelner der Genius der gesammtenMenschheit, allein, fähig, von der Gegenwart aus die Vergangenheit alsGanzes zu deuten und damit auch die Zukunft, als fernstes Ganzes, bisin alle Ewigkeit in ihrem Ziel und Sinn zu bestimmen.

Rein äusserlich betrachtet, reichen die Wurzeln dieser Anschauunghinab bis zu Nietzsches Philologenthum, welches ihn dazu führte, sichalter Culturen erkennend zu bemächtigen. Wissen und Sein waren seinergeistigen Eigenart stets Eins: und so hiess für Nietzsche classischerPhilologe sein so viel als Grieche sein. Gewiss musste dies die ihnquälende Instinctwidersprüchlichkeit, welche sich für ihn zum Gegensatzvon Antik und Modern zuspitzte, noch verstärken, gleichzeitig aberauch die Mittel zu ihrer Bekämpfung enthalten, nämlich: durch dieVergangenheit, der Gegenwart überlegen, die Zukunft bauen; aus einemMann der Zeit zu einem Spätling älterer Culturen und einem Erstlingneuer Cultur werden.[5]

Zweien solcher »Unzeitgemässen«,—das ist Vorzeitgemässen undZukunftgemässen, sind die beiden letzten von Nietzsches »UnzeitgemässenBetrachtungen« geweiht: »Schopenhauer als Erzieher«, und »RichardWagner in Bayreuth«. In diesen beiden, mit überströmender Begeisterungaufgerichteten, Standbildern des Genius wird es besonders klar, 'biszu welchem Grade die angestrebte Cultur des Unzeitgemässen in einemCultus des Genies gipfelte. Im Genie besitzt die Menschheit nicht nurihren Erzieher, ihren Führer, ihren Verkünder, sondern auch ihreneigentlichen und ausschliesslichen Endzweck. Die Vorstellung von den»erhabenen Einzelnen«, um derentwillen allein die übrige »Fabrikwaareder Natur« vorhanden sei, ist einer von jenen SchopenhauerischenGrundgedanken, die Nietzsche nie wieder losgelassen haben. Etwasin seinem innersten Geist dürstete ebenso unersättlich nach derungeheuren Steigerung des Egoistischen in das Idealselbstische, dasdarin liegt, als auch nach der dunklen Kehrseite dieses höchstenMenschenlooses, nach dem »Einsamen« und »Heroischen«. In seinermittleren Schaffensperiode ging er scheinbar von dieser ursprünglichenGenievorstellung ab, weil sie ihren metaphysischen Hintergrundeingebüsst hatte, von dem allein der grosse »Einzelne« sich inübermenschlicher Bedeutsamkeit abheben konnte,—wie eine Gestalt ausder höheren und wahren Welt. Aber der Gedanke des Geniecultus bargeinen Ansatz zu dem, was Nietzsche, am Ende seiner Entwicklung, miteinem Griff genialen Wahnsinns, dann wieder aus ihm gestaltet hat.Denn zum Ersatz einer metaphysischen Deutung steigerte sich ihm derpositive Lebenswerth des Genies noch so hoch über SchopenhauersAuffassung desselben hinaus, dass diese letztere nur ein schwachesGegenbild zu der seinen bietet.

Solange nämlich der Geniecultus ein Cultus des Metaphysischen in dermenschlichen Physis blieb, erstreckte er sich auf eine fortlaufendeReihe, eine Kette solcher »Einzelner«, die einander in Sinn undWesen ebenbürtig und gleichwerthig waren. Sie werden nicht alsBestandtheile einer Entwicklungslinie des Menschlichen betrachtet,sie: »—setzen nicht etwa einen Prozess fort, sondern lebenzeitlos-gleichzeitig«,—sie bilden »eine Art von Brücke über den wüstenStrom des Werdens«. »... ein Riese ruft dem anderen durch dieöden Zwischenräume der Zeiten zu, und ungestört durch muthwilliges,lärmendes Gezwerge, welches unter ihnen wegkriecht, setzt sich dashohe Geistergespräch fort.« (Nutzen u. Nachtheil d. Histor. 91). Weiles dieses »Gezwerge« ist, das die ganze Entwicklungsgeschichte sowohlin ihren Geschehnissen, wie in ihren Gesetzen bestimmt, so ist Einssicher: »Das Ziel der Menschheit kann nicht am Ende liegen, sondern nurin ihren höchsten Exemplaren.« (A. a. O.)

Aber da auch die höchsten Exemplare nur das zum Ausdruck bringen,was in der Tiefe des Menschlichen überhaupt, als sein metaphysischesGrundwesen, ruht, so unterscheiden sie sich von der Masse der Menschenweniger durch eine Wesensverschiedenheit, als vielmehr durch eineWesensenthüllung, durch eine göttliche Nacktheit,—während derMensch der Masse tausend über sein wahres Wesen gebreitete Schichtenträgt, die alle der Welt und Lebensoberfläche angehören und sichhier und da bis zur Undurchdringlichkeit verhärten. »Wenn der grosseDenker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre Faulheit: dennihrethalben erscheinen sie als Fabrikware.... Der Mensch, welchernicht zur Masse gehören will, braucht nur aufzuhören, gegen sichbequem zu sein« (Schopenhauer als Erzieher 4). Daher ist liebevolleErziehung und Bemühung um Alle die Folge dieser Anschauungsweise, dieim tiefsten Sinn Alle gleichstellt, weil sie den metaphysischen Kern injeder Schale ehrt; sie entfernt sich darum von nichts so weit als vonNietzsches späteren Forderungen der Sklaverei und Tyrannei.

Ist aber wie in Nietzsches späterer Philosophie dieser metaphysischeHintergrund zerstört, löst sich das übersinnliche Sein in dasunendliche Werden des Wirklichen auf, so vermag sich der Einzelne überdie Masse nur durch einen Wesensunterschied zu erheben, der einemhöchsten Gradesunterschied gleichkommt: indem er die Quintessenzdieses Werdeprocesses repräsentirt, umfasst er denselben möglichstin seiner Totalität, während der Mensch der Masse ihn nur blind undbruchstückweise zu erleben und in sich darzustellen weiss. DieserEinzelne wäre gewissermassen als der Einziges imstande, der langenEntwicklung, die sich Geschichte nennt, einen Sinn zu geben; erselbst wäre nicht wie der Schopenhauerische Mensch geschaffen ausübersinnlichem Stoff, aber dafür wäre er durch und durch Schöpferund als solcher imstande, der Welt jene Bedeutsamkeit der Dinge zuersetzen, an die der Metaphysiker glaubt. Anstatt vieler einanderebenbürtiger Einzelner, die sich wie ein gleichmässig hoherzusammenhängender Bergrücken über dem Menschengetriebe erheben, gibtes daher in Nietzsches letzter Philosophie nur den grossen Einsamen,der sich als Gipfel des Ganzen darstellt; nach oben hin ist er nochviel einsamer als sie, denn er ist als Abschluss der Entwicklung dashöchste Exemplar der Gattung, nach unten aber ist er viel härter undherrischer als sie, denn die Masse und das Leben bedeuten an sich, odermetaphysisch, nichts; er muss ihnen erst bis an seinen Gipfel hinaneine bestimmte Rangordnung verleihen. Es ist leicht begreiflich, warumerst mit ihm der Geniecultus ins Ungeheure wächst, denn in Ermangelungder metaphysischen Deutung, durch die der Schopenhauerische Mensch vonvornherein in eine höhere Ordnung der Dinge erhoben wird, kann Er nurdurch das Mittel des Ungeheuren überzeugen.

Folgendes sind die vier Gedanken der ersten philosophischen PeriodeNietzsches, womit er sich, wenn auch in stets veränderter Auffassungbis zuletzt beschäftigt hat: es sind das Dionysische, die Decadenz, dasUnzeitgemässe, der Geniecultus. Wie wir ihn selbst, so werden wir auchsie immer wiederfinden, und in demselben Maasse, als er sich selbstimmer persönlicher in seiner Philosophie zum Ausdruck bringt, gestalteter auch sie immer charakteristischer. Betrachtet man seine Gedanken inihrem Wechsel und ihrer Mannigfaltigkeit, dann erscheinen sie fastunübersehbar und allzu complicirt; versucht man hingegen aus ihnenherauszuschälen, was sich im Wechsel stets gleich bleibt, dann erstauntman über die Einfachheit und Beständigkeit seiner Probleme. »Immer einAnderer und immer Derselbe!« konnte Nietzsche von sich sagen.

Dass die Wagner-Schopenhauerische Weltanschauung eine so tiefeBedeutung für Nietzsche gewann, dass er später noch nach allen Kämpfenund von ganz entgegengesetzten Richtungen seines Geisteslebens aussich wieder ihren Grundgedanken annäherte, zeigt, wie sehr dieselbeseiner ganzen Natur entgegenkam, wie sehr sich in ihr aussprach, was inihm schlummerte. Aus seinem Philologenthum in dieses Philosophenthumerhoben, fühlte er sich ohne Zweifel einem Gefangenen gleich, von demdie Ketten fallen. Waren doch vorher seine besten Kräfte gebundengewesen; jetzt durfte er aufathmen, jetzt wurde Alles in ihm befreit.Seine künstlerischen Instincte schwelgten in den Offenbarungen derWagner'schen Musik; seine starke Veranlagung zu religiösen undmoralischen Exaltationen genoss in der metaphysischen Ausdeutung dieserKunst eine beständige Möglichkeit der Erhebung. Sein umfassendesgründliches Wissen diente der neuen Weltanschauung, die sich in seinerAuffassung des Griechenthums wiederspiegelte. Da in Wagners Persondas Kunstgenie Thatsache geworden, in ihm gleichsam der »erlösendeHeiland« gegeben war, so fiel Nietzsche die Stellung des Erkennenden,des wissenschaftlichen Vermittlers, zu: damit blieb er in der Aufgabedes Philosophen. Aber die gewonnene Erkenntniss selbst bildete nurden Anlass zur vollen Entfaltung seiner künstlerischen und religiösenEigenart, und eben dies bezeichnet ihren Werth für seinen Geist.Wonach er sich schon während seiner philologischen Studien gesehnthatte, als er dem Leben der alten Philosophen nachforschte, das warhier zur Wahrheit geworden: das Denken ein Erleben, die Erkenntnissein Mitarbeiten und Mitschaffen an der neuen Cultur; im Gedankendurften alle Seelenkräfte Zusammenwirken: er forderte den ganzenMenschen. Nietzsche gibt nur dem befreienden Entzücken Ausdruck, daser hier genoss, wenn er am Schluss seines »Sokrates und die klassischePhilologie« in die Worte ausbricht: »Ach! Es ist der Zauber dieserKämpfe, dass, wer sie schaut, sie auch kämpfen muss!«

Und wie seine einzelnen Geistesanlagen sich jetzt freier auslebenund entwickeln durften, so bot diese Periode in Nietzsches Lebenauch jenem tiefsten, fast weiblichen Bedürfnisse seines Inneren nachpersönlicher Anbetung, nach Aufblick, volle Befriedigung, das sichspäter so schmerzlich an sich selbst befriedigen musste. Mochte dieWagner-Schopenhauerische Philosophie, ihrer ganzen Anschauungsweisenach, ihm ein noch so tiefes Glück gewähren, so war doch dasWerthvollste für ihn hier das persönliche Verhältniss zu Wagner, derunbedingte Aufblick zu ihm. Seine Begeisterung entzündete sich darinan einer ausser ihm stehenden Persönlichkeit, in der er gleichsamdas Ideal seines eigenen Wesens verkörpert zu sehen glaubte. DasGlück eines solchen Glaubens breitet über die Gedanken der erstenphilosophischen Schriften Nietzsches etwas Gesundes, beinahe Naives,das von der Eigenart seiner späteren Werke scharf absticht. Es ist,als sähe man ihn erst an dem Bilde seines Meisters Wagner und dessenPhilosophen Schopenhauer sich selbst begreifen und errathen. Dennmit instinctiver Scheu weist er noch jene Kunst zurück, sein eigenesSelbst in bewusster Weise zum »Object und Experiment des Erkennenden«zu machen, die Kunst, an der er später so gross und so krank werdensollte. »Wie kann sich der Mensch kennen? Er ist eine dunkle undverhüllte Sache; und wenn der Hase sieben Häute hat, so kann der Menschsich siebenmal siebzig abziehen und wird doch nicht sagen können »dasbist du nun wirklich, das ist nicht mehr Schaale«. Zudem ist es einquälerisches gefährliches Beginnen, sich selbst derartig anzugrabenund in den Schacht seines Wesens auf dem nächsten Wege gewaltsamhinabzusteigen. Wie leicht beschädigt er sich dabei so, dass kein Arztihn heilen kann« (Schopenhauer als Erzieher 7). Und deshalb ruft er derJugend, die nach Einsicht in ihr eigenes Selbst begehrt, die Worte zu:»was hat deine Seele hinangezogen, was hat sie beherrscht und zugleichbeglückt? Stelle dir die Reihe dieser verehrten Gegenstände vor dirauf, und vielleicht ergeben sie dir ... ein Gesetz, das Grundgesetzdeines eigentlichen Selbst. Vergleiche diese Gegenstände, sieh,...wie sie eine Stufenleiter bilden, auf welcher du bis jetzt zu dirselbst hingeklettert bist; denn dein wahres Wesen liegt nicht tiefverborgen in dir, sondern unermesslich hoch über dir....« (A. a.O.)

Mit einer Offenheit, die ihm später während der Zeit peinlichsterSelbstanalyse ganz abhanden kam, legt er die Motive bloss, aus denenes ihn von Anfang an inbrünstig nach einer solchen Jüngerschaftverlangt habe—nach einem überlegenen »Wegweiser zugleich undZuchtmeister« (Schopenhauer als Erzieher 14): »... darf ich ein wenigbei einer Vorstellung verweilen, welche in meiner Jugend so häufigund so dringend war, wie kaum eine andre. Wenn ich früher recht nachHerzenslust in Wünschen ausschweifte, dachte ich mir, dass mir dieschreckliche Bemühung und Verpflichtung, mich selbst zu erziehen,durch das Schicksal abgenommen würde: dadurch dass ich zur rechtenZeit einen Philosophen zum Erzieher fände, einen wahren Philosophen,dem man ohne weiteres Besinnen gehorchen könnte, weil man ihm mehrvertrauen würde als sich selbst.« (Schopenhauer als Erzieher 8 f.) Esist interessant, zu beobachten, wie er zu diesem Zwecke hinter demDenker Schopenhauer einen Idealmenschen Schopenhauer zu entdeckensucht,[6] und wie er Wagner gegenüber von einer tiefen Verwandtschaftihrer beiderseitigen Naturen ausgeht. In der That überrascht dieUebereinstimmung der von ihm geschilderten natürlichen und geistigenAnlagen Wagners mit der »Vielstimmigkeit« seiner eigenen Anlagen, wiesie im ersten Theil dieses Buches dargelegt ist. So sagt er in »RichardWagner in Bayreuth« (13): »Jeder seiner Triebe strebte ins Ungemessene,alle daseinsfreudigen Begabungen wollten sich einzeln losreissen undfür sich befriedigen; je grösser ihre Fülle, um so grösser war derTumult, um so feindseliger ihre Kreuzung«.

Dann, beim Eintritt der »geistigen und sittlichen« MannbarkeitWagners, gelangt diese »Vielheit« zum Zusammenschluss und zugleichzu einer eigentümlichen »Spaltung in sich«. »Seine Natur erscheintin furchtbarer Weise vereinfacht, in zwei Triebe oder Sphärenauseinandergerissen. Zu unterst wühlt ein heftiger Wille in jäherStrömung, der gleichsam auf allen Wegen, Höhlen und Schluchten ansLicht will und nach Macht verlangt. (10.).... Der gesammteStrom stürzte sich bald in dieses, bald in jenes Thal und bohrte indie dunkelsten Schluchten:—in der Nacht dieses halb unterirdischenWühlens erschien ein Stern hoch über ihm....« (12.) »Wir thun einenBlick in die andere Sphäre Wagners. Es ist die eigenste Urerfahrung,welche Wagner in sich selbst erlebt und wie ein religiöses Geheimnissverehrt:... jene wundervolle Erfahrung und Erkenntniss, dassdie eine Sphäre seines Wesens der andern treu blieb,... dieschöpferische, schuldlose lichtere Sphäre der dunkelen, unbändigen,tyrannischen.« (13.)

»Im Verhalten der beiden tiefsten Kräfte zu einander, in der Hingebungder einen an die andere, lag die grosse Nothwendigkeit, durch welche erallein ganz und er selbst bleiben konnte.« (13.)

Gegen den Schluss der Schrift sucht Nietzsche auch die Musik Wagnersaus dieser ihm selbst so verwandten Eigenart heraus zu begreifen, indemer das musikalische Genie Wagners als eine Art Wiederspieglung vondessen seelischen Zuständen auffasste:

»—wie seine Musik sich mit einer gewissen Grausamkeit desEntschlusses dem Gange des Dramas, der wie das Schicksal unerbittlichist, unterwirft, während die feurige Seele dieser Kunst darnach lechzt,einmal ohne alle Zügel in der Freiheit und Wildniss umherzuschweifen.«(82.)

»Ueber allen den tönenden Individuen und dem Kampfe ihrerLeidenschaften, über dem ganzen Strudel von Gegensätzen, schwebt,...ein übermächtiger symphonischer Verstand, welcher aus dem Kriegefortwährend die Eintracht gebiert.« (79.)

»Nie ist Wagner mehr Wagner, als wenn die Schwierigkeiten sichverzehnfachen und er in ganz grossen Verhältnissen mit der Lust desGesetzgebers walten kann. Ungestüme, widerstrebende Massen zu einfachenRhythmen bändigen, durch eine verwirrende Mannigfaltigkeit vonAnsprüchen und Begehrungen Einen Willen durchführen«—. (80.)

Aber gerade diese Verwandtschaft ihrer beiderseitigen Naturen mussteNietzsche schliesslich zu einer Weiterentwicklung seines Geistesauf einsamen Bahnen führen, sie musste ihn irgend wann einmal vonWagner losreissen. Sobald Nietzsche in dieser Periode den Höhepunkterreicht hat, ist auch schon der erste Schritt vorgezeichnet, der ihnunvermeidlich abwärts führen musste. Es erscheint als eine völligeVerkehrung des Sachverhalts, wenn er später in seinem ungerechtenBüchlein »Der Fall Wagner« behauptet: »Mein grösstes. Erlebniss wareine Genesung. Wagner gehört bloss zu meinen Krankheiten.« (Vorwort.)Denn in das Krankhafte geht seine Entwicklung erst lange nach seinemBruch mit Wagner, ja man kann von seiner Wagnerperiode in gewissemSinne sagen, dass sie zu seinen überwundenen Gesundheiten gehört habe.Trotzdem aber darf man das Wahre in seiner Behauptung nicht überhören:dass er nämlich damals seinen eigenen Höhepunkt noch nicht erreichthabe, wie gesund und glücklich er auch zu jener Zeit gewesen sei.

Diese Gesundheit hätte er sich nur erhalten können um den Preis derGrösse. Um aus dem Jünger ein Meister zu werden, musste er erst in seinSelbst einkehren; da aber seine Natur mit zwingender Nothwendigkeitnach einer Jüngerschaft im religiösen Sinne verlangte, so blieb nur dieeine Möglichkeit, Jünger und Meister in sich selbst zu vereinigen,—sei es auch, um daran zu leiden, sei es auch, um an einer krankhaftenVerschmelzung Beider zu Grunde zu gehen. Von seinem Weg zur Grössegilt Zarathustras Wort: »Gipfel und Abgrund—das ist jetzt in Einsbeschlossen!«

Man hat dem Abfall Nietzsches von Wagner die verschiedenartigstenDeutungen gegeben, man hat ihn aus rein idealenBeweggründen—unwiderstehlichem Wahrheitsdrang—und auch ausmenschlichen-allzumenschlichen Motiven zu erklären gesucht. InWirklichkeit kreuzte sich aber wohl beides darin in ganz ähnlicherWeise, wie dies schon in der allerersten Wandlung Nietzsches, in seinerAbwendung vom Glauben, der Fall gewesen war; gerade der Umstand, dasser volles Genügen, Seelenfrieden und eine Geistesheimat gefunden hatte,dass ihm Wagners Weltanschauung so weich und glatt anlag wie eine»gesunde Haut«, kitzelte ihn, sie sich abzustreifen, Hess ihm sein»Ueberglück als Ungemach« erscheinen, Hess ihn »verwundet werden vonseinem Glück«. Auf diese Art der Entstehungseiner freigeisterischenRichtung findet seine »Vermuthung über den Ursprung der Freigeisterei«überhaupt (Menschliches, Allzumenschliches I 232) Anwendung, die durchallzu starke Empfindungsseligkeit in der gegebenen Weltanschauungerzeugt werde: »Ebenso wie die Gletscher zunehmen, wenn in denAequatorialgegenden die Sonne mit grösserer Gluth als früher aufdie Meere niederbrennt, so mag auch wohl eine sehr starke, um sichgreifende Freigeisterei Zeugniss dafür sein, dass irgendwo die Gluthder Empfindung ausserordentlich gewachsen ist.«

Erst in der selbstgewollten, selbstgesuchten Peinigung wuchs seinemGeist die streitbare, harte Rüstung, mit der gewappnet er dann gegenseine alten Ideale zu Felde zog. Gewiss empfand er es als eineBefreiung, sich mit dem Verzicht auf Erhebendes und Schönes zugleichaus einer letzten Abhängigkeit loszulösen; aber dennoch stellte dieseSelbstbefreiung einen Act der Entsagung dar; er litt unter ihr, wie manunter Wunden leidet, auch wenn man sie sich selbst geschlagen hat.

Der Bruch vollzog sich endgiltig und für Wagner völlig unerwartet,als dieser mit seiner Parsifal-Dichtung bei katholisirenden Tendenzenangelangt—war, während Nietzsches Geistesentwicklung in einer jähenWandlung sich der positivistischen Philosophie der Engländer undFranzosen zugewandt hatte. Der Abfall Nietzsches von Wagner bedeuteteaber nicht nur eine Trennung der Geister, sondern zerriss zugleich einVerhältniss, in welchem sich beide so nahe gestanden hatten, wie nurder Sohn dem Vater, der Bruder dem Bruder nahe steht. Ganz vergessen,ganz verschmerzen konnte es wohl keiner von ihnen. Noch im Herbst 1882,ein halbes Jahr vor dem Tode Wagners, wurde während der BayreutherFestspiele,—der Erstaufführung des Parsifal—, der Versuch gemacht,Nietzsche vor dem Meister zu erwähnen. Nietzsche weilte damals in derNähe, in dem thüringischen Dörfchen Tautenburg bei Dornburg, und seinealte Freundin Fräulein von Meysenbug meinte, obschon mit Unrecht, dassim Fall des Gelingens Nietzsche zu bewegen gewesen wäre, nach Bayreuthzu kommen und Sich mit Wagner zu versöhnen. Indessen der Versuchmisslang; Wagner verliess in grosser Erregung das Zimmer und verbot,den Namen jemals wieder vor ihm auszusprechen. Aus ungefähr derselbenZeit stammt folgender in Facsimile wiedergegebene Brief Nietzsches, derseine eigene Stellung in dem Bruch mit Wagner beredt genug schildert:

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(Gedruckter Text.)

Wenn ich diese kurze Schilderung lese, dann sehe ich ihn selbst vormir, wie er, während einer gemeinsamen Reise von Italien her durch dieSchweiz, mit mir das Gut Triebschen bei Luzern besuchte, den Ort, anwelchem er mit Wagner unvergessliche Zeiten verlebt hatte. Lange, langesass er dort schweigend am Seeufer, in schwere Erinnerungen versunken;dann, mit dem Stock im feuchten Sande zeichnend, sprach er mit leiserStimme von jenen vergangenen Zeiten. Und als er aufblickte, da weinteer.

Mit seiner innern und äussern Loslösung von dem Wagnerthum und derPhilosophie Schopenhauers fällt Nietzsches schwerstes körperlichesLeiden zusammen. So lebte er damals, körperlich wie geistig, unterStürmen und Schmerzen, die ihn in die Nähe »leiblichen wie seelischenTodes« brachten. Seine Krankheit war zum Ausbruch gekommen inden Jahren gesteigertster Productivität, allzu vielseitiger undaufreibender Beschäftigung mit wissenschaftlichen Untersuchungen,philosophischen Problemen, mit der geistigen Bewegung der Gegenwart,der Kunst Wagners und mit der Musik selbst. Es ist gewiss nichtzufällig, dass auch der letzte, verhängnissvolle Ausbruch seinesKopfleidens am Ende der Achtziger Jahre ebenfalls auf eine Periodeungeheurer geistiger Schaffenskraft und Regsamkeit folgte. Wenner sich am gesundesten und rüstigsten, in der Vollkraft seinerLeistungsfähigkeit fühlte, dann kam er stets der Krankheit am nächsten;und die Zeiten unfreiwilliger Müsse und Ruhe waren es, die ihm immerwieder Erholung brachten und die Katastrophe noch aufhielten.

Dieser Vorgang spiegelt rein körperlich etwas von jenem eigenthümlichpathologischen Zuge der »Uebergesundheit« seines Geisteslebens wieder,welche in Krankheitszustände überzuströmen pflegte, nachdem sie ihrenHöhepunkt erreicht hatte. Aus ihnen rang er sich aber mit der zähenKraft seiner ungeheuren Natur stets wieder zur Gesundheit durch.

Solange er noch die Schmerzen bezwang und die volle Arbeitskraftin sich fühlte, konnte selbst das Leiden seiner lebensvollenUnverwüstlichkeit und Selbstbehauptung noch nichts anhaben. Noch am 12.Mai 1878 schreibt er im Ton getrosten Muthwillens in einem Briefe ausBasel: »Die Gesundheit schwankend und gefährlich, aber—fast hätte ichgesagt: was geht mich meine Gesundheit an?«

Aber dann folgt, am 14. December 1878, die Hindeutung auf denvoraussichtlich nothwendigen Rücktritt von der Professur: »MeinZustand ist eine Thierquälerei und Vorhölle, ich kanns nicht leugnen.Wahrscheinlich hört es mit meiner akademischen Thätigkeit auf,vielleicht mit der Thätigkeit überhaupt, möglicherweise mit....u. s. w.« Und dann die bittere Klage: »Es scheint mir nichts mehrzu helfen, die Schmerzen waren gar zu toll.... Immer heisst es:Ertrage! Entsage! Ach, man bekommt die Geduld auch satt. Wir haben dieGeduld zur Geduld nöthig!«

Endlich, im Tone stiller Ergebung, ein Brief aus Genf, vom 15. Mai 1879:

»Mir geht es nicht gut, aber ich bin ein alter routinirterLeidtragender und werde meine Bürde weiterschleppen,—aber nichtmehr lange, so hoffe ich!«

Bald darauf legte er seine Professur nieder, und auf immer umfingihn die Einsamkeit, Der Verzicht auf seine Lehrthätigkeit fielihm schwer,—war es doch im Grunde der Verzicht auf jede fernerestrengwissenschaftliche Arbeit. Kopf und Augen,—er nennt sich selbsteinen »Kranken, der jetzt leider auch ein Sieben-Achtel-Blinderist, und nicht mehr lesen kann, ausser mit Schmerzen und auf einViertelstündchen« (Brief an Rée)—, hinderten ihn nunmehr dauernd aneinem stofflichen Ausbau seiner Gedanken durch ausgebreitete Studien.Wie umfangreich und vielseitig er seine Forschungen angelegt hatte,zeigt die grosse Mannigfaltigkeit seiner an der Universität und amPädagogium zu Basel gehaltenen Vorlesungen.

Allerdings beschränkte er sich damals noch auf die Erforschung desHellenenthums und blieb philosophisch in den Fesseln eines bestimmtenmetaphysischen Systems gebunden. Aber seine spätere Selbstbefreiung vomZwang dieses Systems hätte unter andern Gesundheitsverhältnissen um sogünstiger wirken müssen. Das Culturbild des griechischen Lebens, ausdem er damals mit den Augen des Metaphysikers die tiefsten Grundzügedes Weltbildes und Menschenlebens herauszulesen meinte, würde sichihm, auf dem Wege wissenschaftlicher Weiterarbeit, allmählig zu einemTotalbilde der Weltentwicklung erweitert haben. In der Genialitätseiner feinen Anempfindung und künstlerischen Nachgestaltungskraftwar er geradezu prädestinirt zu geschichtsphilosophischen Leistungenim Grossen. Sein Drang zum Produciren wäre dadurch gehindert worden,sich allzusehr ins Subjective zu verlieren; empfand er es doch oftmalsselbst, dass, je beflügelter, drängender und leidenschaftlichergeartet die Gedanken sind, desto umfassender und strenger der Stoffsein müsse, an dem sie gebunden, von dem sie beherrscht werden. Daherbegegnen wir in seinen Werken bis zuletzt immer wieder erneutenfruchtlosen Anstrengungen, sich nach aussen hin auszubreiten und seinDenken wissenschaftlich zu begründen,—es ist etwas vom vergeblichenFlügelschlagen eines gefangenen Adlers darin. Er war durch seineGesundheit genöthigt, sich selbst zum Stoff seiner Gedanken zunehmen, sein eignes Ich seinem philosophischen Weltbilde unterzulegenund dieses aus dem eignen Innern herauszuspinnen. Vielleicht hätteer im andern Falle etwas so ganz Eigenartiges,—und daher so ganzEinzigartiges, nicht geleistet. Aber trotzdem vermag man nichtohne das tiefste Bedauern auf diesen Wendepunkt in NietzschesSchicksal zurückzublicken,—auf diesen unheimlichen Zwang zurSelbstvereinsamung und Selbstabschliessung,—man vermag sich dem Gefühlnicht zu entziehen, dass er hier an einer Grösse, die ihm Vorbehaltenwar, vorübergeht.

An dieser Stelle wird es um Nietzsche Nacht. Seine bisherigen Ideale,seine Gesundheit, seine Arbeitskraft, sein Wirkungskreis,—Alles, wasseinem Leben Licht und Glanz und Wärme gegeben hatte, entschwand ihmeins nach dem andern. Es war ein ungeheurer Zusammenbruch, unter dessenTrümmern er wie begraben wurde. Es begannen seine »Dunkel-Zeiten.«(S. Der Wanderer u. sein Schatten 191.)

Die jetzt folgenden Schriften sind nicht, wie die bisherigen, auseiner Fülle herausgeschöpft, die in ihm angesammelt und bereit lag,von einem Ziel aus verfasst, das er erreicht zu haben glaubte,—sieerzählen vielmehr davon, wie er sich in seiner Nacht orientirt undlangsam vorwärts tastet, sie sind die qualvollen, kampfvollen, endlichsieghaften Schritte nach einem dunklen Ziele hin.

»Als ich allein weiter ging,« bekennt er viele Jahre später(Einführende Vorrede zum zweiten Bande von »Menschliches,Allzumenschliches«) von dieser Zeit, »zitterte ich: nicht langedarauf, und ich war krank, mehr als krank, nämlich müde, aus derunaufhaltsamen Enttäuschung über Alles, was uns modernen Menschenzur Begeisterung übrig blieb....« Aber nicht als einen Klagendensehen wir ihn sich durch die Trümmer hindurchkämpfen,—und mit Rechtbezeichnet er dies als den Reiz jener Schriften: »dass hier einLeidender und Entbehrender redet, wie als ob er nicht ein Leidenderund Entbehrender sei.« (Ebendaselbst.)

Immer wieder wird er zu einem Neu-Schaffenden und Neu-Entdeckenden.Tief unter die Trümmerwelt steigt er hinab, er untergräbt undunterwühlt noch ihre letzten Fundamente und späht mit nachtgewöhntemAuge nach den verborgenen Schätzen und Heimlichkeiten des Erdinnernaus. Ein zweiter Trophonius, listig aus-und einschlüpfend, weiss erauch aus der Tiefe noch Aufschluss zu geben über die Welt da drobenund ihr Räthsel zu deuten. So sehen wir ihn: »einen Unterirdischen, ander Arbeit, einen Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden,... wie erlangsam, besonnen, mit sanfter Unerbittlichkeit vorwärts kommt, ohnedass die Noth sich allzusehr, verriethe, welche jede lange Entbehrungvon Licht und Luft mit sich bringt.« Und darüber kommt uns jenezuversichtliche Frage, mit der er selbst auf diese Jahre zurückblickte,und die die Betrachtung seiner ferneren Entwicklungsgeschichte unsbeantworten soll: »—Scheint es nicht, dass ... er vielleicht seineeigne lange Finsterniss haben will, sein Unverständliches, Verborgenes,Rätselhaftes, weil er weiss, was er auch haben wird: seinen eignenMorgen, seine-eigne Erlösung, seine eigne Morgenröte?...« (EinführendeVorrede zur neuen Ausgabe der »Morgenröte«.)

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(Gedruckter Text.)

Mit solchen Gefühlen von Selbstmitleid und Selbstbewunderung blickteNietzsche auf die Geistesperiode zurück, vor welcher wir nunmehrstehen. Wir sehen: das Charakterische sind von vornherein dieKämpfe und Wunden, die es ihn kostete, sich die neue Weltanschauunganzueignen; es ist das tiefe Erkranken an ihr, aus dem er sichalsdann seine neue Gesundheit schuf. Seine Originalität musste sichdaher zunächst viel weniger in den Einsichten und Theorien selbstaussprechen, die sich ihm damals erschlossen, als vielmehr in derKraft, mit der er sich vom alten Ideal losriss, um sie erfassenzu können. Er gelangte eben nicht wie die Meisten zum Bewusstseinerhöhter Selbständigkeit und eigenster Geistesthätigkeit auf Grundeiner intellectuellen Entwicklung, die uns gleichgiltig und kaltstimmt gegenüber den verlassenen unreiferen Gedanken. Er gelangte dazunur durch eine gewaltsame Empörung gegen das Ehemalige, wobei dieintellectuellen Gründe den Gesinnungswechsel weniger bedingten alsbegleiteten. Daher sehen wir anfänglich immer, dass Nietzsche die neuenGedanken in einer gewissen Unselbständigkeit so hinnimmt, wie er siegerade vorfindet,—dass er sie zunächst wieder kritiklos empfängt; dennseine ganze Kraft ist inzwischen vollständig in Anspruch genommen vonden allerinnerlichsten Erlebnissen, und die neuen Theorien als solchebilden,—um einen Lieblingsausdruck von Nietzsche zu gebrauchen,—nureine vorläufige »Vordergrundsphilosophie«, während im verborgenenHintergründe, den Kämpfen des Seelenlebens, sich der eigentlichentscheidende Process abspielt.

Je fester er mit dem Alten verwachsen ist, je gewaltsamer der Sprungins Neue eine vollständige Entwurzelung aus dem heimischen Geistesbodenverlangt, desto tiefer ist die innere Bedeutung der Wandlung. Sokann man in gewissem Sinne sagen, dass gerade die scheinbare innereUnselbständigkeit, mit welcher Nietzsche sich einer fremden Denkweisevorläufig hingiebt, eine Kraft heroischester Selbständigkeit verbürgt.Während die theuersten Gedanken ihn heimlocken, überlässt er sichwehrlos Gedankenkreisen, denen gegenüber er sich noch als Fremdling,ja insgeheim noch als Gegner fühlt,—aber mit jenem schönen Wort imHerzen: »Ein Sieg und eine eroberte Schanze sind nicht mehr deineAngelegenheit, sondern die der Wahrheit,—aber auch deine Niederlageist nicht mehr deine Angelegenheit.« (Morgenröthe 370 »Inwiefern derDenker seinen Feind liebt.«)

Man muss dies im Auge behalten, wenn man Nietzsches unvermitteltemGesinnungswechsel gerecht werden und die Entstehung seinespositivistischen Erstlingswerkes begreifen will,—dieses Werkes,welches so überraschend und unerwartet seinem Geiste entsprang. Erstim Jahre 1876 war die letzte der »Unzeitgemässen Betrachtungen«,das in überströmender Begeisterung geschriebene Büchlein »RichardWagner in Bayreuth«, erschienen, und schon in dem Winter 1876/1877entstand die erste seiner Aphorismensammlungen: Menschliches,Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. (Dem AndenkenVoltaire's geweiht zur Gedächtniss-Feier seines Todestages, des 30.Mai 1778) nebst einem Anhang: Vermischte Meinungen und Sprüche.(Verlag von Ernst Schmeitzner, Chemnitz, 1878.) Von keinem Buche giltmit grösserm Recht das Wort, das er über die Werke dieser Periodeschrieb: »Meine Schriften reden nur von meinen Ueberwindungen:ich bin darin, mit Allem, was mir feind war.... Einsam nunmehr,...nahm ich ... Partei gegen mich und für Alles, was gerade mirwehe that und hart fiel«. (Einführende Vorrede zur Neuen Ausgabe vonMenschliches, Allzumenschliches II, VIII.) Jenes Werk spiegelt dendamaligen Zustand seines Geistes so deutlich wieder, dass es zweivöllig von einander verschiedene Bestandtheile zu enthalten scheint:einerseits den noch unselbständigen Positivisten Nietzsche, der unsin den neu übernommenen Theorien fast nichts Eigenes giebt, sondernuns nur darüber orientirt, wo er sich jetzt befindet,—in welcheneue »Haut« er sich fast passiv hat kleiden lassen; andererseitsden Kämpfer und Dulder Nietzsche, der sich entschlossen von denehemaligen Idealen losringt und uns in diesem Kampfe eine ergreifendeFülle des originalsten Gedankenlebens durch die Inbrunst offenbart,mit welcher er sich gegen sein eigenes altes Selbst wehrt und sichselbst verwundet. Hieraus erklärt sich auch die Leidenschaftlichkeitund Rücksichtslosigkeit der Angriffe, die er gegen Wagner und dessenAnsichten richtet. Niemand ist weniger fähig zu ruhig abwägenderGerechtigkeit als der, welcher seinen Ueberzeugungswechsel geradevollzieht,—und dies nicht aus rein intellectuellen Gründen, sondernselber aus der Tiefe des »Menschlichen, Allzumenschlichen« seinereigenen Natur heraus. Keinen Gedanken schleudern wir so weit, soheftig von uns fort, als denjenigen, von dem wir uns soeben erst inschmerzlichem Widerstreit getrennt haben, und vor dem wir noch verletztund erschüttert, voll geheimer Wunden, die unser Stolz verbirgt,dastehen: es ist Hass darin als ein Nachklang unvergesslicher Liebe.

Durchaus bezeichnend für das Jähe und Innerliche der WandlungNietzsches ist es, dass sie auch diesmal ihren Ausgang von einempersönlichen Verhältniss nahm. Wie der bitterste Stachel im Kampfgegen das alte Erkenntnissideal ein Freundschaftsbruch war, soverkörperte sich für Nietzsche auch der neue Erkenntnisstypus wiederumin einer Persönlichkeit. Je leidensvoller die Einsamkeit, in welcheder Freundschaftsbruch ihn zurückwarf, desto mehr Innigkeit gewannNietzsches Beziehung zu Paul Rée, denn »für einen solchen Einsamen istder Freund ein köstlicherer Gedanke als für die Vielsamen,« wie er Réeeinmal schreibt. (31. October 1880, aus Italien.)

War sein Verhältniss zu Richard Wagner durch die Ausschliesslichkeitgekennzeichnet, mit der Nietzsche in ihm aufging und zu ihm aufsah:durch seine Jüngerschaft,—so bildet sein Freundschaftsbund mit Réemehr eine geistige Genossenschaft, die selbst dadurch nicht behindertwurde, dass die Freunde fern von einander lebten, und Rée nur zeitweiseseinen Wohnsitz in Westpreussen verlassen konnte, um mit Nietzsche anverschiedenen Orten zusammenzutreffen. Schon am 19. November 1877 klagtNietzsche von Basel aus, wo er noch im Kreise von Gesinnungsgenossenlebte, über diese Entfernung, welche ihn, infolge einer ErkrankungRées, für längere Zeit vom Freunde getrennt hielt:

»Möge ich bald von Ihnen, mein Freund, hören, dass die bösenKrankheitsgeister ganz von Ihnen gewichen sind; dann bliebe mir für Ihrneues Lebensjahr nichts zu wünschen übrig, als dass Sie bleiben, derSie sind und dass Sie mir bleiben, der Sie im letzten Jahre waren,...ich muss Ihnen doch sagen, dass ich in meinemLeben noch nicht so viel Annehmlichkeiten von der Freundschaft gehabthabe, wie durch Sie in diesem Jahre, gar nicht von dem zu reden,was ich von Ihnen gelernt habe. Wenn ich von Ihren Studien höre, sowässert mir immer der Mund nach Ihrem Umgänge; wir sind geschaffendafür, uns gut zu verständigen, ich glaube, wir finden uns immer aufdem halben Wege schon, wie gute Nachbarn, die immer zur gleichen Zeitden Einfall haben, sich zu besuchen, und sich auf der Grenze ihrerBesitzungen einander entgegenzukommen. Vielleicht steht es ein wenigmehr in Ihrer Gewalt, als in meiner, die grosse räumliche Entfernungzu überwinden; darf ich in dieser Beziehung für das neue Jahr hoffen?Ich selber bin gar zu elend und gebrechlich daran, als dass ich nichtum die beste Freude, die es giebt, bitten dürfte, selbst wenn die Bitteunbescheiden ist—ein gutes Gespräch unter uns über menschliche Dinge,ein persönliches Gespräch, nicht ein briefliches, zu dem ich immeruntauglicher werde....«

Je mehr Nietzsches körperliches Leiden ihn in die Einsamkeit zwang,je einsiedlerischer, fern von allen Menschen, er leben musste, umdieses Leiden ertragen zu können, desto sehnsüchtiger verlangt ernach dem Freunde, der seine Einsamkeit zur »Zweisamkeit« machensolle: »Zehnmal täglich wünsche ich bei Ihnen, mit Ihnen zu sein.«(Brief aus Basel, December 1878.) »Immer knüpfe ich im Geist meineZukunft mit der Ihrigen zusammen.« (Aus Genf, Mai 1879.) »VieleWünsche habe ich aufgeben müssen, aber noch niemals den, mit Ihnenzusammenzuleben,—mein »Garten Epikurs.«« (Aus Naumburg, den letztenOctober 1879.)

Die heftigen Schmerzen und Anfälle, unter denen Nietzsche litt, wecktendamals Todesgedanken in ihm, und diese geben einem jeden Wiederseheneine besonders tief empfundene Bedeutung. »Wie viel Freude haben Siemin gemacht, mein lieber, ausserordentlich lieber Freund!« ruft ernach einem solchen aus. »Also ich habe Sie noch einmal gesehen und sogefunden, wie mein Herz mir die; Erinnerung bewahrt hatte; wie einbeständiger, angenehmer Rausch wars, diese Tage hindurch. Ich gesteheIhnen, ich hoffe nicht mehr auf ein Wiedersehn, die Erschütterungmeiner Gesundheit ist zu tief, die Qual zu anhaltend, was nützt miralle Selbstüberwindung und Geduld! Ja, in Sorrentiner Zeiten gab esnoch zu hoffen, aber das ist vorbei. So preise ich denn, Sie gehabt zuhaben, mein herzlich geliebter Freund.«—

Die beiden Freunde gelangten in diesen Jahren zu um soübereinstimmenderen Ansichten, als ihre Studien vielfach gemeinsamewaren. Rée vermittelte Nietzsche meistens die Bücher, deren erbedurfte, las dem Augenleidenden vor und lebte mit ihm in einemständigen, theils brieflichen, theils persönlichen Verkehr undGedankenaustausch.

»Mein geliebter Freund!« schreibt Nietzsche nach eineretwas länger währenden Trennung, »Für unser Zusammensein,—falls ich dieses Glück doch noch erleben sollte, istviel in mir präparirt. Auch ein Kistchen Bücher stehtfür jenen Augenblick bereit, Réealia betitelt, es sindgute Sachen darunter, über die Sie sich freuen werden.Können Sie mir ein lehrreiches Buch, womöglich englischerAbkunft,[7] aber ins Deutsche übersetzt und mit mit gutem,grossem Druck zusenden?—Ich lebe ganz ohne Bücher, alsSieben-Achtel-Blinder, aber ich nehme gern die verboteneFrucht aus Ihrer Hand.—Es lebe das Gewissen, weil esnun eine Historie haben wird und mein Freund an ihm zumHistoriker geworden ist! Glück und Heil auf Ihren Wegen. VonHerzen Ihnen nahe

Ihr
Friedrich Nietzsche.

So schreibt er dem Freunde immer wieder, in verschiedenen Wendungen:»Bei allem Guten, das Sie thun oder Vorhaben, wird auch für mich derTisch gedeckt und mein Appetit ist sehr lebendig nach Réealismus, daswissen Sie!«

So wurde denn der Réealismus die ursprüngliche Form, in der Nietzscheden philosophischen Realismus in sich aufnahm und den alten Idealismusbegrub. Schon das anonym erschienene kleine Erstlingswerk Rées (Berlin,Carl Duncker, 1875), dessen »Psychologische Beobachtungen«—Sentenzen im Geist und Stil La Rochefoucaulds— schätzte Nietzschenicht nur, sondern er überschätzte es sogar, wie ein noch jetzterhaltener Brief an den Verfasser bekundet. Rées Lieblingsautorenwurden nun auch die seinigen: die französischen Aphoristiker, dieLa Rochefoucauld, La Bruyère, Vauvenargues, Chamfort, beeinflusstenum diese Zeit ausserordentlich Nietzsches Stil und Denken. Von denphilosophischen Schriftstellern Frankreichs bevorzugte er mit Rée,Pascal und Voltaire, von den Novellisten Stendhal und Mérimée. Vonungleich tieferer Bedeutung war jedoch für ihn Rées zweites Werk »DerUrsprung der moralischen Empfindungen« (Chemnitz, Ernst Schmeitzner,1877)[8], das für die nächste Zeit gewissermassen Nietzschespositivistisches Glaubensbekenntnis bildete. Dadurch wurde er zuden englischen Positivisten gefühlt, an die Rée sich angeschlossenhatte, und die auch Nietzsche bald allen ähnlichen deutschen Werkenvorzog. Die Hauptanziehungskraft, die der Positivismus auf ihnausübte, lag vornehmlich in der Beantwortung jener einen Frage, dieRée in seinem Buch behandelte, der Frage nach der Entstehung desmoralischen Phänomens. Für Rée fiel sie zusammen mit der Fragenach den Gründen der Sanction altruistischer Empfindungen; seineUntersuchungen richteten sich hauptsächlich gegen die ethischen Systemeder bisherigen Metaphysik. Da nun die Ethik Wagners und Schopenhauersauf dem Altruismus und dessen metaphysischem Gefühlswerth fusst, somusste Nietzsche gerade in Rées Buch die geeignetesten Waffen zu seinemKampf gegen die verlassene Weltanschauung finden. »Der Ursprung dermoralischen Empfindungen« wurde der eigentliche Gegenstand seinerForschung, und man kann sein Erstlingswerk kurz als den Versuchbezeichnen, zur vollen Einsicht in die Nichtigkeit seiner ehemaligenIdeale zu gelangen durch die Einsicht in ihre Entstehungsgeschichte.Auf diesem Wege wird sein gesammtes Philosophiren zu einer Analyse undGeschichte menschlicher Vorurtheile und Irrthümer; der Metaphysikerwird zum Psychologen und Historiker und stellt sich auf den Bodeneines nüchternen und consequenten Positivismus. Er schloss sich aufsEngste der englischen positivistischen Schule an in ihrer bekanntenZurückführung der moralischen Werthurtheile und Phänomene auf denNutzen, die Gewohnheit und das Vergessen der ursprünglichenNützlichkeitsgründe; es bedarf daher keiner besonderen Erläuterungseiner Theorien; es genügt auf die Richtung hinzuweisen, welcher ersie entnahm. Man vergleiche Stellen wie die folgende in »Menschliches,Allzumenschliches«: »Die Geschichte der ... moralischen Empfindungenverläuft in folgenden Hauptphasen. Zuerst nennt man einzelne Handlungengut oder böse ohne alle Rücksicht auf deren Motive, sondern alleinder nützlichen oder schädlichen Folgen wegen. Bald aber vergisst mandie Herkunft dieser Bezeichnungen und wähnt, dass den Handlungenan sich, ohne Rücksicht auf deren Folgen, die Eigenschaft »gut«oder »böse« innewohne.« (I 39). »Wie wenig moralisch sähe dieWelt ohne die Vergesslichkeit aus! Ein Dichter könnte sagen, dassGott die Vergesslichkeit als Thürhüterin an die Tempelschwelleder Menschenwürde hingelagert habe.« (I 92). Den Weg, auf dem diesogenannte Moralität der Handlungen entstanden ist, kann man mit denWorten bezeichnen:«—jetzt aus Gewohnheit, Vererbung und Anerziehung,ursprünglich, weil (es)—nützlicher und ehrebringender ist.«(II 26). Ferner, Der Wanderer und sein Schatten (40): »Die Bedeutungdes Vergessens in der moralischen Empfindung: Die selben Handlungen,welche innerhalb der ursprünglichen Gesellschaft zuerst die Absicht aufgemeinsamen Nutzen eingab, sind später von anderen Generationen aufandere Motive hin gethan worden: aus Furcht oder Ehrfurcht vor Denen,die sie forderten und anempfablen, oder aus Gewohnheit, weil man sievon Kindheit an um sich hatte thun sehen, oder aus Wohlwollen, weilihre Ausübung überall Freude und zustimmende Gesichter schuf, oderaus Eitelkeit, weil sie gelobt wurden. Solche Handlungen, an denendas Grundmotiv, das der Nützlichkeit, vergessen worden ist, heissendann moralische.« »Der Inhalt unseres Gewissens ist Alles, was inden Jahren der Kindheit von uns ohne Grund regelmässig gefordertwurde« (52), indem dem einzelnen Menschen das, was in der Geschichteder Menschheit in der bezeichneten Weise entstanden ist, überliefertwird als eine Summe religiös sanctionirter und festgeprägterPflichtbegriffe. »Die Sitte respräsentirt die Erfahrungen frühererMenschen über das vermeintlich Nützliche und Schädliche,—aber dasGefühl für die Sitte (Sittlichkeit) bezieht sich nicht auf jeneErfahrungen als solche, sondern auf das Alter, die Heiligkeit, dieIndiscutabilität der Sitte.« (Morgenröthe 19).

So zieht sich durch das ganze Werk hindurch, was schon der Titelcharakteristisch andeutet: die Gedankenarbeit der Zerstörung, dierücksichtslose Blosslegung der »Allzumenschlichkeit« dessen, was bisherheilig, ewig, übermenschlich hiess. Um zu sehen, mit welcher schroffenEinseitigkeit und Uebertreibung sich Nietzsche hier gegen sich selbstwandte, lohnt es die Mühe, seinen nunmehrigen Anschauungen in Bezugauf diejenigen vier Punkte nachzugehen, die in seiner vorhergehendenphilosophischen Periode eine entgegengesetzte Deutung erfahren hatten:in Bezug auf die Bedeutung des »Dionysischen«, des »Dekadenz-Begriffs«,des »Unzeitgemässen«, und des »Geniecultus«. An Stelle des Dionysossteht hier der früher so viel geschmähte Sokrates als Schirmherr undTempelhüter des neuen Wahrheitstempels da. »Wenn Alles gut geht, wirddie Zeit kommen, da man, um sich sittlich-vernünftig zu fördern, lieberdie Memorabilien des Sokrates in die Hand nimmt, als die Bibel, undwo Montaigne und Horaz als Vorläufer und Wegweiser zum Verständnissdes einfachsten und unvergänglichsten Mittler-Weisen, des Sokrates,benuzt werden. Zu ihm führen die Strassen der verschiedendstenphilosophischen Lebensweisen zurück, welche im Grunde die Lebensweisender verschiedenen Temperamente sind, festgestellt durch Vernunftund Gewohnheit und allesammt mit ihrer Spitze hin nach der Freudeam Leben und am eignen Selbst gerichtet....« (Der Wandererund sein Schatten 86). Dieser Sieg des Sokratischen, der Vernunftund weisen Leidenschaftslosigkeit, über das Dionysische, über dieAffectsteigerung und den selbstvergessenen Lebensrausch, gipfelt indem Satz, dass »der wissenschaftliche Mensch die Weiterentwickelungdes künstlerischen« (Menschliches, Allzumenschliches I 222), undalles dessen sei, was auf dem Rausch anstatt auf der Einsicht beruht,denn: »an sich ist ... der Künstler schon ein zurückbleibendesWesen.« (Menschliches, Allzumenschliches I 159). Daher bedeutete fürGriechenland das Aufkommen des sokratischen Geistes einen ungeheurenFortschritt. »Die Formen aus der Fremde entlehnen, nicht schaffen,aber zum schönsten Schein umbilden—das ist griechisch: nachahmen,nicht zum Gebrauch, sondern zur künstlerischen Täuschung,... ordnen, verschönern, verflachen—so geht es fort von Homer biszu den Sophisten des dritten und vierten Jahrhunderts der neuenZeitrechnung, welche ganz Aussenseite, pomphaftes Wort, begeisterteGebärde sind und sich an lauter ausgehöhlte, schein-, klang- undeffect-lüsterne Seelen wenden.—Und nun würdige man die Grösse jenerAusnahme Griechen, welche die Wissenschaft schufen. Wer von ihnenerzählt, erzählt die heldenhafteste Geschichte des menschlichenGeistes!« (Menschliches, Allzumenschliches II 221; Vergleiche auchMorgenröthe 544 über das damalige »Jauchzen über die neue Erfindungdes vernünftigen Denkens.») Die Abkunft alles Gefühlsmässigenvon Urtheilen und ursprünglichen Gedankenschlüssen wird deshalbDenen entgegengestellt, die dem Affectleben als dem höchsten Leben dasWort reden. »—Gefühle sind nichts Letztes, Ursprüngliches, hinterden Gefühlen stehen Urtheile und Werthschätzungen, welche in der Formvon Gefühlen uns vererbt sind. Die Inspiration, die aus dem Gefühlestammt, ist das Enkelkind eines Urtheils—und oft eines falschen!—undjedenfalls nicht deines eigenen! Seinem Gefühle vertrauen—das heisstseinem Grossvater und seiner Grossmutter und deren Grosselternmehr gehöre hen als den Göttern, die in uns sind: unserer Vernunftund unserer Erfahrung.« (Morgenröthe 35). Die »edlen Schwärmer«,welche die Unterordnung des Fühlens unter das vernünftige Denken zuverhindern suchen, verführen dadurch zu einer »Lasterhaftigkeitdes Intellectes.« (Morgenröthe 543). »Diesen schwärmerischenTrunkenbolden verdankt die Menschheit viel Übles: ... Zu alledempflanzen jene Schwärmer mit allen ihren Kräften den Glauben an denRausch als an das Leben im Leben: einen furchtbaren Glauben! Wiedie Wilden jetzt schnell durch das »Feuerwasser« verdorben werden undzu Grunde gehen, so ist die Menschheit ... langsam und gründlichdurch die geistigen Feuerwässer trunken machender Gefühle ... verdorben worden:...« (Morgenröthe 50) ... »daran denken sienicht, dass die Erkenntniss auch der hässlichsten Wirklichkeit schönist,... Das Glück der Erkennenden mehrt die Schönheit der Welt...; ... zwei so grundverschiedene Menschen, wie Plato und Aristoteles,kamen in dem überein, was das höchste Glück ausmache,...: siefanden es im Erkennen, in der Thätigkeit eines wohlgeübten findendenund erfindenden Verstandes (nicht etwa in der »Intuition,« nichtin der Vision, und ebenfalls nicht im Schaffen,—)—« (Morgenröthe550). Damit fällt der bisherige Genie-Cultus:[9] » Ach, um denwohlfeilen Ruhm des »Genie's«! Wie schnell ist sein Thron errichtet,seine Anbetung zum Brauch geworden! Immer noch liegt man vor der Kraftauf den Knieen—nach alter Sclaven-Gewohnheit —und doch ist,wenn der Grad von Verehrungswürdigkeit festgestellt werden soll,nur der Grad der Vernunft in der Kraft entscheidend. (Morgenröthe548).—Es ist die Zeit angebrochen für die strengen und schlichtenGeister, die übermässige Verherrlichung der künstlerischen Genialitätsteht der »fortschreitenden Vermännlichung der Menschheit« entgegen.(Menschliches, Allzumenschliches I 147). Scheinbar kämpft das Geniewohl für »die höhere Würde und Bedeutung des Menschen«, es »will sichdie glänzenden, tiefsinnigen Deutungen des Lebens durchaus nichtnehmen lassen und wehrt sich gegen nüchterne, schlichte Methodenund Resultate«, anstatt zurückzutreten gegenüber der höherstehenden»wissenschaftlichen Hingebung an das Wahre in jeder Gestalt, erscheinediese auch noch so schlicht«. (Menschliches, Allzumenschliches I 146).Wenn man die sogenannte »Inspiration« untersucht, so zeigt sich, dassnicht so sehr das Wunder einer zeugenden Phantasie, sondern ebenfallsnur die »Urtheilskraft« sichtend, ordnend, wählend, das Kunstwerkerzeugt,—»wie man jetzt aus den Notizbüchern Beethoven's ersieht,dass er die herrlichsten Melodien allmählich zusammengetragen und ausvielfachen Ansätzen gewissermaassen ausgelesen hat ... diekünstlerische Improvisation steht tief im Verhältniss zum ernst undmühevoll erlesenen Kunstgedanken«. (Menschliches, AllzumenschlichesI 155) Daher ist Genie in viel höherem Grade erlernbar, als meistangenommen wird: »Redet nur nicht von Begabung, angeborenen Talenten!Es sind grosse Männer aller Art zu nennen, welche wenig begabt waren.Aber sie bekamen Grösse, wurden »Genie's«,— — —: sie hatten Allejenen tüchtigen Handwerker-Ernst, welcher erst lernt, die Theilevollkommen zu bilden, bis er es wagt, ein grosses Ganzes zu machen;sie gaben sich Zeit dazu, weil sie mehr Lust am Gutmachen des Kleinen,Nebensächlichen hatten, als an dem Effecte eines blendenden Ganzen.«(Menschliches, Allzumenschliches I 163). Der Drang, das Wunder derGenialität zu erklären und herabzusetzen, ist hier, wo es in NietzschesGedanken dem Wagner-Wunder gilt, ebenso stark, wie später, in seinerletzten Geistesperiode, der Drang, dem Genie—diesmal dem eigenenGenie—das Wort zu sprechen und es auf das höchste zu glorificiren.Hier erscheint ihm sogar jede wahrhafte Grösse als ein Verhängniss,weil sie »viele schwächere Kräfte und Keime zu erdrücken« sucht,während es nur gerecht und wünschenswerth sei, dass nicht nur einzelneGrosse leben, sondern dass ebenfalls den »schwächeren und zarterenNaturen auch Luft und Licht gegönnt« (Menschliches, AllzumenschlichesI 158) werde. »Das Vorurtheil zu Gunsten der Grösse: Die Menschenüberschätzen ersichtlich alles Grosse und Hervorstechende.... Dieextremen Naturen erregen viel zu sehr die Aufmerksamkeit; aber es istauch eine viel geringere Cultur nöthig, um von ihnen sich fesseln zulassen.« (Menschliches, Allzumenschliches I 260).

Er findet nicht Worte genug, um den Hochmuth derer zu geissein,die sich von der Allgemeinheit ausgenommen wissen wollen: »es istPhantasterei, von sich zu glauben, dass man eine Meile Wegs voraussei und dass die gesammte Menschheit unsere Strasse ziehe. Mansoll der hochmüthigen Vereinsamung nicht so leicht das Wort reden«(Menschliches, Allzumenschliches I 375). Denn diese Phantastereiberuht meistens auf einer eitlen Selbsttäuschung über die Motiveunseres Thuns und Lassens; der wahre Denker weiss, dass eine sostarke Betonung der Rangunterschiede unter den Menschen unberechtigtist, und dass das Menschliche, selbst in seinen edelsten und höchstenRegungen, noch ein »Allzumenschliches« bleibt. Kraft dieser Einsichtist er imstande, sich mit allen Uebrigen auf Eine Stufe zu stellen undsich gerade dadurch denkend über sein eignes unzulängliches Wesen zuerheben. »Vielleicht, dass es eine Zukunft giebt, wo dieser Muth desDenkens so angewachsen sein wird, dass er als der äusserste Hochmuthsich über den Menschen und Dingen fühlt,—wo der Weise als der ammeisten Muthige sich selber und das Dasein am meisten unter sichsieht?« (Morgenröthe 551). Deshalb besitzt der Weise die Neigung,die menschlichen Handlungen auf ihre Allzumenschlichkeit zu prüfen:»Man wird selten irren, wenn man extreme Handlungen auf Eitelkeit,mittelmässige auf Gewöhnung und kleinliche auf Furcht zurückführt.«(Menschliches, Allzumenschliches 174). Die Bedeutung der Eitelkeit alseines Hauptmotivs der menschlichen Handlungen wird immer neu betont underwogen,—wie ihr auch in Rées Buch ein besonderes Capitel gewidmetwar. »Wer die Eitelkeit bei sich leugnet, besitzt sie gewöhnlich in sobrutaler Form, dass er instinctiv vor ihr das Auge schliesst, um sichnicht verachten zu müssen.« (Menschliches, Allzumenschliches II 38).»Wie arm wäre der menschliche Geist ohne die Eitelkeit!« (Menschliches,Allzumenschliches I 79). Die Eitelkeit, das »menschliche Ding an sich.«(Menschliches, Allzumenschliches II 46). »Die ärgste Pest könnte derMenschheit nicht so schaden, als wenn eines Tages die Eitelkeit ausihr entschwände.« (Der Wanderer und sein Schatten 285). Denn auchdas, was wir uns gewöhnt haben, für Kraftgefühl und Machtbewusstseininneren höchsten Werthes anzusehen, ist meistens nur ein Ausflussder Eitelkeit, sich hervorzuthun. Der Mensch will für mehr gelten,als er eigentlich seiner Kraft nach zu gelten berechtigt ist. »Ermerkt zeitig, dass nicht Das, was er ist, sondern Das, was er gilt,ihn trägt oder niederwirft: hier ist der Ursprung der Eitelkeit.«(Der Wanderer und sein Schatten 181. »Die Eitelkeit als die grosseNützlichkeit.«),—wo Nietzsche den Mächtigen gleichsetzt mit demEitlen, Listigen, Klugen, der die eigne Furchtsamkeit und Wehrlosigkeitdadurch verbirgt, dass er sich Ansehen verschafft. Die einschlägigenAussprüche stehen im schärfsten Gegensatz zu seiner spätemAnschauung der Sklaven- und Herrennaturen, sowie der ursprünglichenGemeinwesen. (Vergl. auch den Aphorismus »Eitelkeit als Nachtrieb desungesellschaftlichen Zustandes« in Der Wanderer und sein Schatten 31.)Die Eitelkeit schwindet in dem Maasse, als sich der höher stehendeMensch der Gleichheit oder doch der Aehnlichkeit menschlicher Motivebewusst wird und sich selbst in der ihn allen Andern gleichstellenden»Allzumenschlichkeit« seiner Triebe erkennt.

Der einzige wahrhaft werthbestimmende Unterschied zwischen den Menschenliegt ausschliesslich in der Art und dem Grade ihres intellectuellenVermögens; die Menschen veredeln heisst demnach nichts anderes, alsEinsicht unter sie tragen. Selbst das, was vom moralischen Standpunktaus als böse bezeichnet wird, erweist sich meistens als bedingt durchgeistige Verkümmerung und Verrohung. »Viele Handlungen werden bösegenannt und sind nur dumm, weil der Grad der Intelligenz, welcher sichfür sie entschied, sehr niedrig war.« (Menschliches, AllzumenschlichesI 107). Die Unfähigkeit, den Schaden oder das Weh, welches man Andernzufügt, richtig zu taxiren, lässt den sogenannten Verbrecher, den inseiner Geistesentwickelung Zurückgebliebenen, als besonders grausamund herzlos erscheinen. »Ob der Einzelne den Kampf um das Leben sokämpft, dass die Menschen ihn gut, oder so, dass sie ihn bösenennen, darüber entscheidet das Maass und die Beschaffenheit seinesIntellects.« (Menschliches. Allzumenschliches I 104). »Die Menschen,welche jetzt grausam sind, müssen uns als Stufen früherer Culturengelten,... Es sind zurückgebliebene Menschen, deren Gehirn, durchalle möglichen Zufälle im Verlaufe der Vererbung, nicht so zart undvielseitig fortgebildet worden ist.« (Menschliches, Allzumenschliches I43). Es sind die Menschen des Niedergangs. Je vorgeschrittener aber einMensch, desto mehr verfeinert, mildert, ja verdünnt sich gewissermassendie rohe Instinctkraft der ursprünglichen Leidenschaften, aus der nochdie Handlungen des Zurückgebliebenen quellen.—»Gute Handlungen sindsublimirte böse; böse Handlungen sind vergröberte, verdummte, gute....Die Grade der Urtheilsfähigkeit entscheiden, wohin Jemandsich ... hinziehen lässt.... Ja, in einem bestimmten Sinnesind auch jetzt noch alle Handlungen dumm, denn der höchste Grad vonmenschlicher Intelligenz ... wird sicherlich noch überboten werden:und dann ... wird der erste Versuch gemacht, ob die Menschheit auseiner moralischen sich in eine weise Menschheit umwandeln könne«.(Menschliches, All-zurnenschliches I 107). Ihr Merkzeichen aber wirdsein, dass in den Menschen »der gewaltthätige Instinct schwächer«,»die Gerechtigkeit in Allen grösser« wird, »Gewalt und Sclaverei«aufhört. (Menschliches, Allzumenschliches I 452). Beneidenswerthsind Diejenigen, in denen sich durch generationenlange Gewöhnungein milder, mitleidsvoller und liebevoller Sinn vererbt hat: »DieHerkunft von guten Ahnen macht den ächten Geburtsadel aus; eineeinzige Unterbrechung in jener Kette, Ein böser Vorfallr also hebtden Geburtsadel auf. Man soll Jeden, welcher von seinem Adel redet,fragen: hast du keinen gewaltthätigen, habsüchtigen, ausschweifenden,boshaften, grausamen Menschen unter deinen Vorfahren? Kann er daraufin gutem Wissen und Gewissen mit Nein antworten, so bewerbe man sichum seine Freundschaft. (Menschliches, Allzumenschliches I 456). »Dasbeste Mittel, jeden Tag gut zu beginnen, ist: beim Erwachen daranzu denken, ob man nicht wenigstens einem Menschen an diesem Tageeine Freude machen könne. Wenn dies als ein Ersatz für die religiöseGewöhnung gelten dürfte, so hätten die Menschen einen Vortheil beidieser Aenderung.« Und diese Verherrlichung der zarten und mitleidigenRegungen auf Kosten nicht nur der brutalen Roheit, sondern auch derbegeisterten Leidenschaft des religiösen oder künstlerischen Rauschesklingt aus in der schönen Begründung der Religionslosigkeit: »Es istnicht genug Liebe und Güte in der Welt, um noch davon an eingebildeteWesen wegschenken zu dürfen.« (Menschliches, Allzumenschlichen1129).[10]

Wir werden später sehen, wie stark sich Nietzsches letzte Philosophiegegen diese Auffassung der Mitleids Moral und der Abschwächung desInstinctlebens richtet, Und wie ihm nur derjenige der höchststehendeMensch heissen wird, der die ganze Fülle der leidenschaftlichenTriebe und Instincte in sich birgt,—also der »böse« Mensch. Noch istihm aber ausserhalb der Güte und Selbstlosigkeit kein Menschenwerthdenkbar, weil nur diese die Ueberwindung der thierischen Vergangenheitdarstellen.

Deshalb sollte man den Weisen allein zugleich gut nennen, nichtweil er anders geartet ist als der Unweise, sondern weil dieursprüngliche menschliche Beschaffenheit in ihm vergeistigt unddadurch »die Wildheit in seinen Anlagen besänftigt« worden ist(Menschliches, Allzumenschliches I 56). »Die volle Entschiedenheitdes Denkens und Forschens, also die Freigeisterei, zur Eigenschaftdes Charakters geworden, macht im Handeln massig: denn sie schwächtdie Begehrlichkeit« (Ebendaselbst 464). »Dabei verschwindet immermehr ... die übermässige Erregbarkeit des Gemüthes. Er (derWeise) geht zuletzt wie ein Naturforscher unter Pflanzen, so unterMenschen herum und nimmt sich selber als ein Phänomen wahr, welchesnur seinen erkennenden Trieb stark anregt« (Ebendaselbst 254). Allemenschliche Grösse beruht auf einer Verfeinerung des Instinctmässigen;der höchste Mensch entsteht durch das Abstreifen des Thierischen,als ein »Nicht-mehr-Thier«, rein negativ gedacht; er ist als das»dialektische und vernünftige Wesen« das »Ueber-Thier« (Menschliches,Allzumenschliches I 40), in dem sich »eine neue Gewohnheit, die desBegreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Hassens, Ueberschauens« allmählichanpflanzen kann (Ebendaselbst 107).

Ein »Ueber-Mensch« hingegen, als ein Wesen von positiven neuenund höheren Eigenschaften, galt Nietzsche damals als vollendetePhantasterei und seine Erfindung als der stärkste Beweis menschlicherEitelkeit. »Es müsste geistigere Geschöpfe geben, als die Menschensind, blos um den Humor ganz auszukosten, der darin liegt, dass derMensch sich für den Zweck des ganzen Weltendaseins ansieht, und dieMenschheit sich ernstlich nur mit Aussicht auf eine Welt-Missionzufrieden giebt« (Der Wanderer und sein Schatten 14). »Ehemals suchteman zum Gefühl der Herrlichkeit des Menschen zu kommen, indem man aufseine göttliche Abkunft hinzeigte: diess ist jetzt ein verbotenerWeg geworden, denn an seiner Thür steht der Affe, nebst anderemgreulichen Gethier, und fletscht verständnissvoll die Zähne, wie um zusagen: nicht weiter in dieser Richtung! So versucht man es jetzt inder entgegengesetzten Richtung: der Weg, wohin die Menschheit geht,soll zum Beweise ihrer Herrlichkeit ... dienen. Ach, auch damitist es Nichts!... Wie hoch die Menschheit sich entwickelthaben möge—und vielleicht wird sie am Ende gar tiefer, als am Anfangstehen!—es giebt für sie keinen Übergang in eine höhere Ordnung,so wenig die Ameise und der Ohrwurm am Ende ihrer »Erdenbahn« zurGottverwandtschaft und Ewigkeit emporsteigen. Das Werden schlepptdas Gewesensein hinter sich her: warum sollte es von diesem ewigenSchauspiele eine Ausnahme geben! Fort mit solchen Sentimentalitäten!«(Morgenröthe 49). Vermöchte ein Mensch das Leben ganz zu erkennen,so müsste er »am Werthe des Lebens verzweifeln; gelänge es ihm, dasGesammtbewusstsein der Menschheit in sich zu fassen und zu empfinden,er würde mit einem Fluche gegen das Dasein zusammenbrechen,—denndie Menschheit hat im Ganzen keine Ziele, folglich kann derMensch ... nicht darin seinen Trost und Halt finden, sondern seineVerzweiflung« (Menschliches, Allzumenschliches I 33). Daher lautet»der erste Grundsatz des neuen Lebens«: »man soll das Leben auf dasSicherste, Beweisbarste hin einrichten: nicht wie bisher auf dasEntfernteste, Unbestimmteste, Horizont-Wolkenhafteste hin« (DerWanderer und sein Schatten 310). Man soll wieder »zum guten Nachbarder nächsten Dinge« (Der Wanderer und sein Schatten 16) werden und,anstatt im »Unzeitgemässen« der fernsten Vergangenheit und Zukunft zuschwelgen, die höchsten Erkenntnissgedanken der eigenen Zeit in sichverkörpern. Denn es ist der Menschheit nunmehr, anstelle all jenerphantastischen Ziele, »die Erkenntnis der Wahrheit als das einzigeungeheure Ziel«' (Morgenröthe 45) vor Augen zu stellen. »Dem Lichtezu—deine letzte Bewegung; ein Jauchzen der Erkenntniss—dein letzterLaut« (Menschliches, Allzumenschliches I 292). Es ist möglich, dassein solcher überhandnehmender Intellectualismus ihr Glück und ihreLebensfähigkeit beeinträchtigt, dass er also in einem gewissen Sinneein »Decadenz-Symptom« ist,—aber hier deckt sich der Begriff derDecadenz mit dem der edelsten Grösse: »Vielleicht selbst, dass dieMenschheit an dieser Leidenschaft der Erkenntniss zu Grunde geht!...Sind die Liebe und der Tod nicht Geschwister?... wir wollen Allelieber den Untergang der Menschheit, als den Rückgang der Erkenntniss!«(Morgenröthe 429). Ein solcher »Tragödien-Ausgang der Erkenntniss«(Morgenröthe 45) wäre gerechtfertigt, denn für sie ist kein Opfer zugross: »Fiat veritas, pereatvita!« Dieses Wort fasste damals NietzschesErkenntnissideal zusammen,— dasselbe Wort, gegen das er sich nochkurz zuvor mit der grössten Erbitterung gewendet hatte, und das er nurwenige Jahre später wieder ebenso heftig bekämpfen sollte, so dass dieUmkehrung desselben als die Quintessenz sowohl seiner ursprünglichenals auch seiner späteren Lehre gelten kann. Das Lebenwollen um jedenPreis, auch um den Preis der Lebenserkenntniss, —das ist die »neueLehre«, die Nietzsche später jener Lebensmüdigkeit entgegenstellte,deren Einsicht in der Werthlosigkeit alles Geschaffenen gipfelt: »Inder Reife—des Lebens und des Verstandes überkommt den Menschen dasGefühl, dass sein Vater Unrecht hatte, ihn zu zeugen« (Menschliches,Allzumenschliches I 386); denn »Jeder Glaube an Werth und Würdigkeitdes Lebens beruht auf unreinem Denken« (Ebendaselbst 33).

Verfolgt man Nietzsches Gedanken in dieser Gruppe von Werken, sokann man deutlich herausempfinden, unter welchem inneren Zwange ersie zu immer schroffem Consequenzen zuspitzte, und mit welchem Gradevon Selbstüberwindung dies jedesmal geschah. Aber gerade infolge desGegensatzes, in dem diese Erkenntnissrichtung zu seinem innerstenBedürfen und Verlangen stand, wurde die Erkenntniss der Wahrheit fürihn zu einem Ideal,—gewann sie für ihn die Bedeutung einer höheren,von ihm selbst unterschiedenen, ihm schlechthin überlegenen Macht. DerZwang, dem er sich damit unterwarf, befähigte ihn ihr gegenüber zueinem enthusiastischen,—fast religiösen Verhalten und ermöglichteihm jene 'religiös motivirte Selbstspaltung, deren Nietzschebedurfte,—jene Selbstspaltung, durch die der Erkennende auf seineigenes Wesen und dessen Regungen und Triebe herabblicken kann wie aufein zweites Wesen. Indem er sich so gleichsam der Wahrheit als einerIdealmacht opferte, gelangte er zu einer Affect-Entladung religiöserArt, die eine viel intensivere Gluth in ihm erzeugen musste, als siesich jemals an einer warmen, kampflosen Befriedigung seiner innernWünsche und Neigungen hätte entzünden können. So erscheint in dieserPeriode, paradox genug, sein ganzer Kampf wider den Rausch, seineganze Verherrlichung der Affectlosigkeit lediglich als ein Versuch,sich durch diese Selbstvergewaltigung zu berauschen.

Daher vollzog er seine Wandlung in einem äussersten Extrem; ja mankönnte sagen: die Energie, mit welcher er sich zu einem lauten,rückhaltlosen »Ja!« der neuen Denkweise gegenüber aufrafft, stelle nurden Gewaltact eines »Nein!« dar, mit dem er seine eigne Natur und ihretiefsten Bedürfnisse zu unterjochen strebt. Jene »vorurteilslose Kälteund Ruhe des Erkennenden«, sein Ideal in dieser Geistesperiode, begrifffür ihn eine Art sublimer Selbstfolterung in sich, und er ertrug sienur, indem er dabei die Leiden seines Seelenlebens entschlossen alseine Krankheit auffasste, als eine von den »Krankheiten, in denenEisumschläge noth thun« (Menschliches, Allzumenschliches I 38),—undauch wohl thun,—denn »die scharfe Kälte ist so gut ein Reizmittel alsein hoher Wärmegrad«.

Deshalb tritt seine Uebereinstimmung mit Res Gedankenrichtung nirgendsso vollständig zu Tage als gerade in dem Erstlingswerk »Menschliches,Allzumenschliches«, zu einer Zeit also, wo er am schwersten unterseiner Trennung von Wagner und dessen Metaphysik litt. Daher Hesser sich in seinem übertriebenen Intellectualismus vielfach von derpersönlichen Eigenart Rées leiten. Er formte sich auf Grund derselbenein ganz bestimmtes Idealbild, das ihm zur Richtschnur diente: dieUeberlegenheit des Denkers über den Menschen, die Nichtachtung allerSchätzungen, welche dem Affectleben entspringen, die unbedingte undrückhaltlose Hingabe an die wissenschaftliche Forschung erstand vor ihmals ein neuer und höherer Typus des erkennenden Menschen und verliehseiner Philosophie ihr eigenthümliches Gepräge.

Im Bedürfniss, die rein wissenschaftlichen Gedanken, die er demPositivismus entnahm, in einer menschlichen Form verkörpert zudenken, verfing er sich im Bild einer einzelnen, ganz bestimmtenPersönlichkeit, die ihm selbst durchaus entgegengesetzt war, undmarterte sich damit, die Züge dieses Bildes noch zu verschärfen. Dasser immer wieder zu seiner Entwickelung der Selbstverneinung, zu seinerGeistessteigerung der freiwilligen Schmerzen bedurfte, erklärt auchhier den scheinbaren Widerspruch, dass er, um seine Selbständigkeitaus dem Bannkreise Wagners und der Metaphysik zu retten, sich wiederunter fremden Bann stellte, sein Selbst aufzugeben suchte. Denn wederim Charakter der philosophischen Richtung noch in dem des persönlichenVerhältnisses lag eine Veranlassung dazu; die Gründe blieben vielmehrrein innerlicher Natur. Sie allein trieben ihn zum engen Anschluss aneinen Andern und dessen Gedanken; sietrieben ihn, gleichsam aus einem»Collectivgeist« (Menschliches, Allzumenschliches I 180) heraus zudenken und zu schaffen. In diesem Sinne konnte er bei Uebersendungseines »Menschlichen, Allzumenschlichen« dem Freunde schreiben: »Ihnengehört's,—den Andern wird's geschenkt!« und gleich darauf hinzufügen:»Alle meine Freunde sind jetzt einmüthig, dass mein Buch von Ihnengeschrieben sei und herstamme: weshalb ich zu dieser neuen Vaterschaftgratulire! Es lebe der Réealismus!«

Es stellte sich eben zwischen den beiden Freunden eine eigenthümlicheArt der Ergänzung heraus, die derjenigen ganz entgegengesetzt war,welche einst zwischen Nietzsche und Wagner bestanden hatte. FürWagner, als das Kunstgenie, musste Nietzsche der Denker und Erkennendesein, der wissenschaftliche Vermittler der neuen Kunstcultur. Jetzthingegen war in Rée der Theoetiker gegeben, und Nietzsche ergänzteihn dadurch, dass er die praktischen Consequenzen der Theorien zog undihre innere Bedeutung für Cultur und Leben festzustellen suchte. Andiesem Punkt, bei der Frage nach dem Werth, schied sich die geistigeEigenart der Freunde. So hörte der Eine da auf, wo der Andere anfing.Rée, als Denker von schroffer Einseitigkeit, liess sich durch solcheFragen nicht beeinflussen; ihm ging der künstlerische, philosophische,religiöse Geistesreichthum Nietzsches ganz ab, dagegen war er vonBeiden der schärfere Kopf. Mit Staunen und Interesse sah er, wieseiae fest und sauber gesponaenen Gedankenfäden sich unter NietzschesZauberhänden in lebendige frischblühende Ranken verwandelten. FürNietzsches Werke ist es charakteristisch, dass selbst ihre Irrthümerund Fehler noch eine Fülle von Anregung enthalten, die ihre allgemeineBedeutung erhöht, selbst wo jene ihren wissenschaftlichen Werthverringern. Im Gegensatz dazu ist es für Rées Schriften bezeichnend,dass sie mehr Mängel als Fehler besitzen; dies drückt wohl am klarstenaus der Schlusssatz des kurzen Vorwortes zum »Ursprung der moralischenEmpfindungen«: »In dieser Schrift sind Lücken, aber Lücken sindbesser, als Lückenbüsser«! Nietzsches geniale Vielseitigkeit hingegenerschliesst neue Einblicke gerade in Gebiete, zu denen der Logik derSchlüssel fehlt, in denen diese sich gezwungen sieht, dem Wissen seineLücken zu lassen.

Während für Nietzsche die leidenschaftliche Verschmelzung desGedankenlebens mit dem gesammten Innenleben charakteristisch war,bildete einen Grundzug von Rées geistigem Wesen die schroffe undbis zum Aeussersten gehende Scheidung von Denken und Empfinden.Nietzsches Genialität entsprang dem lebensvollen Feuer hinter seinenGedanken, welches sie in einem so herrlichen Lichte ausstrablenliess, wie sie es auf dem Wege der logischen Einsicht allein nichthätten gewinnen können; Rées Geistesstärke beruhte auf der kaltenUnbeeinflussbarkeit des Logischen durch das Psychische, auf derSchärfe und klaren Strenge seines wissenschaftlichen Denkens. SeineGefahr lag in der Einseitigkeit und Abgeschlossenheit dieses Denkens,in einem Mangel an jener weitgehenden und feinen Witterung, die mehrVerständniss als Verstand verlangt; Nietzsches Gefahr lag geradein seiner unbegrenzten Anempfindungsfähigkeit und der Abhängigkeitseiner Verständeseinsichten von allen Regungen und Erregungen seinesGemüths. Selbst da, wo seine jeweilige Denkweise momentan mit geheimenWünschen und Herzenstrieben in Widerspruch zu gerathen schien,schöpfte er doch seine höchste Erkenntnisskraft aus dem wilden Kampfund Widerstreit mit solchen Wünschen und Trieben. Rées Geistesarthingegen schien selbst dann noch jede Betheiligung des Gemüthslebens anErkenntnissfragen auszuschliessen, wenn einmal das Erkenntnissresultatseinem individuellen Empfinden entsprach. Denn der Denker in ihmblickte überlegen und fremd auf den Menschen in ihm herab und saugtedemselben dadurch gewissermaassen einen Theil seiner Energie aus,und mit der Energie den Egoismus. An dessen Stelle gab es in diesemCharakter nichts als eine tiefe, lautere, unbegrenzte Güte des Wesens,deren Aeusserungen in einem interessanten und ergreifenden Gegensatzstanden zu der kalten Nüchternheit und Härte seines Denkens. Nietzscheaber besass umgekehrt jene hochfliegende Selbstliebe, die sich selbstso lange in ihre Erkenntnissideale hinein verlegt, bis sie sich fastmit ihnen verwechselt und der Welt mit der Begeisterung des Apostelsund Bekehrers gegenübertritt.

So lag hinter aller theoretischen Uebereinstimmung der Freunde eineum so tiefere Verschiedenheit des Empfindens unter der Gedankenhülleverborgen. Was durchaus der natürliche Ausdruck der geistigen Eigenartdes Einen war, war für den Andern der volle Gegensatz der seinigen;aber eben darum Beiden dasselbe Ideal. Nietzsche schätzte undüberschätzte an Rée, was ihm selbst am schwersten fiel, weil eben fürihn in einem solchen Selbstzwang wieder die innere Bedeutung seinerWandlung lag: »Mein lieber Freund und Vollender!« nennt er ihn deshalbin einem Briefe, »wie sollte ich es auch aushalten, ohne von Zeit zuZeit meine eigene Natur gleichsam in einem gereinigten Metall undin einer erhöhtem Form zu sehen,—ich, der ich selber Bruchstück ...bin und durch selten, selten gute Minuten in das bessere Landhinausschaue, wo die ganzen und vollständigen Naturen wandeln!«

Aber diese von sich selbst absehende Hingebung ist nur der Weg, aufdem er sich innerhalb einer neuen Weltanschauung zu einem eigenenneuen Selbst durchringt; es ist nur der leidende Zustand, in dem erden aufgenommenen fremden Geistessamen zu seinem eignen lebensvollenOriginalgeist umschafft und ausgestaltet. Es sind wie immer dieGeburtswehen, die seine neue Schöpfung begleiten und es ihm verbürgen,dass er sich mit; seinem ganzen Wesen und allen seinen Kräften in ihr;ausleben und erneuern wird.

Die Geschichte also, wie Nietzsche sich in dieser Wandlung entwickeltund sie wieder verlässt, ist wesentlich eine Geschichte seinesinnern Erlebens, seiner Seelenkämpfe. In den hierhergehörigenWerken,—von seinem Erstgeborenen und Schmerzenskinde »Menschliches,Allzumenschliches« an, bis hinein in die tiefbewegte freudige Stimmungder »Fröhlichen Wissenschaft«, die gewissermassen schon der folgendenGeistesperiode angehört, liegt diese Entwicklung vor uns ausgebreitet.In ihnen allen hat er in einer Reihe von Aphorismensammlungen das »Bildund Ideal des Freigeistes« aufrichten wollen, des freien Geistes inseinen Gedanken über alle Gebiete des Wissens und des Lebens und nochmehr in der Fülle seiner Gedankenerlebnisse selbst. Die Grundstimmung,aus der ein jedes dieser Bücher hervorgegangen ist, prägt sichjedesmal als das eigentlich Charakteristische an demselben schon imTitel aus. Niemals sind Nietzsches Titel zufällig, indifferent oderabstractem Stoff entnommen, sie sind ganz und gar Bilder innererVorgänge, ganz und gar Symbole. So fasste er auch den Grundinhaltseiner einsamen Denkerexistenz am Schluss der Siebzigerjahre inwenigen Worten zusammen, als er auf das Titelblatt des zweiten Werkesschrieb: »Der Wanderer und sein Schatten« (Chemnitz 1880, ErnstSchmeitzner). Aus der Hitze der ersten, leidenschaftlichen Kämpfe ister hier in die Einsamkeit seiner selbst eingekehrt; aus dem Kriegerwurde ein Wanderer, der statt feindseliger Angriffe auf die verlasseneGeistesheimath nunmehr das Land seiner freiwilligen Verbannung danachdurchforscht, ob der steinige Boden sich nicht anbauen lasse, ob nichtauch er irgendwo seine fette Erdkrume besitze. Der laute Zwiespaltmit dem Gegner hat sich in die Stille eines Zwiegesprächs mit sichselbst aufgelöst: der Einsame hört seinen eigenen Gedanken zu wieeiner mehrstimmigen Unterhaltung, er lebt in ihrer Gesellschaft wieunter ihrem ihn überall hin begleitenden Schatten. Noch erscheinensie ihm düster, einförmig und gespenstisch, ja, so hoch und drohendemporgewachsen, wie es Schattengebilde nur sind, wenn die Sonne imUntergang steht. Aber nicht lange mehr, denn seine Nähe streift ihnenallmählich alles Schattenhafte ab: was Gedanke war und farbloseTheorie, das erhält Klang und Blick, Gestalt und Leben. Ist diesdoch der innere Process seiner Aneignung und Umschaffung des Neuenund Ungewohnten: dass er ihm Leben einhaucht, dass er ihm zu vollerLebensfülle verhilft. Man möchte sagen: Nietzsche wählt sich diedüstersten Gedankenschatten aus, um sie mit seinem eigenen Blut zunähren, um sie, sei es auch unter Wunden und Verlusten, zuletzt dennochzu seinem eigenen lebendigen Selbst verwandelt zu sehen, zu seinemDoppel-Selbst.

In dem Maasse als die Gedanken, mit denen er sich umgiebt, von demganzen Reichthum seines Wesens in sich aufnehmen, in dem Maasse alssie sich langsam mit der ganzen wunderbaren Kraft und Gluth desselbensättigen, wird die Stimmung immer gehobener und getroster. Man fühlt:hier geht Nietzsche Schritt um Schritt den Weg zu sich selbst, beginntheimisch zu werden in seiner neuen »Haut«, beginnt sich in seinerEigenart auszuleben, ihm ist wie einem Wanderer, der nach harterMühsal endlich nach Hause kommt. Er will nicht mehr dasselbe Ziel desDenkens erreichen, wie sein Genosse Paul Rée, er will das Seine:dies hört man sogar schon aus Briefen heraus, in denen er immer nochden Theoretiker bewundert: »Immer mehr bewundere ich übrigens, wie gutgewappnet Ihre Darstellung nach der logischen Seite ist. Ja, so etwaskann ich nicht machen; höchstens ein bischen seufzen oder singen,—aberbeweisen, dass es Einem wohl im Kopfe wird, das können Sie, und daranist hundertmal mehr gelegen.«

In solchem »Singen und Seufzen« hatte sich gerade die eigene Genialitätseinem Bewusstsein aufgedrängt, als die Gabe zu den herrlichstenKlagegesängen und Siegeshymnen, die jemals eine Gedankenschlachtbegleiteten, als die Schöpfergabe, auch noch den nüchternsten, denhässlichsten Gedanken in innere Musik umzusetzen. Lebte doch derMusiker in ihm sich nicht mehr auf eigene Kosten aus, er ging mit auf,ein Einzelton, in der neuen grossen Melodie des Ganzen.

Und dies giebt in der That seinen Werken und Gedanken zu dieser Zeitnoch eine ganz besondere Bedeutung: die neue Einheitlichkeit, diesein Wesen dadurch gewonnen hat, dass alle seine Triebe und Talenteallmählich dem einen grossen Ziele des Erkennens dienstbar gemachtworden sind. Der Künstler, der Dichter, der Musiker Nietzsche, anfangsgewaltsam zurückgedrängt und unterdrückt, beginnt wieder sich Gehörzu verschaffen, aber unterthan dem Denker in ihm und dessen Zielen;——dies hat ihn dazu befähigt, von seinen neuen Wahrheiten in einerWeise zu »singen und zu seufzen« die ihn zum ersten Stilisten derGegenwart erhoben haben.[11] Seinen Stil auf Ursachen und Bedingungenhin prüfen ist daher mehr, als die blosse Ausdrucksform seiner Gedankenuntersuchen: es bedeutet, Nietzsche in seinem innersten Grundwesenbelauschen. Denn der Stil dieser Werke ist entstanden durch dieopferwillige und begeisterte Verschwendung grosser künstlerischerTalente zu Gunsten des strengen Erkennens,—durch das Bestreben, nurdieses strenge Erkennen und nichts als dieses auszusprechen, abernicht in abstracter Allgemeinheit, sondern in individualisirtesterNüancirung,—so wie es sich in allen Regungen einer ergriffenen underschütterten Seele wiederspiegelt. Die lebendigste Innerlichkeit undFülle hatte Nietzsche schon in den Werken seiner ersten Geistesperiodein vollendete Form zu giessen verstanden,—aber erst jetzt lernte er,sie mit der Schärfe und Kälte nüchternen Denkens zu verbinden: wie eingoldener Ring umschliesst dieses die Lebensfülle in einem jeden seinerAphorismen und verleiht ihnen gerade hierdurch ihren eigenthümlichenZauber. So schuf Nietzsche gewissermaassen einen neuen Stil in derPhilosophie, die bis dahin nur den Ton des Wissenschafters oder diedichterische Rede des Enthusiasten vernommen hatte: er schuf den Stildes Charakteristischen, der den Gedanken nicht nur als solchen,sondern mit dem ganzen Stimmungsreichthum seiner seelischen Resonanzausspricht, mit all den feinen und geheimen Gefühlsbeziehungen, die einWort, ein Gedanke weckt. Durch diese Eigenart meistert Nietzsche nichtnur die Sprache, sondern hebt zugleich über die Grenze sprachlicherUnzulänglichkeit hinaus, indem er durch die Stimmung miterklingenlässt, was sonst im Worte stumm bleibt.

In keines Andern Geist aber konnte das bloss Gedachte so völlig zuetwas wirklich Erlebtem werden, wie in Nietzsches Geist, denn keinesAndern Leben ging je so völlig darin auf, mit dem ganzen innernMenschen am Denken schöpferisch zu werden. Seine Gedanken hoben sichnicht, wie es gewöhnlich der Fall ist, vom wirklichen Leben und dessenEreignissen ab: sie machten vielmehr das eigentliche und einzigeLebensereigniss dieses Einsamen aus. Und dem gegenüber erschien ihmauch der lebensvollste Ausdruck, den er für sie fand, noch blass undleblos: »Ach, was seid ihr doch, ihr meine geschriebenen und gemaltenGedanken!« so klagt er in dem schönen Schluss-Aphorismus von»Jenseits von Gut und Böse« (296). »Es ist nicht lange her, da wart ihrnoch so bunt, jung und boshaft, voller Stacheln und geheimer Würzen,dass ihr mich niesen und lachen machtet—und jetzt?... WelcheSachen schreiben und malen wir denn ab, wir Mandarinen mit chinesischemPinsel, wir Verewiger der Dinge, welche sich schreiben lassen, wasvermögen wir denn allein abzumalen? Ach, immer nur Das, was eben welkwerden will und anfängt, sich zu verriechen! Ach, immer nur abziehendeund erschöpfte Gewitter und gelbe späte Gefühle! Ach, immer nur Vogel,die sich müde flogen und verflogen und sich nun mit der Hand haschenlassen,—mit unserer Hand!—Und nur euer Nachmittag ist es, ihrmeine geschriebenen und gemalten Gedanken, für den allein ich Farbenhabe, viel Farben vielleicht, viel bunte Zärtlichkeiten und fünfzigGelbs und Brauns und Grüns und Roths:—aber Niemand erräth mir daraus,wie ihr in eurem Morgen aussahet, ihr plötzlichen Funken und Wundermeiner Einsamkeit, ihr meine alten, geliebten ... schlimmen Gedanken!«

Es gehört ganz wesentlich dazu, dass man sich Nietzsche beiseinen stillen und einsamen Wanderungen vorstelle, ein paarAphorismen mit sich herumtragend als das Resultat langer stummerSelbstunterhaltung,—nicht über den Schreibtisch gebückt, nicht mit derFeder in der Hand:

»Ich schreib nicht mit der Hand allein:
Der Fuss will stets mit Schreiber sein.«

singt er in der Fröhlichen Wissenschaft (Scherz, List und Rache 52).Gebirge und Meer umgeben ihn bei seinen Gedanken-Wandelungen als derwirkungsvolle Hintergrund für die Gestalt dieses Einsamen. Am Hafenvon Genua träumte er seine Träume, sah eine neue Welt am verhülltenHorizont empordämmern in der Morgenröthe und fand das Wort seinesZarathustra (II 5): »— —aus dem Überflüsse heraus ist es schönhinaus zu blicken auf ferne Meere.« Im Engadiner Gebirge aber erkannteer sich selbst wie in einer Wiederspiegelung von Kälte und Gluth,aus deren Mischung alle seine Kämpfe und Wandlungen hervorgegangenwaren. »In mancher Natur-Gegend entdecken wir uns selber wieder, mitangenehmem Grausen; es ist die schönste Doppelgängerei,« sagt er davon(Der Wanderer und sein Schatten 338), »... in dem gesammten ... Charakter dieser Hochebene, welche sich ohne Furcht neben dieSchrecknisse des ewigen Schnees hingelagert hat, hier, wo Italienund Finnland zum Bunde zusammengekommen sind und die Heimath allersilbernen Farbentöne der Natur zu sein scheint: Von diesem Ort mitseinen »kleinen, abgelegenen Seen,« aus denen ihn »die Einsamkeitselber mit ihren Augen anzusehen schien,« sagt er auch in einem Briefe:»Seine Natur ist der meinigen verwandt, wir wundem uns nicht übereinander, sondern sind vertraulich zusammen.«

Aeusserlich betrachtet, hatte ihn allerdings sein Kopf- und Augenleidengezwungen, rein aphoristisch zu arbeiten, aber auch seiner geistigenEigenart entsprach es immer mehr, seine Gedanken nicht in derfortlaufenden Kette vor sich zu sehen, wie man sie, systematischarbeitend, auf dem Papier fixirt, sondern ihnen zuzuhören wie in einemGespräch zu Zweien, einem immer wieder abgebrochenen und immer wiederaufgenommenen, von Einzelheiten ausgehenden Dialog,—der seinen »Ohrenfür Unerhörtes« (Also sprach Zarathustra I 25), vernehmbar wurde gleichgesprochenem Wort.

»Schreiben kann ich nicht, obschon ich es herzlich gern thun möchte,«schreibt er auf einer Postkarte (Januar 1881 aus Italien). »Ach, dieAugen! Ich weiss mir damit gar nicht mehr zu helfen, sie halten michförmlich mit Gewalt ferne von der Wissenschaft—und was habe ichausserdem! Nun, die Ohren! könnte man sagen.« Aber mit diesem Lauschenund Horchen nahm er es sehr genau, und es giebt keinen Satz in seinenBüchern, auf den nicht Anwendung findet, was er einmal in einem seinerBriefe schreibt: »Ich bin immer von sehr feinen Sprachdingen occupirt;die letzte Entscheidung über den Text zwingt zum scrupulösesten »Hören«von Wort und Satz. Die Bildhauer nennen diese letzte Arbeit: ad unguem.«

Als Nietzsche im Jahre 1881 sein drittes Werk auf positivistischerGrundlage, die »Morgenröthe« (Chemnitz 1881, Ernst Schmeitzner),vollendete, da war in ihm der Process einer Verlebendigung undIndividualisirung der aufgenommenen Theorien schon vollkommenzum Abschluss gelangt Dieses Werk und in ebenso hohem Grade dasnächstfolgende erscheinen mir daher als die bedeutendsten undgehaltvollsten seiner mittleren Geistesperiode. Denn in ihnen istes ihm gelungen, praktisch den übertriebenen Intellektualismus zuüberwinden, dem er sich in »Menschliches, Allzumenschliches« nochohne Weiteres in freiwilliger Selbstmarterung unterworfen hatte,—esist ihm gelungen, denselben innerlich und individuell zu ergänzenund menschlich zu vertiefen, ohne die wissenschaftliche Grundlage,auf die er sich gestellt hatte, unter den Füssen zu verlieren,—ohnedie Strenge der Erkenntnissmethode zu lockern, mit der er seinenProblemen nachging. Nietzsches eigene Natur hatte ihm geholfen,die Einseitigkeiten und Härten seiner praktischen Philosophie zuwiderlegen, und einen lebensvolleren Typus des Erkennenden ausden Gedankenkämpfen der letzten Jahre herauszugestalten. Denn dieUnterordnung des Affektlebens unter das Denken hatte sich, wie wirsahen, in Nietzsche vermöge einer so gewaltigen inneren Hingebung andas Wahrheitsideal vollzogen, dass gerade dadurch ihm die Bedeutungdes Affectlebens für das Denken aufgehen musste. Unmerklich verschobsich ihm damit der Hauptaccent von dem rein intellectuellen Vorgangauf die Macht des Gefühls, die sich in den Dienst auch noch dernüchternsten und hässlichsten Wahrheiten zu stellen vermag, bloss weilsie Wahrheiten sind. So beginnt denn schon wieder an Stelle derVerstandeskraft die Seelenkraft zu dem zu werden, was den Rang desDenkers als Menschen bestimmt. Und es ist leicht zu sehen, wie aufdiesem Wege allmählich der Werth einer ganz neuen Denkweise Nietzscheaufgehen musste,—einer allem Verstandesmässigen überhaupt abholdenPhilosophie.

In keinem seiner Bücher lassen sich so sehr wie in der »Morgenröthe«die feinen Uebergänge und Gedankenverbindungen nachweisen, die vonseiner positivistischen Geistesperiode in die darauf folgende einermystischen Willensphilosophie hinüberleiten. Der Uebergang voneinem Alten zu einem Neuen macht, ähnlich wie im »Menschlichen,Allzumenschlichen«, den hohen Reiz und Werth des Buches aus. Aberin ganz entgegengesetzter Weise wie dort, wo wir theoretisch dervollendeten Thatsache eines Gesinnungswechsels gegenüberstehen, in densich das leidende Gefühl erst allmählich hineinzufinden sucht. Hierdagegen wird jede Möglichkeit einer Theorien-Aenderung noch mitHeftigkeit zurückgewiesen als »Versuchungen des wissenschaftlichenMenschen«, während die Seele schon begehrlich und tastend ihreFühlhörner immer wieder nach dem Verbotenen ausstreckt, wie sehrder Verstand es ihr auch verwehrt. So sind es Aeusserungen leisenSchwankens, einzelne Ausbrüche tief erregten Seelenlebens, denen wirahnungsvoll das Zukünftige entnehmen, weil sie in diesem Gemüthszustandeine ungewollte Naivetät und Unmittelbarkeit besitzen, die Nietzschesonst vollständig abgeht. Hier verräth er sich fortwährend, ohnees zu ahnen, indem er den Anlass zu jeder »Versuchung« prüft undtadelt,—er entblösst das Geheime und Verborgene seines Innenlebens,sodass wir zu sehen glauben, wie sein vergangenes und sein zukünftigesSelbst mit einander hinter dem Rücken der scheinbar unangetastetenVerstandesphilosophie das Bekenntniss heimlichen Höffens und Verlangensaustauschen. In der Auflehnung gegen dieses heimliche Hoffen undVerlangen ruft er sich in dem Aphorismus »Nicht die Leidenschaft zumArgument der Wahrheit machen!« (Morgenröthe 543) die Worte zu: »Oh,ihr ... edlen Schwärmer, ich kenne euch!... Bis zum Hassgegen die Kritik, die Wissenschaft, die Vernunft treibt ihr es!...Farbige Bilder, wo Vernunftgründe noth thäten! Gluth und Machtder Ausdrücke!... Ihr versteht euch darauf, zu beleuchten und zuverdunkeln, und mit Licht zu verdunkeln!... Wie dürstet ihrdarnach, Menschen in diesem Zustande—es ist der der Lasterhaftigkeitdes Intellectes—zu finden und an ihrem Brande eure Flammen zuentzünden!...« Erst in Nietzsches letzter Philosophie begreiftman ganz, wie sehr er selbst es ist, an den er die Mahnung richtet:»Nichts wäre verkehrter, als abwarten wollen, was die Wissenschaft überdie ersten und letzten Dinge einmal endgültig feststellen wird,...Der Trieb, auf diesem Gebiete durchaus nur Sicherheiten habenzu wollen, ist ein religiöser Nachtrieb, nichts Besseres,—« (DerWanderer und sein Schatten 16).

Aber inmitten zahlreicher derartiger Auflehnungen gegen sich selbst,bricht dann auch vereinzelt der Ueberdruss durch an der strengenSelbstbescheidung des Verstandes-Erkennens und an—»der Tyranneides Wahren«:—»ich wüsste nicht, warum die Alleinherrschaft undAllmacht der Wahrheit zu wünschen wäre;... muss sichvon ihr im Unwahren ab und zu erholen können,—sonst wird sie unslangweilig,—« (Morgenröthe 507). Und sehnsüchtig ruft er sogar denvon ihm geschmähten Künstlern zu: »Oh, wollten doch die Dichter wiederwerden, was sie einstmals gewesen sein sollen:—Seher, die uns Etwasvon dem Möglichen erzählen! Wollten sie uns von den zukünftigenTugenden etwas vorausempfinden lassen! Oder von Tugenden, die nie aufErden sein werden, obschon sie irgendwo in der Welt sein könnten,—vonpurpurnglühenden Sternbildern und ganzen Milchstrassen des Schönen! Woseid ihr, ihr Astronomen des Ideals?« (Morgenröthe 551).

So sehen wir in der »Morgenröthe« nicht nur, wie er gegen die heimlichin ihm aufsteigenden Gelüste ankämpft, sondern wie er ihnen auchschon nachgiebt, in der hingegebenen Sehnsucht nach etwas Neuem, inder Ahnung eines vor ihm aufsteigenden Erkerintnisszieles. Beidesist in charakteristischer Weise mit einander vermischt, insofern jadie höchste Gluth der Seele, die Nietzsche für ein Erkenntnissidealaufwendet, bei ihm stets den bereits beginnenden Niedergang desselbenIdeals anzeigt, dem er sich zur Zeit der Unbeirrtesten Ueberzeugungvon dessen Wahrheit und Nothwendigkeit nur mit Widerstreben gefügthatte. Dies ist die »Sonnenbahn der Idee«, wie er sie selbst auf Grundeigener Erfahrung geschildert hat: »Wenn eine Idee am Horizonte ebenaufgeht, ist gewöhnlich die Temperatur der Seele dabei sehr kalt.Erst allmählich entwickelt die Idee ihre Wärme, und am heissesten istdiese ..., wenn der Glaube an die Idee schon wieder im Sinken ist.«(Der Wanderer und sein Schatten 207.) Sich selbst aber charakterisirter in derselben Schrift (331) mit den Worten: »Jene Personen, welchelangsam beginnen und schwer in einer Sache heimisch werden, habennachher mitunter die Eigenschaft der stätigen Beschleunigung,—sodasszuletzt Niemand weiss, wohin der Strom sie noch reissen kann.«

Die Macht der langsam und schwer, aber um so verhängnissvoller undunwiderstehlicher entzündeten Innerlichkeit,—diese überschäumendeFülle, musste ihn schliesslich dem Positivismus entfremden und zu neuenGedankenfernen führen. Schon sieht er im vollsten Gegensatz zur früherverherrlichten »Affectlosigkeit« sein Ideal darin, dass der Erkennende»der Mensch Eines hohen Gefühls, die Verkörperung einer einzigengrossen Stimmung« sei; es soll ihm »eben Das der gewöhnliche Zustand«sein, »was bisher als die mit Schauder empfundene Ausnahme hier und daeinmal in unseren Seelen eintrat: eine fortwährende Bewegung zwischenhoch und tief und das Gefühl von hoch und tief, ein beständigesWie-auf-Treppen-steigen und zugleich Wie-auf-Wolken-ruhen«. (FröhlicheWissenschaft 288.) Vor einem solchen »Erkennenden« steht jetzt alsLockung" was ihm ehemals als Gefahr galt: »Einmal den Boden verlieren!Schweben! Irren! Toll sein!« (Fröhliche Wissenschaft 46.) Und in der»Morgenröthe« (271) heisst es unter der Ueberschrift »Feststimmung«:»Gerade für jene Menschen, welche am hitzigsten nach Macht streben, istes unbeschreiblich angenehm, sich überwältigt zu fühlen! Plötzlichund tief in ein Gefühl, wie in einen Strudel hinabzusinken! Sich dieZügel aus der Hand reissen zu lassen, und einer Bewegung wer weisswohin? zuzusehen!«

In einer solchen Feststimmung des Ueberflusses und Ueberschusses,langsam aus den nüchternsten Erkenntnissen herausgeschöpft undangesammelt,—in einem solchen Zauber der Ausspannung und Erholungnach langem Arbeitstag, gleitet Nietzsche in eine Welt der Mystikhinein. In einer solchen Selbstüberwältigung besiegt der eigeneSieg den Sieger. Es ist das »Glück des Gegensatzes«, das er darinsucht, des Gegensatzes zum Kühlen, Strengen, Verstandesmässigen derpositivistischen Denkweise: die Erkenntniss neu gegründet auf diebegeisterten Eingebungen des Gefühls, des Affectlebens, und unterthangemacht dem Schaffensdrang des Willens.

Diese »Morgenröthe« ist kein blasses, kaltes, rückwärts leuchtendesAufklärungslicht mehr,—hinter ihr erhebt sich schon eine wärmende,lebenzeugende Sonne, und während er selbst noch im grauen Zwielichtder Dämmerung dasteht, sind seine Augen schon sehnsüchtig auf diesenhellen verheissenden Schein am Horizont gerichtet. »Es gibt so vieleMorgenröthen, die noch nicht geleuchtet haben!« schrieb er mit denWorten des Rig-veda als Motto auf das Titelblatt, ohne dass er nochzu glauben wagte, er selbst sei berufen, ein solches Leuchten amHimmel der Erkenntniss zu entzünden, Das Buch enthält »Gedanken überdie moralischen Vorurtheile«, wie dem Titel ergänzend beigefügt ist,und damit will es scheinbar noch dem zersetzenden, negirenden Geisteder vorhergehenden Werke angehören; aber darüber schwebt schon einträumender, hoffender Geist, der zwar nur hier und da vollen Ausdruckfindet, aber schweigend sinnt, wie es zu ermöglichen wäre, aus allenVorurtheilen heraus zu neuen Werthurtheilen zu gelangen, wie esmöglich wäre, zum Schöpfer neuer Werthe zu werden. »Wenn endlich auchalle Bräuche und Sitten vernichtet sind, auf welche die Macht derGötter, der Priester und Erlöser sich stützt, wenn also die Moralim alten Sinne gestorben sein wird: dann kommt—ja was kommt dann?«(Morgenröthe 96.)

Der Sturz, der Abbruch des Alten ist eben kein Ende mehr, vielmehr einAusblick, ein Anfang und ein Appell an alle besten Geisteskräfte. »Eskommt eben noch etwas,—die Hauptsache kommt noch!« verspricht dieMorgenröthe und wird immer heller und röther.

Ein Jahr nach Veröffentlichung der »Morgenröthe« schrieb Nietzsche dennauch zum ersten Mal wieder über neue philosophische Hoffnungen undFempläne:

— — — — — — — — — — — — — — — — — — — —
»Nun, liebste Freundin, Sie haben immer für mich ein gutesWort in Bereitschaft, es macht mir grosse Freude, Ihnenzu gefallen. Die fürchterliche Existenz der Entsagung,welche ich führen muss und welche so hart ist, wie je eineasketische Lebenseinschnürung, hat einige Trostmittel,die mir das Leben immer noch schätzenswerter machen alsdas Nichtsein. Einige grosse Perspectiven des geistigsittlichen Horizonts sind meine mächtigste Lebensquelle. Ichbin so froh darüber, dass gerade auf diesem Boden unsereFreundschaft ihre Wurzeln und Hoffnungen treibt. Niemandkann so von Herzen sich über Alles freuen, was von Ihnengethan und geplant wird!

Treulich Ihr Freund

F. N.«

Und kurz darauf ruft er am Schlüsse eines anderen Briefes aus:

»Auch ich habe jetzt Morgenröthen um mich, und keine gedruckten!Was ich nie mehr glaubte,... das erscheint mir jetzt alsmöglich,—als die goldene Morgenröthe am Horizonte all' meineszukünftigen Lebens....«

Diese Stimmung, die mit der Gewalt der Sehnsucht eine neue Geistesweltfern am Horizont heraufbeschwor, damit sie Ersatz böte für alles, wasZweifel und Kritik zerstört hatten, klingt am deutlichsten durch in denSchlussworten der »Morgenröthe«, in denen Nietzsche seine kritische undnegirende Denkrichtung selber als einen Wegweiser zu neuen Idealenaufzufassen sucht:

»Warum doch gerade in dieser Richtung, dorthin, wo bisher alle Sonnender Menschheit untergegangen sind? Wird man vielleicht uns einstmalsnachsagen, dass auch wir, nach Westen steuernd, ein Indien zuerreichen hofften,—dass aber unser Loos war, an der Unendlichkeit zuscheitern? Oder, meine Brüder? Oder—? (Morgenröthe, Schluss.)

Als Nietzsche im Jahre 1882 seine »Fröhliche Wissenschaft« vollendete,da war ihm sein Indien bereits zur Gewissheit geworden: er glaubtegelandet zu sein an den Küsten einer fremden, noch namenlosen,ungeheuren Welt, von der nichts anderes bekannt sei, als dass siejenseits alles dessen liegen müsse, was von Gedanken angefochten,von Gedanken zerstört werden kann. Ein weites, scheinbar uferlosesMeer zwischen ihm und jeder Möglichkeit einer erneuten begrifflichenKritik,—jenseits aller Kritik meinte er festen Boden gefasst zu haben.

Der übermüthige Jubel dieser Gewissheit klingt in den Versen wieder,die er in das Widmungs-Exemplar seiner »Fröhlichen Wissenschaft«schrieb:

»Freundin, sprach Columbus, traue
Keinem Genuesen mehr!
Immer starrt er in das Blaue
Fernstes zieht ihn allzusehr!
Wen er liebt, den lockt er gerne
Weit hinaus in Raum und Zeit,—
Üeber uns glänzt Stern bei Sterne
Um uns braust die Ewigkeit.«

Aber er irrte sich in Bezug auf die völlige Neuheit und Jenseitigkeitdes Landes,—es war der umgekehrte Irrthum des Columbus, der, dasAlte suchend, das Neue fand. Denn Nietzsche war in der That, ohnees zu bemerken, nach einer Weltumseglung von der entgegengesetztenSeite an die Küste eben desjenigen Landes zurückgelangt, von welchemer ursprünglich ausgegangen, und welches er für immer im Rückengelassen zu haben glaubte, als er sich von der Metaphysik abwandte.Wir werden es an allen Werken seiner letzten Geistesperiode erkennen,in wiefern sie wieder aus jenem alten Boden hervorgewachsen sind,wenn auch in ihrem Wachsthum und ihrer Eigenart beeinflusst durchdie Erfahrungen der letzten Jahre. Unstreitig hatte ein Hauptwerthder positivistischen Denkrichtung für Nietzsche darin gelegen, dasssie ihm wenigstens innerhalb gewisser Grenzen wirklich Spielraum füralle diese Stimmungs-Uebergänge und Gefühlsschwankungen zu bietenvermochte und ihn dadurch eine Zeit lang festhielt. Sie schlug ihnnicht in Fesseln, wie es die Metaphysik nothwendig gethan hatte,sondern wies ihm nur eine Wegerichtung; sie bürdete ihm nicht einErkenntnisssystem auf, sondern gab ihm im wesentlichen nur eine neueErkenntnissmethode an die Hand. Darum war auch seine Emancipation vonihr keine so gewaltsame und plötzliche wie seine Wagnerwandlung, siewar, anstatt eines Fesselsprengens, ein allmähliches Sich-Verfliegenund Sich-Verlaufen,—»all mein Wandern und Bergsteigen: eine Nothwar's nur und ein Behelf des Unbeholfenen:—fliegen allein willmein ganzer Wille!« (Also sprach Zarathustra III 19.) »Ich habe gehengelernt: seitdem lasse ich mich laufen!« (I 54.) Aber wohl vollzog siesich ebenso unaufhaltsam und unwiderruflich, wie die vorhergehendeWandlung. Denn über die rein empiristische Betrachtungsweise seinerProbleme, über die principielle Beschränkung auf das Erfahrungsgebiet,musste Nietzsche irgend wann einmal wieder hinaus; einer Philosophieder »letzten und höchsten Dinge« in irgend einer Form konnte er, derganzen Art seines Geistes nach, nicht dauernd entsagen. Es konntesich im Grunde nur darum handeln, auf welchem stillen. Seitenweg ersich wieder dorthin zurückschleichen würde,—wo die Götter und dieUebermenschen hausen.

Nietzsche schreibt einmal an Rée:

»Ach, liebster, guter Freund, mit dem schmerzlichsten Bedauern leseich— — —die Nachricht Ihres Krankseins. Was soll aus uns werden,wenn wir in unseren besten Jahren so elend dahinwelken?— — —Willuns das Schicksal ein schönes Greisenalter aufsparen, weil unsereDenkweise diesem am natürlichsten, wie eine gesunde Haut, anliegt?Aber müssten wir da nicht zu lange warten? Die Gefahr wäre, dass wirdie Geduld verlören—.«

Er verlor sie völlig. »Schon krümmt und bricht sich mir die Haut!«sang er gleich darauf in einem schlechten Versehen der »FröhlichenWissenschaft«, und unter der »Greisenhaut« des »affectlosenErkennenden« regte sich machtvoll jener Verjüngungsdrang, aus welchemheraus Nietzsche noch in seinem Untergange eine Apotheose des Lebens,des ewigen Lebens, schrieb.

Das Schicksal brauchte ihm kein Greisenalter auf-zusparen—.

Aber als die Basis der neuen Lehre, die er verkünden wollte, alsdas einzige zuverlässige Fundament, auf dem sie errichtet werdenkönnte, dachte sich Nietzsche damals doch noch eine wissenschaftlicheBegründung. Gerade in dieser Zeit des Ueberganges sehen wir ihndaher von dem lebhaftesten Verlangen ergriffen, sich grossenzusammenhängenden Forschungen widmen zu dürfen, denen er seit langenJahren hatte entsagen müssen. Mit nimmermüdem Interesse und Antheilverfolgte er die Studien, welche Rée seit 1878 unternommen hatte, umdurch sie die Grundgedanken seines ersten moralphilosophischen Bucheszu erweitern und zu erhärten. Als dieser 1881 Nietzsche mittheilte,dass er sein neues Werk noch vor Ablauf des Jahres zu vollenden hoffe,empfing er die beglückte Antwort: »Dieses selbe Jahr soll nun auch dasWerk ans Licht bringen, an dem ich im Bilde des Zusammenhanges undder goldenen Kette meine arme, stückweise Philosophie vergessen darf!Welches herrliche Jahr 1881!«

Die in Frage stehende Schrift: »Die Entstehung des Gewissens« (Berlin1885) wurde jedoch erst vier Jahre später völlig beendigt, nachdemNietzsche inzwischen längst den letzten Rest seiner »Freigeisterei« vonsich abgestreift und die abgelegte Haut auch schon mit der gewöhnlichenEnergie verbrannt hatte. Aber durch den regen Antheil, den er solange an Rées Studien zu jenem Buche genommen, hat es eine bestimmteBedeutung für sein Gedankenleben gewonnen. Doch stützt er sich jetztnicht in demselben Sinne auf »Die Entstehung des Gewissens«, wie ersich einst in »Menschliches, Allzumenschliches« auf den »Ursprung dermoralischen Empfindungen« gestützt hatte. Darauf beruht überhauptein Unterschied zwischen der letzten Geistesperiode Nietzsches undder vorhergehenden positivistischen, dass er sich nicht mehr daraufbeschränkt, einzelne gegebene Theorien in ihrer inneren Bedeutsamkeitzum Ausdruck zu bringen, sondern dass er sich der kühnsten Entwickelungeines eigenen Systems hingiebt, dass er aus dem Aphoristischen,Vereinzelten hinausstrebt. Hatte die »freigeisterische« Richtung ihndazu angetrieben, ihre Erkenntnisse in tiefstem Erleben und Empfindenzu verinnerlichen, so drängte nun die leidenschaftliche Gewalt diesesinneren Erlebens ihrerseits nach Entlastung in bestimmten Gedanken undTheorien; sie drängte danach, sich in neue geschlossene Weltbilderumzusetzen.

Im Sommer 1882 wurde Nietzsche dadurch zu dem Entschlüsse geführt,sich während einer Reihe von Jahren demjenigen Studium zu widmen,das ihm für den systematischen Ausbau seiner »Zukunftsphilosophie«unentbehrlich zu sein schien, dem Studium der Naturwissenschaften. Erwollte zu diesem Zwecke sein Leben im Süden aufgeben, um in Paris,Wien oder München Vorlesungen zu hören. Zehn Jahre lang sollte jedeschriftstellerische Thätigkeit eingestellt werden, bis das Neue in ihmnicht nur völlig ausgereift, sondern auch auf wissenschaftlichem Wegeals richtig erwiesen wäre.

Etwas später als Nietzsche fühlte auch Rée das Bedürfniss, sich mitden Naturwissenschaften auseinanderzusetzen, die ihnen Beiden bisherfremd geblieben waren. Er jedoch wünschte sie nicht als Material zumAusbau eigener philosophischer Hypothesen heranzuziehen, sondernhatte, nach Vollendung seines Buches, das Verlangen, neue Gedanken freiauf sich wirken zu lassen und völlig aus seinem engeren Specialgebieteherauszutreten. So wandte er sich denn der Medicin zu, studirte nocheinmal, und machte sein Staatsexamen als praktischer Arzt, mit derAbsicht, sich längere Zeit der Psychiatrie zu widmen und auf diesemUmwege zu den Geisteswissenschaften zurückzukehren, Niemals standensich die Freunde geistig ferner als damals, wo sie scheinbar nocheinmal Dasselbe zu erstreben schienen: sie waren an den einanderentgegengesetzten Polen ihres Wesens und Geistes angelangt.[12] Dasspricht sich bezeichnend auch darin aus, dass die geplanten zehnJahre des Schweigens für Nietzsche gerade diejenigen seiner grösstenProductivität wurden, während Rée bis jetzt den Punkt noch nichterreicht hat, auf dem sein altes Schaffen und sein neues Wissen in Einsverschmelzen und ihn zu neuer erhöhter Selbstthätigkeit anregen müssen.

Nietzsche war durch sein Kopfleiden an der Ausführung seinerEntschlüsse gehindert worden; schon der anbrechende Winter 1882 fandihn wieder in seiner Einsiedlerklause zu Genua. Doch auch bei bessererGesundheit wäre das Vorhaben nicht ausführbar gewesen. Denn Nietzschebefand sich nicht mehr in jenem abwartenden Zustande, in welchemder Geist noch Fremdes aufnehmen, sich störenden Einsichten willigunterordnen kann; er war schon viel zu stark productiv erregt, umnoch von irgend etwas berührt zu werden, das ihn in seinem Drange zuschaffen hätte aufhalten können. Während er zur Entfesselung seinerSchaffenskraft einer ersten Befruchtung von aussen her bedurfte, seies selbst unter Schmerzen und Selbstüberwindung, während er sich einersolchen fremden Erkenntniss gegenüber hingebend verhielt, in derInbrunst der Verschmelzung mit ihr sein Selbst preisgab, erscheinter—einmal befruchtet—um so unzugänglicher und unbeeinflussbarer. Erist ganz benommen vom eigenen Zustand und von Dem, was Leben in ihmgewinnen will. Richtet sich aber seine Aufmerksamkeit nach aussen, sogeschieht es nur noch, um für das Leben, das aus ihm geboren werdensoll, um jeden Preis Raum zu schaffen, keineswegs aber, um seineExistenzbedingungen noch einmal zu prüfen und in Frage zu stellen.

Der ihm durch seinen körperlichen Zustand zum zweiten Mal aufgezwungeneVerzicht auf umfassende wissenschaftliche Studien führte dieses Malzu dem entgegengesetzten Resultat wie zur Zeit seines Wagnerbruchesund seiner positivistischen Periode. Damals war er die Veranlassung,dass Nietzsche, anstatt neue Theorien zu begründen, die von Anderenaufgenommenen innerlich auszuschöpfen und in ihren Seelenwirkungenfestzustellen suchte. Jetzt hingegen wird er dadurch verleitet, dieihm fehlende theoretische Grundlage gewissermassen hinzuzudichten.Hierin liegt geradezu ein Grundzug der letzten Philosophie Nietzsches:das Bedürfniss, sich systematisch auszubreiten, als gelte es, denverschiedensten Wissensgebieten die Beweise für die Richtigkeit seinesschöpferischen Gedankens zu entnehmen, in Wahrheit jedoch nur eingewaltsames Raumschaffen für denselben: ein so souveränes Auslebenseiner Innerlichkeit, dass sich ihm unwillkürlich das ganze Weltbild zueiner Wiege seiner Schöpfung umgestaltet.

Dementsprechend gewinnen von jetzt an alle seine Lehren, so paradoxdies klingen mag, einen um so persönlicheren Charakter, jeallgemeiner gefasst sie erscheinen, je allgemeingiltigere Bedeutungsie beanspruchen. Zuletzt verbirgt sich ihr Hauptkern unter sovielen Schalen, ihr letzter Geheimsinn unter so vielen Masken, dassdie Theorien, in denen er zum Ausdruck kommt, fast nur noch Bilderund Symbole inneren Erlebens sind. Endlich fehlt jeder Wille zurUebereinstimmung und zur Verständigung mit Anderen,—»Mein Urtheilist mein Urtheil: dazu hat nicht leicht auch ein Anderer das Recht«(Jenseits von Gut und Böse 43)—und doch wird gleichzeitig diesesUrtheil zum Weltgesetz decretirt, zu einem Befehl an die ganzeMenschheit. Denn so vollständig verschmilzt für Nietzsche zum Schlüsseinnere Eingebung und Aussen-Offenbarung, dass er in seinem Innenlebendas Weltganze zu umfassen wähnt, und sein Geist in mystischer Weiseden Inbegriff des Seienden in sich zu enthalten, aus sich zu gebärenglaubt.« Für mich—wie gäbe es ein Ausser-mir? Es gibt kein Aussen!«(Also sprach Zarathustra III 95.)

Entsprechend dem Umstande, dass Nietzsches letzte Schaffensperiode ganzund gar in der philosophischen Ausdeutung seines eigenen Seelenlebensbesteht, nennt er »Die fröhliche Wissenschaft«, das Werk, welchessie einleitet, in einem seiner Briefe »das Persönlichste untermeinen Büchern«, und klagt noch kurz vor dem Druck der »FröhlichenWissenschaft« in einem anderen Briefe: »Das Manuscript erweist sichseltsamer Weise als unedirbar. Das kommt vom Princip des mihi ipsiscribo!«

In der That hat er wohl niemals so völlig für sich selbstgeschrieben, als zu jener Zeit, wo er im Begriffe stand, seinerganzen Weltbetrachtung sein eigenes Selbst unterzulegen, Alles ausseinem eigenen Selbst heraus zu erklären. So ist die Mystik der neuenGrundlehren Nietzsches wohl schon hier enthalten, aber noch verborgenim rein persönlichen Element, aus dem sie hervorging. In Folge dessenbilden diese Aphorismen Monologe, monologischer gemeint als sonstirgend etwas in Nietzsches Werken, gleichsam halblaute >Zwischenreden«,ja oft nur gedacht als ein stummes geistiges Mienenspiel, das weit mehrverstecken als verrathen soll. Die Gedanken der »Zukunftsphilosophie«reden schon daraus zu uns, aber sie umgeben uns noch gleichverschleierten Gestalten, deren Blick dunkel und räthselhaft auf unsruht, und dies nicht, weil sie, wie in der »Morgenröthe«, nur Ahnungenzum Ausdrücke bringen und noch der festen Züge und sicheren Umrisseentbehren, sondern weil ihnen mit Absicht ein Schleier übergeworfen undSchweigsamkeit anbefohlen wurde. Mit dem Finger an der Lippe scheintNietzsche hier vor uns zu stehen, und gerade daraus entnehmen wir, dasser uns Viel, dass er uns Alles zu bekennen wünscht.

Aber es wird ihm schwer, ohne Rückhalt davon zu sprechen, weilauch in diesem Falle sein Selbstbekenntniss zugleich wieder einSchmerzensbekenntniss ist. Und in einem viel tieferen, vielschmerzvolleren Sinn als bisher führt uns diesmal die PhilosophieNietzsches hinein in die verborgenen Leiden und Qualen seines Erlebens,sodass, im Vergleiche hierzu, selbst die harten Kämpfe und Entsagungenseiner positivistischen Periode uns harmlos und gefahrlos Vorkommenwerden. Auf den ersten Blick erscheint dies als ein Widerspruch, daNietzsches letzte Philosophie gerade aus dem Drange he'rvorgegangenist, an Stelle der ihm widerstrebenden positivistischen Theorien eineWeltanschauung aufzubauen, die seinem innersten Verlangen völligentspräche. Insofern beginnt er in der That seine letzte Wandlungunter Jauchzen und Frohlocken. Aber man darf nicht vergessen, dassdiese äusserste Selbsteinkehr, dieser Versuch, das Weltbild aus seinemEigenbild zu construiren, Nietzsches Leiden an sich selbst zu Tagetreten lässt, aus dem sein tiefster Wesensgrund besteht. Bisher hat erin seinen Erkenntnisswandlungen diesem Leiden an sich selbst dadurchzu entrinnen gesucht, dass er den einen Theil seines Selbst durchden anderen quälte und tyrannisirte, aber bei allen Wandlungen destheoretischen Menschen blieb unverwandelt und sich ewig gleich derpraktische Mensch mit seinen inneren Nöthen. Jetzt erst, wo Nietzschesich nicht mehr zwingt und kasteit, jetzt erst, wo er seiner Sehnsuchtfreie Worte giebt, begreift man ganz, in welcher Qual er lebte, hörtman endlich den Schrei nach Erlösung von sich selbst,—nach seinemWesens-Gegensatz, nach vollständiger und endgiltiger Verwandlung,Umwandlung,—nicht einzelner Erkenntnisse nur, sondern des ganzen, desinnersten Menschen. Man sieht förmlich, wie er hier, in Verzweiflung,aus sich selbst heraus und nach aussen greift, nach einem erlösendenIdeal, welches er aus einem solchen Wesens-Gegensatz zu formen sucht.Daher liess sich voraussehen: sobald Nietzsche seinen Seeleninhaltfrei zum Weltinhalt umschuf, sobald er seinem intimsten Erlebendie Weltgesetze entnahm, musste seine Philosophie ein tragischesWeltbild zeichnen: die Menschheit musste von ihm aufgefasst werdenals eine an sich selbst leidende, an ihrer eigenen Entwicklunghoffnungslos krankende Zwittergattung, deren Daseinsberechtigung garnicht in ihr selbst, sondern in einer schlechthin anderen, höheren,Uebermenschen-Gattung liege, zu der sie nur eine Brücke bilden solle.Das Endziel der Menschheit sei Untergang und Selbstaufopferung zuGunsten dieses ihr entgegengesetzten Ideals.

Erst am Eingang zu Nietzsches letzter Philosophie wird daher völligklar, bis zu welchem Grade es der religiöse Grundtrieb ist, der seinWesen und Erkennen stets beherrschte. Seine verschiedenen Philosophiensind ihm ebensoviele Gott-Surrogate, die ihm helfen sollen, einmystisches Gott-Ideal ausser seiner selbst entbehren zu können. Seineletzten Lehren enthalten nun das Eingeständniss, dass er dies nichtvermag. Und gerade deshalb stossen wir in seinen letzten Werkenwieder auf eine so leidenschaftliche Bekämpfung der Religion, desGottesglaubens und des Erlösungsbedürfnisses, weil er sich ihnen sogefährlich nähert. Hier spricht aus ihm ein Hass der Angst und derLiebe, mit dem er sich seine eigene Gottesstärke einreden, seinemenschliche Hilflosigkeit ausreden möchte. Denn wir werden sehen,kraft welcher Selbsttäuschung und geheimen List Nietzsche endlich dentragischen Conflict seines Lebens löst,—den Conflict, des Gottes zubedürfen und dennoch den Gott leugnen zu müssen. Zuerst gestalteter mit sehnsuchtstrunkener Phantasie, in Träumen und Verzückungen,visionengleich, das mystische Uebermenschen-Ideal, und dann, umsich vor sich selbst zu retten, sucht er, mit einem ungeheurenSprung, sich mit demselben zu identificiren. So wird er zuletzt zueiner Doppelgestalt, halb kranker, leidender Mensch, halb erlöster,lachender Uebermensch. Das Eine ist er als Geschöpf, das Andereals Schöpfer, das Eine als Wirklichkeit, das Andere als mystischgedachte Ueberwirklichkeit. Oft aber, während man seinen Reden darüberzuhört, empfindet man mit Grauen, dass er als Gegenstand der Anbetunghinstellt, was in Wahrheit auch für ihn nicht vorhanden ist, und mangedenkt seines Wortes,... wer weiss, ob sich nicht bisher inallen grossen Fällen eben das Gleiche begab: dass die Menge einen Gottanbetete,—und dass der »Gott« nur ein armes Opferthier war!« (Jenseitsvon Gut und Böse 269.)

»Das Opferthier als Gott« ist wahrlich ein Titel, der über derletzten Philosophie Nietzsches stehen könnte und am deutlichsten deninneren Widerspruch enthüllt, der in ihr liegt,—jene Exaltationvon Schmerz und Wonne, in der beide ununterscheidbar in einanderfliessen. Wir haben vorher gesehen, inwiefern es eine Feststimmungwar, in der Nietzsche in seine letzte Geisteswandlung hinüberglitt,—eine Feierstimmung träumenden Rausches und Ueberflusses: wir sehenjetzt den Punkt, an welchem die Gewalt der inneren Erregung in denSchmerz überschlägt. Er war in jener ganzen Zeit, selbst in seinemAlltagsleben, erfüllt von einer Stimmung äusserster seelischerUeberwältigung, in der man sogar der Ausgelassenheit fähig ist, abernur weil alle Nerven beben, in der man leicht bis zum Scherzen undLachen gelangt, aber nur mit zitternden Lippen. Bedurfte es dochjedesmal für Nietzsche einer solchen Verschlingung von Wonne und Weh,von Begeisterung und Leiden, um ihn einer geistigen Wiedergeburtentgegenzuführen. Sein Glück musste erst zum »Ueberglück«, und indiesem Uebermass zum eigenen Gegner und Gegensatz geworden sein;Frieden und Heimatgefühl, wo er sie einmal innerhalb eines gewonnenenErkenntnissgebietes mühsam errungen hatte, mussten ihn erst zuSelbstverwundung und Selbstvertreibung gereizt haben, damit sein Geistin sich selber schwelgen und sich in neuen Schöpfungen entlasten konnte.

Es ist dafür bezeichnend, dass er sein Werk, im Jauchzen seinesHerzens, die frohe Botschaft, »Die fröhliche Wissenschaft« nannte,zugleich aber über den Schluss-Aphorismus desselben die düsterenRäthselworte setzte: »Incipit tragoedia!«

Dieser Verbindung von tiefer Erschütterung und spielendem Uebermuth,von Tragik und Heiterkeit, welche für die ganze Gruppe der letztenWerke charakteristisch ist, entspricht es auch, dass die »FröhlicheWissenschaft«, im schärfsten Gegensatz zu dem dunkeln Geheimnissder Schlussworte, ein »Vorspiel« in Versen besitzt: »Scherz, Listund Rache.« Hier begegnen uns zum ersten Mal Verse in NietzschesSchriften,—sie mehren sich aber in dem Maasse, als er seinempersönlichen Untergang zuzuschreiten glaubt. In Gesängen klingt seinGeist aus. Die Verse sind überraschend verschieden an Werth, zumTheil vollendet: Gedanken, die an ihrer eigenen Schönheit und Füllesich zu Gedichten wandelten;—zum Theil von einer so wunderlichenUnvollkommenheit, wie sie nur die Laune des Muthwillens vom Zaunebricht. Ueber ihnen allen aber ruht etwas seltsam Ergreifendes: Sindes doch Blumen, die sich ein Einsamer auf den Leidensweg streut, derseiner harrt, um den Schein zu erwecken, dass es ein Freudenweg sei.Frisch gebrochenen Rosen gleichen sie, auf die sein Fuss treten will,während er schon beschäftigt ist, in seinen leidvollsten Erkenntnissenseinem Haupte die Dornenkrone zu flechten.

Sie klingen wie ein Präludium zu dem erschütternden Schauspiel seinerhöchsten Erhebung und seines Unterganges. Von diesem Schauspiel hebtauch die Philosophie Nietzsches den Vorhang nicht ganz. Was sie unszeigt, ist nur, gleich einem Bilde auf diesem Vorhang, ein buntesBlumengewinde, aus dem, halb versteckt, die Worte gross und traurighervorleuchten:

»Incipit tragoedia!«

[1] Die philologischen Arbeiten Nietzsches sind: ZurGeschichte der Theognideischen Spruchsammlung, im Rheinischen Museum,Bd. 22; Beiträge zur Kritik der griechischen Lyriker, I. Der DanaeKlage von Simonides, im Rhein. Mus., Bd. 23; De Laertii DiogenisFontibus, im Rhein. Mus., Bd. 23 und 24; Analecta Laertiana,im Rhein. Mus., Bd. 25; Beiträge zur Quellenkunde und Kritik desLaertius Diogenes, Gratulationsschrift des Pädagogiums zu Basel. Basel1870.—Certamen quod dicitur Homeri et Hesiodi e codice Florentinopost H. Stephanum denuo ed. F. N., in den Acta societatis philologaeLipsiensis ed. Fr. Ritschl, Vol. I; dazu der florentinische Tractatüber Homer und Hesiod, ihr Geschlecht und ihren Wettkampf, im Rhein.Mus, Bd. 25 und 28. Auch rührt das »Registerheft« zu den ersten 24Bänden des Rheinischen Museums (1842-1869) von ihm her, das er nachRitschls Disposition zusammenstellte.

[2] Er hat so gelesen, wie er es einmal »gut lesen« nennt:»—das heisst langsam, tief, vor- und rücksichtig, mit Hintergedanken,mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und Augen lesen—«(Einführende Vorrede zur neuen Ausgabe der Morgenröthe 11.)

[3] Dieses Buch erregte bei seinem Erscheinen das lebhaftesteMissfallen der philologischen Zunft; hatte der Verfasser es dochgewagt, seinen Ausführungen nicht nur die Lehren des verpöntenPhilosophen Arthur Schopenhauer, sondern auch die künstlerischenAnschauungen des damals noch ebenso geschmähten »Zukunftsmusikers«Richard Wagner zu Grunde zu legen. Ein junger philologischerHeisssp*rn, Ulrich v. Wilamowitz-Möllendorf, der jetzt zu denhervorragenden Vertretern der classischen Philologie in Deutschlandgehört, machte sich in nicht besonders glücklicher und geschmackvollerWeise zum Sprachrohr zünftiger Einseitigkeit. Ohne der Eigenart desNietzscheschen Buches irgendwie gerecht zu werden, griff er es in derBroschüre »Zukunftsphilologie! eine erwidrung auf F. N.'s »gebürt dertragödie«, Berlin 1872, von einem beschränkt philologischen Standpunkteauf das heftigste an. Für den Angegriffenen traten in die Schrankenderjenige, an den vor Allen das Buch gerichtet war, Richard Wagner,der Künstler, in einem in der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« vom23. Juni 1872 abgedruckten offenen Briefe an Friedrich Nietzsche,und Erwin Rohde, der bereits damals von seiner tiefen Kenntnis desgriechischen Alterthums die vollgiltigsten Proben abgelegt hatte.In der ausgezeichnet geschriebenen Streitschrift: »Afterphilologie.Sendschreiben eines Philologen an Richard Wagner«, Leipzig 1872,stellte er sich auf den von dem Gegner gewählten Boden und wies dievon diesem gemachten Einwände und Beschuldigungen zurück, worauf v.Wilamowitz dann noch mit einer Duplik, »Zukunftsphilologie! ZweitesStück, eine erwidrung auf die rettungsversuche für F. N.'s »gebürt dertragödie«, Berlin 1873, antwortete.

[4] Vergleiche die einführende Vorrede zur Neuen Ausgabe deszweiten Bandes von Menschliches, Allzumenschliches, wo es IV heisst:»—was ich gegen die »historische Krankheit« gesagt habe, das sagte ichals Einer, der von ihr langsam, mühsam genesen lernte—.

[5] Vorwort V: »Auch soll ... nicht verschwiegenwerden,... dass ich nur, sofern ich Zögling älterer Zeiten, zumalder griechischen bin, über mich als ein Kind dieser jetzigen Zeit zu sounzeitgemässen Erfahrungen komme.«

[6] Vgl. Schopenhauer als Erzieher 19: »ich ahnte, in ihmjenen Erzieher und Philosophen gefunden zu haben, den ich so langesuchte. Zwar nur als Buch: und das war ein grosser Mangel. Um so mehrstrengte ich mich an, durch das Buch hindurch zu sehen und mir denlebendigen Menschen vorzustellen, dessen grosses Testament ich zu lesenhatte, und der nur solche zu seinen Erben zu machen verhiess, welchemehr sein wollten und konnten als nur seine Leser: nämlich seine Söhneund Zöglinge.

[7] Nietzsche lebte damals in einer Bewunderung der englischenGelehrten und Philosophen, die später in ihr Gegentheil umschlug; inMenschliches, Allzumenschliches II 184 nennt er sie noch die »ganzen,vollen und füllenden Naturen«, und in einem Briefe an Rée nennt er dieenglischen Philosophen der Gegenwart, »den einzig gut philosophischenUmgang, den es jetzt giebt«. Dementsprechend ist das Einzige, waser in dieser Periode an seinem ehemaligen Meister Schopenhauer nochhochschätzt: »sein harter Thatsachen-Sinn, sein guter Wille zuHelligkeit und Vernunft, der ihn oft so englisch—erscheinen lässt.«(Fröhliche Wissenschaft 99.)

[8] Erwähnt wird es von Nietzsche in »Menschliches,Allzumenschliches« I 37.

[9] Vergleiche Menschliches, Allzumenschliches die Aphorismenüber »Cultus des Genius' aus Eitelkeit« (162) und »Gefahr und Gewinn imCultus des Genius'.« (164).

[10] Dieser Besitz von »Liebe und Güte« als der heilsamstenKräuter und Kräfte im Verkehre der Menschen (Menschliches,Allzumenschliches I 48) ist noch mehr werth als die gepriesene grosseeinzelne Aufopferung; noch »mächtiger an der Cultur gebaut«, hat jenesimmerwährende freundliche Wohlwollen, das des Lebens »Behagen«schafft. (Menschliches, Allzumenschliches I 49)

[11] Vergleiche die folgenden Aphorismen, die Nietzsche mireinmal aufschrieb:

Zur Lehre vom Stil.

1.

Das Erste, was noth thut, ist Leben: der Stil soll leben.

2.

Der Stil soll dir angemessen sein in Hinsicht auf eine ganz bestimmtePerson, der du dich mittheilen willst. (Gesetz der doppeltenRelation.)

3.

Man muss erst genau wissen: »so und so würde ich das sprechen undvortragen«—bevor man schreiben darf. Schreiben muss eine Nachahmungsein.

4.

Weil dem Schreibenden viele Mittel des Vortragenden fehlen, somuss er im Allgemeinen eine sehr ausdrucksvolle Art von Vortragzum Vorbild haben: das Abbild davon, das Geschriebene, wird schonnothwendig viel blässer ausfallen.

5.

Der Reichthum an Leben verräth sich durch Reichthum an Gebärden. Manmuss alles, Länge und Kürze der Sätze, die Interpunctionen, die Wahlder Worte, die Pausen, die Reihenfolge der Argumente—als Gebärdenempfinden lernen.

6.

Vorsicht vor der Periode! Zur Periode haben nur die Menschen ein Recht,die einen langen Athem auch im Sprechen haben. Bei den meisten ist diePeriode eine Affectation.

7.

Der Stil soll beweisen, dass man an seine Gedanken glaubt, und sienicht nur denkt, sondern empfindet.

8.

Je abstracter die Wahrheit ist, die man lehren will, um so mehr mussman erst die Sinne zu ihr verführen.

9.

Der Tact des guten Prosaikers in der Wahl seiner Mittel besteht darin,dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten.

10.

Es ist nicht artig und klug, seinem Leser die leichteren Einwändevorwegzunehmen. Es ist sehr artig und sehr klug, seinem Leserzu überlassen, die letzte Quintessenz unserer Weisheit selberauszusprechen.

[12] Siehe in der »Fröhlichen Wissenschaft« (279) unter derUeberschrift »Sternen-Freundschaft« die schönen Worte, mit denenNietzsche damals von dieser geistigen Genossenschaft Abschied nahm.

III. ABSCHNITT.

DAS "SYSTEM NIETZSCHE"

MOTTO:
»Schaffen wollt ihr noch die Welt,
vor der ihr knien könnt.«
(Also sprach Zarathustra II. 47).

Geist? Was ist mir Geist! Was ist mir Erkenntniss! Ichschätze nichts als Antriebe,—und ich möchte schwören,dass wir darin unser Gemeinsames haben. Sehen Sie doch durchdiese Phase hindurch, in der ich seit einigen Jahrengelebt habe,—sehen Sie dahinter! Lassen Sie sich nichtüber mich täuschen—glauben doch nicht, dass »der Freigeist«mein Ideal ist!! Ich bin.... Verzeihung! Liebste Lou!

F. N.

In dieser geheimnissvollen Weise bricht der vorstehende BriefNietzsches ab, den er in der Zeit zwischen der Veröffentlichung der»Fröhlichen Wissenschaft« und derjenigen seiner mystischen Dichtung»Also sprach Zarathustra« geschrieben hat. In den wenigen Zeilen sindbereits die wesentlichsten Züge der letzten Philosophie Nietzschesangedeutet: auf dem Gebiet der Logik die principielle Abkehr von dembisherigen reinlogischen Erkenntnissideal, von der theoretischenStrenge der verstandesmassigen »Freigeisterei«; auf dem Gebiet derEthik, anstatt der bisherigen negirenden Kritik, die Verlegung derWahrheitsbegründung in die Welt der seelischen Antriebe, als der Quelleeiner neuen Werthung und Abschätzung aller Dinge; ferner eine Art vonRückkehr zu Nietzsches erster philosophischer Entwicklungsphase,die vor seinem positivistischen Freigeisterthum liegt,—nämlich zurMetaphysik der Wagner-Schopenhauerischen Aesthetik und ihrer Lehrevom übermenschlichen Genie. Und hierauf endlich gründet sich, alsauf den Kempunkt der neuen Zukunftsphilosophie, das Mysterium einerungeheuren Selbst-Apotheose, das er in dem zögernden Wort »Ichbin«—sich noch scheut auszusprechen.

Nietzsches letzte Geistesperiode umfasst fünf Werke: Die vierbändigeDichtung »Also sprach Zarathustra« (I und II 1883; III 1884,Chemnitz, Ernst Schmeitzner; IV 1891, Leipzig, C. G. Naumann);Jenseits von Gut und Böse, Vorspiel einer Philosophie der Zukunft(1886, Leipzig, C. G. Naumann; 2. Auflage 1891); Zur Genealogieder Moral, eine Streitschrift (1887, Leipzig, C. G. Naumann); DerFall Wagner, ein Musikanten-Problem (1888, Leipzig, C. G. Naumann);endlich die kleine Aphorismen-Sammlung Götzen-Dämmerung oder Wieman mit dem Hammer philosophirt (1889, Leipzig, C. G. Naumann).Wir können hier aber nicht dem Gange seines philosophischen DenkensSchritt für Schritt an der Hand jener Werke folgen, da sie nicht, wiedie der vorhergehenden Periode, ebensoviele Entwicklungsstufen seinesGedankens darstellen, sondern zum ersten Mal alle dazu bestimmt sind,der Darlegung eines Systems zu dienen, wenn auch nur eines Systems,das mehr auf ihrer Gesammtstimmung als auf der klaren Einheitlichkeitbegrifflicher Deduction beruht. Der aphoristische Charakter, den seineBücher auch hier bewahren, erscheint daher in diesem Fall als einunleugbarer Mangel der Form seiner Darstellung, nicht, wie bisher,als ein eigenthümlicher Vorzug derselben. Was Nietzsche durch seinevollendete Meisterschaft in der aphoristischen Form gelang: einenjeden Gedanken in seiner seelischen Bedeutsamkeit voll auszuschöpfenund mit allen seinen feinen inneren Nebenbeziehungen wiederzugeben, dasreicht nicht aus für die systematische Begründung eigener Theorien,sondern löst sie hier und da in ein geistreiches Spiel mit blendendenHypothesen auf. Nietzsche wurde sowohl durch sein Augenleiden alsauch durch seine Gewöhnung an sprunghaftes Denken dazu gezwungen, imAllgemeinen an seiner alten Schreibweise festzuhalten, aber immerwieder macht er,—sowohl in Jenseits von Gut und Böse, als auch inder Genealogie der Moral,—den Versuch, über das Rein—Aphoristischehinauszukommen, seine Gedanken systematisch zu ordnen und vorzutragen,weil das, was ihm vorschwebt, ein einheitliches Ganzes geworden ist.

Daher finden wir auch hier zum ersten Mal bei ihm eine Artvon Erkenntnisstheorie, einen Ansatz dazu, sich mit denerkenntnisstheoretischen Problemen auseinanderzusetzen, nachdemer ihnen bisher immer aus dem Wege gegangen war, wie er überhauptgern jedes Problem mied, dem sich nur auf rein begrifflichem Wegebeikommen lässt. Jetzt erst bleibt er nicht mehr ohne Weiteres bei derpraktischen Philosophie stehen, sondern hält es für nothwendig, aufdie Mittel hinzuweisen, mit denen er sich das erkenntnisstheoretischePförtchen aufgebrochen habe, durch das er zu seinen Hypothesengelangt. Ziemlich ausführliche Bemerkungen darüber finden sich an denverschiedensten Stellen seiner Werke zerstreut. Es erscheint aberhöchst charakteristisch, dass sie sich erst jetzt finden, wo er derWelt des Abstrakt-Logischen principielle Feindschaft erklärt und festentschlossen ist, alle schwierigen Begriffsknoten, auf die er stossenkönnte, mit einem Schwerthieb zu zerhauen: er befasst sich mit derErkenntnisstheorie eben nur, um sie über den Haufen zu werfen.

Zur Zeit seines Wagnerthums war Nietzsche als Jünger Schopenhauersdiesem seinem Meister in der bekannten Interpretirung und ModificirungKants gefolgt, laut welcher die Fragen nach den höchsten und letztenDingen ihre Beantwortung finden, zwar nicht durch den Verstand, sonderndurch die höchsten Eingebungen und Erleuchtungen des Willenslebens.Später stimmte Nietzsche, unter heftigem Protest gegen diese Annahmeder Schopenhauerischen Metaphysik, der strengen Selbstbescheidung derErfahrungswissenschaft zu, welche sich mit dem Verstandeserkennen aufden ihm zugänglichen Gebieten begnügt. Aber Nietzsche hielt dieseZustimmung nur so lange aufrecht, als er mit Hilfe eines fanatischenIntellektualismus sich aus dem bescheidenen Verstandeserkennen ein ihnbegeisterndes Wahrheitsideal zu schaffen vermochte, dem sich sein Willeund Seelenleben blind unterwarf. Sobald sein Fanatismus sich erschöpfthatte, sobald seine Begeisterung die intellektuellen Ziele und Werthenicht mehr in so über-schwänglich-idealer Beleuchtung sah, wurde erderselben überhaupt überdrüssig und verlangte nach neuen Idealen. Indiesem Verlangen ging ihm nun innerhalb des Positivismus eine Einsichtauf, die er bisher nicht beachtet hatte: nämlich die Einsicht in dieRelativität alles Denkens, die Zurückführung alles Verstandeserkennensauf die rein praktische Grundlage des menschlichen Trieblebens, dem esentstammt und von dem es dauernd abhängig ist.

Diesem Wege, der ihm von seinen eigenen philosophischen Genossenvorgezeichnet war, brauchte er nur mit gewohnter Exaltation zu folgen,um schliesslich zu seiner ursprünglichen Schätzung der Affektezürückzugelangen. Denn was für die Andern nur eine natürlicheConsequenz war, welche die moderne Erkenntnisstheorie zieht, und welchedie Methode und die Resultate der Erfahrungswissenschaft als solche garnicht berührt, daraus entnahm Nietzsche den Anstoss zu einem völligenGesinnungswechsel. Mit derselben äussersten Uebertreibung und demselbenFanatismus, mit denen er das streng begriffliche Denken als höchstesWahrheitsideal angebetet hatte, verhöhnt er es jetzt als etwas Geringesund Niedriges gegenüber den Trieben, die es in Wahrheit regieren.

Was sich inzwischen verändert hat, ist zwar nur seine Stimmung, nurseine Gefühlsauffassung der Sachlage, aber eben dies besagt fürNietzsche Alles: es veisst ihn allmählich fort zu immer weitergehendenFolgerungen und wird so schliesslich zum Ausgangspunkt für eine neueWeltanschauung.

Dieser Verlauf ist typisch für die Entstehung aller Grundgedankenin Nietzsches »Zukunftsphifosophie-«; ihm werden wir in seinerErkenntnisstheorie wie in seiner Morallehre, in seiner Äesthetik wiein seiner letzten Mystik wieder begegnen und stets dieselben dreiEntwicklungsstufen daran wahrnehmen: zuerst das Anknüpfen an einzelneletzte Consequenzen der modernen Erfahrungswissenschaft, dann einUmschlagen seiner Gemüthsstimmung in der Auffassung solcher Ergebnisse,ihre Zuspitzung und Uebertreibung bis aufs Aeusserste, und endlich,daraus fliessend, seine eigenen, neuen Theorien.

Hinsichtlich dieser sind aber zwei Seiten zu unterscheiden,einestheils ihr thatsächlicher philosophischer Gehalt, anderntheilsNietzsches rein seelische Wieder-Spiegelung in ihnen, indem er sichin seinen Gedanken den Ausdruck für sein tiefstes Wesen schafft.Diese Selbstwiederspiegelung führt uns zu dem Bilde Nietzscheszurück, wie es im ersten Theile dieser Arbeit entworfen ist.Der Gedankengehalt aber der neuen Lehre erweist sich als einekunstvolle Verbindung der beiden philosophischen Phasen in NietzschesGeistesentwicklung,—als ein Muster von zwei verschiedenen mitgenialer Hand ineinandergeflochtenen Geweben: der SchopenhauerischenWillenslehre und der Entwicklungslehre der Positivistem

Für Nietzsches Erkenntnisstheorie, mit ihrer Bekämpfung der Bedeutungdes Logischen und ihrer Zurückführung desselben auf das schlechthinUnlogische, kommt am meisten in Betracht sein Buch »Jenseits vonGut und Böse«, das in einzelnen Abschnitten ebensogut heissenkönnte: »Jenseits von Wahr und Falsch«. Denn hier erörtert er amausführlichsten die Unberechtigung der Werthgegensätze »wahr undunwahr«, die mit der Einsicht in ihren Ursprung nicht minder hinfälligwerden, wie die Werthgegensätze »gut und böse«. »Das Problem vom Wertheder Wahrheit trat vor uns hin,... Was in uns will eigentlich »»zurWahrheit««?... Gesetzt, wir wollen Wahrheit: warum nicht lieberUnwahrheit?...« (1.) »Ja, was zwingt uns überhaupt zur Annahme,dass es einen wesenhaften Gegensatz von »wahr« und »falsch« giebt?Genügt es nicht, Stufen der Scheinbark eit anzunehmen...?« (34.) »Inwelcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch!...erst auf diesem nunmehr festen und granitnen Grunde von Unwissenheitdurfte sich—die Wissenschaft erheben, der Wille zum Wissen auf demGrunde eines viel gewaltigeren Willens, des Willens zum Nicht-wissen,zum Ungewissen, zum Unwahren! Nicht als sein Gegensatz, sondern—alsseine Verfeinerung«! (24.) Das »Bewusstsein« ist nicht »in irgendeinem entscheidenden Sinne dem Instinktiven entgegengesetzt,—dasmeiste bewusste Denken eines Philosophen ist durch seine Instinkteheimlich geführt und in bestimmte Bahnen gezwungen.« (3.) Alle Logikist letzten Endes nichts anderes als eine blosse »Zeichen-Convention«(Götzen-Dämmerung III 3), alles Denken eine Art von »Zeichenspracheder Affekte«, da »wir zu keiner anderen »Realität« hinab oder hinaufkönnen als gerade zur Realität unserer Triebe—denn Denken ist nur einVerhalten dieser Triebe zu einander.« (Jenseits von Gut und Böse 36).Und daraus folgt denn schon: »... je mehr Affekte wir über eineSache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedne Augen wiruns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wirdunser »Begriff« dieser Sache, unsre »Objektivität« sein. Den Willenaber überhaupt eliminiren, die Affekte sammt und sonders aushängen,gesetzt, dass wir dies vermöchten: wie? hiesse das nicht den Intellektcastriren?... (Zur Genealogie der Moral III 12).

Hier ist der Punkt, an welchem Nietzsches Auffassung plötzlich vonseiner ehemaligen abweicht und ihn zu der entgegengesetzten führt.Hat er früher davor gewarnt, irgend einem Affekt zu trauen, weilderselbe doch nur das »Enkelkind« alter vergessener und wahrscheinlichirrthümlicher Urtheilsschlüsse sei, so beruft er sich jetzt auf dieuralte Gefühlsgrundlage, der alle Urtheilsschlüsse entstammen, unddegradirt diese so zu unselbständigen, abhängigen »Enkelkindern« desGefühls. Für beide Auffassungen findet er die gesuchte Begründungnoch in der positivistischen Weltanschauung, aber was dort friedlichneben einander besteht,—die Relativität des Denkens und diejenigedes Affektlebens,... das trennt sich für ihn in zwei unversöhnlicheGegensätze: auf der einen Seite steht der bis auf die Spitze getriebeneIntellektualismus, dem er sich bis dahin hingegeben, und durch dener alles Leben dem Denken, alles Gemüth dem Verstände unterthanmachen wollte,—auf der anderen Seite eine ebenfalls auf das Höchstegesteigerte Gefühlsexaltation, die sich für ihre lange Unterdrückungrächt und in ihrem Lebensüberschwang sich nur genug thun kann in einemfanatischen: »fiat vita, pereat veritas!«

Darum heisst es weiter: »Die Falschheit eines Urtheils ist uns nochkein Einwand gegen ein Urtheil;... Die Frage ist, wie weit eslebenfördernd, lebenerhaltend ... ist;... Verzichtleisten auffalsche Urtheile (wäre) ein Verzichtleisten auf Leben, eine Verneinungdes Lebens.« (Jenseits von Gut und Böse 4.) »Bei allem Werthe, derdem Wahren, dem Wahrhaftigen,... zukommen mag: es wäre möglich,dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, und der Begierde einfür alles Leben höherer und grundsätzlicherer Werth zugeschriebenwerden müsste. Es wäre sogar noch möglich, dass, was den Werthjener guten und verehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mitjenen schlimmen, scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfänglicheWeise verwandt, verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zusein.« (Jenseits von Gut und Böse 2.) »... wir sind von Grundaus, von Alters her—ans Lügen gewöhnt. Oder, um es tugendhafterund heuchlerischer, kurz angenehmer auszudrücken: man ist viel mehrKünstler als man weiss.« (Ebendaselbst 192.) Und das Lebenerhaltendereder Lüge ist es, das den Künstler hoch über den wissenschaftlichenMenschen und dessen Wahrheitsforschung stellt. »—die Kunst, in dergerade die Lüge sich heiligt, der Wille zur Täuschung das gute Gewissenzur Seite hat,« (Zur Genealogie der Moral III 25), ist es auch, umderentwillen jetzt plötzlich wieder die ehemals so geschmähtenMetaphysiker weit vornehmer und schätzenswerther erscheinen, alsdie »Wirklichkeits-Philosophaster«, mit ihrer Genügsamkeit und»Lappenhaftigkeit«. (Jenseits von Gut und Böse 10.)

An dieser erneuten Verherrlichung des Künstlerthums und selbstder Metaphysik erkennt man, wie weit Nietzsche schon zu einemneuen, entgegengesetzten Typus des Erkennenden durchgedrungenist, und wie weit er sich bereits von den positivistischen»Wirklichkeits-Philosophastern« entfernt hat. Denn was diese alseine unvermeidliche Zugabe zum erkennenden Denken betrachtenund im Erkenntnissakt nach Möglichkeit zu reduciren suchen: dieAbhängig-keitdes Denkens vom menschlichen Triebleben,—das geradebedarf, nach Nietzsche der höchstmöglichen Steigerung. Die Einsichtin die Relativität alles Denkens, in die engen Grenzen, die derWahrheitserkenntniss gezogen sind, dien! ihm ausschliesslich zurProklamirung einer neuen Grenzenlosigkeit des Erkennens, diedemselben den absoluten Charakter wiedergeben soll. Weil Nietzscheder absoluten Ideale bedurfte, um sie anbeten und an ihnen seineHingebung ausleben zu können, suchte er, sobald sein logischesWahrheitsideal allzu bescheiden zusammenschrumpfte, Abhilfe indessen Gegensatz, im Maasslosen des gesteigerten Affektlebens.Ist er vorher davon ausgegangen, das Wahrheitsstreben von einerletzten Illusion zu befreien, indem er es als relativ auffasste, soöffnet er sich nun einen neuen Zugang zu neuen Illusionen: durchVerlegung des Erkenntnissgebietes in das der Gefühlserregungen undWillenseingebungen. Damit sind alle zurückhaltenden, einschränkendenDämme niedergerissen und rückhaltlos darf das Affektleben darüberhinfluthen. Nirgends Gewissheit oder überall Gewissheit, das kommthier beinahe auf dasselbe hinaus; wo der Gedanke alle selbständigenErkenntnissrechte eingebüsst hat, da schweift er, als Spielzeug undWerkzeug der ihn regierenden verborgenen Triebe bis in die fernstenFernen, bis in die tiefsten Tiefen. Ist Nietzsche ursprünglich ausdem geheimnissvoll schimmernden Zaubergarten der Metaphysik in dienüchterne Verstandeswelt empirischer Forschung eingetreten, so verlierter sich jetzt in den Irrgarten einer Wildniss, die, ungelichtetund undurchdringlich, diese Verstandeswelt umgiebt. Gerade derUmstand, dass in ihr noch keine Wege gebahnt sind, dem Denken nochkeine Richtung gewiesen ist,—dass Alles in ihr noch herrenlos undgesetzlos ist, und der Willensmachtspruch Raum hat für jeglichesSchaffen,—gerade dies Abenteuerlich-Gefährliche ist ihm Bürgschaftfür den richtigen Weg, denn es erscheint als die Richtung mitten insInnere des Lebens, mitten in seine Urkräfte hinein. »Räthsel-Trunkene,Zwielicht-Frohe« nennt daher Zarathustra seine Jünger, »deren Seele mitFlöten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird:—denn nicht wollt ihr mitfeiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr errathen könnt, dahasst ihr es, zu erschliessen.« (Also sprach Zarathustra III 6 f.)»Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zunge und Werde-Lust(Ebendaselbst II 8); »Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist!«(Ebendaselbst I 43), denn das Leben spricht: »Auch du, Erkennender,bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: wahrlich, mein Willezur Macht wandelt auch auf den Füssen deines Willens zur Wahrheit!«(Ebendaselbst II 50)

Nietzsche, der so lange Zeit hindurch, zur Beschwichtigung undZügelung seyier tieferregten Innerlichkeit und ihres Affektlebens,eine kalte und nüchterne Denkweise benutzt hatte, erfuhr nun an sichselber, was er früher einmal vorahnend und warnend, in »Menschliches,Allzumenschliches (II 275), geschildert: »Hat man seinen Geistverwendet, um über die Maasslosigkeit der Affekte Herr zu werden,so geschieht es vielleicht mit dem leidigen Erfolge, dass man dieMaasslosigkeit auf den Geist überträgt und fürderhin im Denken undErkennenwollen ausschweift.[1] In einem solchen Verlangen wildauszuschweifen, schafft er sich einen neuen Wahlspruch:»Nichtsist wahr, Alles ist erlaubt!« (Zur Genealogie der Moral III. 24.)und preist den Werth der Täuschung, der willkürlichen Fiktion, desUnlogischen und »Unwahren«, als der im Grunde lebenfördernden,willensteigernden Mächte. In der Vorstellung, dass ja in dem gesammtenWeltbilde, so wie wir es um uns aufgebaut haben, wir selbst als dieSchöpfer mit unserer psychischen Eigenart drinstecken, und dass unserErkennen letzten Endes doch nichts ist als eine »Anmenschlichung derDinge«, schwelgt er so lange, bis das Weltganze sich ihm zu einemTraumbilde verflüchtigt, das sich der Einzelne willkürlich ersonnenhat. »Warum dürfte die Welt, die uns etwas angeht—, nicht eineFiktion sein?« fragt er sich (Jenseits von Gut und Böse 34), mit demHintergedanken: und also durch einen Gewaltakt umzuschaffen sein?

Hierauf bezieht sich ein kurzes interessantes Kapitel in der»Götzen-Dämmerung« (IV), dessen Absicht aber nur im Zusammenhang mitden übrigen zerstreuten Bemerkungen Nietzsches über diesen Gegenstandganz verständlich wird. Es ist überschrieben: »Wie die »wahre Welt«endlich zur Fabel wurde. Geschichte eines Irrthums.« und enthält eineSkizzirung des philosophischen Entwicklungsganges von den Alten bis zuuns. Die alte Philosophie fasste schon, wenn auch erst in naiver Weise,den Erkennenden und sein Weltbild, die Person und die Wahrheit, alsidentisch; sie gipfelte in der Umschreibung des Satzes: »ich, Plato,bin die Wahrheit.« »Die wahre Welt«, im Gegensatz zur unwahren,scheinbaren, in der die Unweisen leben, ist, »erreichbar für denWeisen,—lebt in ihr, er ist sie.« Im Christenthum trennt sich dieIdee der »wahren Welt« fortschreitend von der Persönlichkeit, indemsie sich entmenschlicht und sublimirt, als Zukunftsverheissung, alsVersprechen über den Menschen auffliegt. Endlich, durch eine Reihevon metaphysischen Systemen hindurch, verblasst sie bei Kant zu einemblossen Schatten, »unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar,«—bis siesich, mit der endgiltigen Abkehr von aller Metaphysik, völlig zu Nichtsverflüchtigt: »Grauer Morgen. Erstes Gähnen der Vernunft. Hahnenschreides Positivismus.« Damit steigt die bisher, als scheinbar und unwahrgescholtene Welt im Preise, weil sie die einzig übrigbleibende ist:»Heller Tag; Frühstück; Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit;Schamröthe Plato's; Teufelslärm aller freien Geister.« Aber mit derEinsicht in die Entstehung der Fabel von der »wahren Welt« haben wirzugleich die Entstehungsweise des Weltbildes unserer Erkenntnissüberhaupt eingesehen. Jetzt, wo der Glaube an eine mystische »wahre«Welt hinter der scheinbaren, durch Täuschung und Irrthum entstandenen,uns nicht mehr tröstet, was bleibt uns noch übrig? »Mit der wahrenWelt haben wir auch die scheinbare abgeschafft,« die ja nur alsderen Gegensatz möglich war. Wieder ist der Mensch auf sich selbstzurückgeworfen als auf den Selbstschöpfer aller Dinge. Wieder ist diealte Fassung: »Ich, Plato, bin die Welt,« möglich geworden und stehtals letzte Weisheit am Anfang aller Philosophie, nun aber nicht mehr inder naiven, noch ungebrochenen Identificirung von Person und Wahrheit,von Subjekt und Objekt, sondern als klar bewusste und gewollteSchöpferthat Dessen, der sich selbst als den Weltenträger erkannt hat.»Ich, Nietzsche-Zarathustra, bin die Welt, sie ist, weil ich bin,sie ist, wie ich will.« Dieses Ergebniss wird nur angedeutet in dengeheimnissvollen Schlussworten: »Mittag; Augenblick des kürzestenSchattens; Ende des längsten Irrthums. Höhepunkt der Menschheit;Incipit Zarathustra

Hier lässt es sich schon deutlich verfolgen, wie sich neue und insMystische überschlagende Gedanken Nietzsches mit Elementen mischenund verknüpfen, die er noch der modernen Erkenntnisstheorie entnimmt.Und damit ist bereits der Punkt erreicht, von dem aus sich seineneue Lehre aufbaut, und bei dem es sich nicht mehr um eine blosseGefühlsübertreibung gewisser allgemeingiltiger Einsichten handelt. Dennaus der Thatsache der Begrenztheit und Relativität alles menschlichenErkennens, und aus der der Priorität des menschlichen Trieblebensgegenüber demselben formt sich ihm unvermerkt der neue Typus desPhilosophen: das überlebensgrosse Bild eines Einzelnen, dessenGewaltwille über wahr und unahr entscheidet, und in dessen Hand dasVerstandeserkennen der Menschen ein blosses Spielzeug ist. Man könntesagen: dasjenige, was den Geist zu strenger Selbstbescheidung zwingt,was ihn von allen Seiten bedingt und beeinflusst, das personificirtsich Nietzsche unter dem Bilde einer zügellosen Allmacht, die erauf einen übermenschlichen Einzelnen überträgt. Ja, in ihm sollenalle Triebe und Kräfte alles Menschenthums dermaassen entfesseltund gesteigert gedacht werden, dass die Quintessenz des Lebens, derKraft-Extract des Ganzen, in ihm gleichsam Person geworden ist, sodasser auch die Erkenntnissnormen umzuprägen und zu verrücken im Standewäre. Doch geschieht dies nicht in einem Act der Contemplation, sondernin einer schöpferischen That, als Handlung und Befehl, der an die Weltergeht. »—Die eigentlichen Philosophen aber sind Befehlende undGesetzgeber: sie sagen »so soll es sein!« sie bestimmen erst dasWohin? und Wozu? des Menschen..., ... sie greifen mit schöpferischerHand nach der Zukunft.... Ihr »Erkennen« ist Schaffen, ihrSchaffen ist eine Gesetzgebung, ihr Wille zur Wahrheit ist—Wille zurMacht.« (Jenseits von Gut und Böse 211.) Ihre Philosophie »schafftimmer die Welt nach ihrem Bilde, sie kann nicht anders; Philosophieist dieser tyrannische Trieb selbst, der geistigste Wille zur Macht,zur »Schaffung der Welt«, zur causa prima« (Ebendaselbst 9). Die»cäsarischen Züchter und Gewaltmenschen der Cultur« (Ebendaselbst 207)sind es, mit deren Erläuterung und Beschreibung sich Nietzsches ganzeZukunftsphilosophie beschäftigt, ja, in deren Bilde ihr gesammterInhalt besteht. In seiner Erkenntnisstheorie wird ihnen nur der Bodenbereitet, in seiner Ethik und Aesthetik wachsen sie aus diesem Bodenimmer höher hinauf in eine religiöse Mystik, in der Gott, Welt undMensch zu einem einzigen ungeheuren Ueberwesen verschmelzen.

Es ist leicht zu sehen, inwiefern sich Nietzsche mit dem Bilde diesesSchöpfer-Philosophen seinen ehemaligen metaphysischen Anschauungennähert, wie er aber dieselben zugleich durch seine späterenwissenschaftlichen Theorien zu modificiren sucht. Die »idealen«Wahrheiten der Metaphysik mit ihren erhebenden und tröstenden Deutungendes Welträthsels nimmt er nicht wieder auf, aber indem er überhauptmit der Möglichkeit einer »Wahrheit« aufräumt, indem er die Skepsisin das Gebiet des Erkennens hineinträgt und sich auf den Standpunkt»Alles ist unwahr« stellt, schafft er sich Raum, um einen Ersatzfür jene verlorenen idealen Wahrheiten und Trostgründe herzustellen.Durch einen Machtspruch, durch einen Willensakt wird in die Dinge dieBedeutung hineingelegt, die sie an sich selbst nicht haben; aus demWahrheits-Entdecker, als welcher der Philosoph bisher galt, ist ergewissermassen zum Wahrheits-Erfinder geworden, zu einem »Überreichendes Willens« (Jenseits von Gut und Böse 212), der zwar Unwahrheiten undTäuschungen ausspricht, aber dessen schöpferischer Wille sie wahr, d.h. zu überzeugenden Wirklichkeiten, zu machen weiss. »Wer seinen Willennicht in die Dinge zu legen weiss, der legt wenigstens einen Sinnnoch hinein« (Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile 18). Damit kehrt ersich gegen die Metaphysiker, aber wie sie nimmt er sich das Recht zueiner Umdeutung und Umschaffung der Dinge auf Grund der über die blosseVerstandeskraft hinausgehenden Eingebungen des Gemüths.

In dieser persönlich gedachten Ueberlegenheit des Affektlebens über dasVerstandesleben, in welcher schliesslich der Wahrheitsgehalt einerErkenntniss als unwesentlich erachtet wird gegenüber ihrem Willens- undGefühlsgehalt, spiegelt sich rückhaltlos Nietzsches Geistesart, seininnerstes Wesen und Sehnen wieder. Nach dem langen Zwang im Dienste desstrengen Wahrheitserkennens war dies eine Reaktion, deren Seligkeitihn in einen Taumel der Mystik hineinriss. Seine eigene Seele gibter jenem übermenschengrossen Schöpfer-Philosophen, in dem des LebensFülle und Ueberfülle sich drängt und schöpferisch nach Entlastungdurch den Gedanken verlangt,—es ist der »tropische« Mensch, auf dendie Worte passen, die wir bereits im ersten Theile dieses Buches aufNietzsches tieferregtes Innenleben angewendet haben: »die umfänglichsteSeele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifenkann;... die sich selber fliehende, die sich selber im weitestenKreise einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssestenzuredet: die sich selber bebendste, in der alle Dinge ihr Strömen undWiederströmen und Ebbe und Fluth haben« (Also sprach Zarathustra III82).

Aber noch weiter geht diese unwillkürliche und gewaltsame Reaktiongegen die vorhergehende Geistesperiode, und geht die unbewussteSelbstwiderspiegelung in den Theorien, bis hinein in das persönlichsteEmpfinden Nietzsches. Denn in ihnen treffen wir auch auf jenenunheimlichen Zug in Nietzsches Seelenleben, wonach er sich nur inder Selbstopferung und Selbstvergewaltigung befriedigte und seinerExaltation genug that. Wie er sich zuvor zur Unterwerfung unter dieForderungen eines strengen Intellektualismus gezwungen hatte, so zwingter jetzt umgekehrt den Verstand, den Trieb zu rein intellektuellemErkennen, unter den Machtwillen der Affekte. Hatte er zuvor seinenseelischen Menschen vergewaltigt, so vergewaltigt er jetzt denerkennenden Menschen in sich. Er ruht nicht eher, als bis der Triumphdes entfesselten Lebenswillens zu einer Selbstverhöhnung des Verstandeswird: in unheimlicher Weise resultirt schliesslich die höchsteErkenntniss aus einer Selbstpreisgebung alles logischen Erkennens,—derDenker wird »heimlich durch seine Grausamkeit gelockt und vorwärtsgedrängt, durch jene gefährlichen Schauder der gegen sich selbstgewendeten Grausamkeit«.—er muss als »Künstler und Verklärer derGrausamkeit« walten (Jenseits von Gut und Böse 229). Der menschlicheGeist taucht zuletzt freiwillig hinab in seine Vernichtung, denn nur soempfängt er die höchste Offenbarung,—er taucht hinab ins Grenzenlose,Maasslose, das über ihm zusammenschlägt, denn nur so erfüllt ersein Ziel. Wir werden in der ganzen letzten Philosophie Nietzsches,in der Ethik wie in der Aesthetik, den durchgehenden Grundgedankenwiederfinden: dass der Untergang durch das Uebermass die Bedingungeiner höchsten Neuschöpfung sei, und daher mündet auch NietzschesErkenntnisstheorie in eine Art schauerlich—persönlicher Mystik aus, inder die Begriffe Wahn und Wahrheit unlöslich verkettet sind, und das»Uebermenschliche« daher kommt als ein Blitz, der den Geist treffen undtödten, als ein Wahnsinn, mit dem sein Wahrheitssinn geimpft werdensoll: »Wollte ich doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grundegingen!...Wahrlich ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit!...Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränengeweiht zum Opferthier,—wusstet ihr das schon? Und die Blindheit desBlinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der Macht der Sonnezeugen, in die er schaute,—wusstet ihr das schon?« (Also sprachZarathustra II 33).

Aber dieses letzte Mysterium kann uns, wie das ganze Bild desSchöpfer-Philosophen überhaupt, nur fortschreitend, in der Ethikund Aesthetik Nietzsches, völlig deutlich werden, indem es, von denabstrakten Grundlinien aus, stets körperhaftere Züge gewinnt, bis esendlich, als eine mystische Wesensverklärung Nietzsches selber, inseiner persönlichen Einzelgestalt vor unseren Augen steht.

Dass erst die Ethik der Erkenntnisstheorie ihre rechte Erläuterungund Begründung giebt, erhellt schon aus dem Charakter des Erkennendenals des wahren Trägers des Lebenswillens,—des Erkennenden als desHandelnden und Schaffenden. Es gilt daher im höchsten Grade vonNietzsches Philosophie, was er von den Systemen der Philosophenüberhaupt aussagt: »dass die moralischen— —Absichten ... deneigentlichen Lebenskeim ausmachten, aus dem jedesmal die ganze Pflanzegewachsen ist« (Jenseits von Gut und Böse 6). Dieser enge Zusammenhangdes Philosophen mit dem Leben als solchem und mit dessen menschlichstenund persönlichsten Zwecken soll ihn am entschiedensten von allen Denentrennen, die das Leben anfeinden oder pessimistisch ansehen. Er sollder geborene Lebens-Apologet sein und seine Philosophie eo ipso eineLebens-Apotheose, denn zu sich selbst kann das Leben nur immer wieder»Ja« sagen. In Wirklichkeit jedoch ist fast immer das Gegentheil derFall gewesen (Götzen-Dämmerung II I). »Über das Leben haben zu allenZeiten die Weisesten gleich geurtheilt: es taugt nichts.... Immer undüberall hat man aus ihrem Munde denselben Klang gehört,—einen Klangvoll Zweifel, voll Schwermuth, voll Müdigkeit am Leben, voll Widerstandgegen das Leben.« War doch dieser geschwächte Lebenswille eine Folgeder Verfeinerung und Sublimirung ihres menschlich-thierischen Wesens,der intellektuellen und beschaulichen Eigenart ihrer Natur,—wares doch, nach Nietzsches ehemaliger Auffassung, gewissermaassenzugleich ihr Adelszeichen, das sie von den geistig rohen Menschen,vom Pöbel, unterschied und zu ihrer Führerrolle berechtigte. Hierhat sich nun die Auffassung dahin verändert, dass nicht mehr aufdie Lebensdurchgeistigung, sondern auf die Lebensschwächung derNachdruck gelegt wird. Die Menschen des Geistes erscheinen nunmehr alsdie Kranken und Entnervten, als die Niedergangstypen eines jedenZeitalters. Der von Nietzsche so geliebte und verherrlichte Philosoph,der bei den Griechen die Lehre von der Herrschaft der Vernunft überdie Naturinstinkte vertrat, Sokrates, wandelt sich ihm damit wiederzu der gefährlichen und geschmähten Versucher-Gestalt, die er fürNietzsche zur Zeit der Schopenhauerischen Periode war. Sokrates, derHässliche, Missgestaltete unter den vornehmen, wohlgebildeten Griechen,trat unter ihnen auf als der erste grosse Decadent, er corrumpirteund verschnitt den ursprünglichen hellenischen Lebensinstinkt, indemer ihn der Vernunftlehre unterwarf (Vergleiche Götzen-Dämmerung II»Das Problem des Sokrates«). Darin ist er das Urbild aller Denker,die das Leben durch das Denken meistern wollen, aber wie sie Allebeweist er damit Nichts gegen das Leben, sondern nur Etwas gegen dasDenken. Denn wenn auch bisher alle Philosophen zur Missachtung desDaseins, zur Erschlaffung der lebenerhaltenden Instinkte beigetragenhaben, so spricht sich darin nicht eine Wahrheit hinsichtlich des alsogeringgeschätzten Lebens aus, sondern nur der Widerspruch, in den siemit sich selber gerathen sind, als das charakteristische Symptom einesKrankheitszustandes. Es lehrt nur, dass die Menschen des überwiegendenIntellekts sich von der Lebensquelle, die auch ihrem Intellekt erstNahrung zuführt, abgekehrt haben, dass sie Abgelebte, Müde, Spätlingeniedergehender Culturen sind, dass sie in sich nicht mehr diesieghafte, heilende, umformende Kraft besitzen, welche über die Schädenund Lücken des Daseins triumphirt und dasselbe zu höherer Entwicklungweiterführt. Ihnen allen gilt daher die argwöhnische Frage: »Waren sievielleicht allesammt auf den Beinen nicht mehr fest? spät? wackelig?ddcadents? Erschiene die Weisheit vielleicht auf Erden als Rabe, denein kleiner Geruch von Aas begeistert?...« (Götzen-Dämmerung II 1.)

Aber nicht nur ihnen gilt diese Frage, denn sie repräsentiren nur dieäusserste Spitze dessen, worin die ganze Entwicklung der Menschheitgipfelt. Der stumpfen und dumpfen Einheitlichkeit seines ursprünglichenThierbewusstseins entrissen, ist der Mensch durch die Weiterbildungseiner Geistesfähigkeiten in Zwiespalt mit dem Naturgrund gerathen,in dem seine Kraft wurzelt. Er ist damit zu einer Halbheit, zueinem Zwitterding geworden, das ersichtlich seine Erklärung undDaseinsberechtigung nicht aus sich selber schöpfen kann,—? er istder verkörperte Uebergang zu Etwas, das noch nicht entdeckt, nochnicht geschaffen ist, und als ein solcher Uebergang ist der Mensch daskrankhafteste,—»das noch nicht festgestellte Thier.« (Jenseits vonGut und Böse 62). So haftet der Decadenz-Charakter dem Menschenthum alssolchem an und nicht nur einer einzelnen Form, einem einzelnen Gebietdesselben.

Wir finden demnach die ersten Anfänge der Decadenz, des Niedergangesungebrochenen Lebens, schon im Entstehen aller Cultur,—da wo sich diewilde Bestie Mensch, das »menschliche Raubthier«, durch den erstensocialen Zwang in seiner ungezügelten Freiheit beengt fühlt. »Jenefurchtbaren Bollwerke, mit denen sich die staatliche Organisation gegendie alten Instinkte der Freiheit schützte ... brachten zu Wege,dass alle jene Instinkte des wilden freien schweifenden Menschen sichrückwärts, sich gegen den Menschen selbst wandten.« »Alle Instinkte,welche sich nicht nach Aussen entladen, wenden sich nach Innen—ist das, was ich die Verinnerlichung des Menschen nenne: damitwächst erst das an den Menschen heran, was man später seine »Seele«nennt. Die ganze innere Welt, ursprünglich dünn wie zwischen zweiHäute eingespannt, hat Tiefe, Breite, Höhe bekommen, als die Entladungdes Menschen nach Aussen gehemmt worden ist.« »Der Mensch, dersich, aus Mangel an äusseren Feinden und Widerständen, eingezwängt ineine drückende Enge und Regelmässigkeit der Sitte, ungeduldig selbstzerriss, verfolgte, annagte, aufstörte, misshandelte, dies an denGitterstangen seines Käfigs sich wund stossende Thier,... Mitihm aber war die grösste und unheimlichste Erkrankung eingeleitet, vonwelcher die Menschheit bis heute nicht genesen ist, das Leiden desMenschen—an sich: als die Folge einer gewaltsamen Abtrennung vonder thierischen Vergangenheit, einer Kriegserklärung gegen die altenInstinkte, auf denen bis dahin seine Kraft, Lust und Furchtbarkeitberuhte.« (Zur Genealogie der Moral II 16.)

Wenn dementsprechend die Krankhaftigkeit des Menschen gewissermaassensein Normalzustand, seine specifisch menschliche Natur selbst ist,und die Begriffe Erkrankung und Entwicklung als nahezu identischgefasst werden, so müssen wir natürlich auch am Ausgang einerlangen culturellen Entwicklung wieder der nämlichen Decadenz alsResultat begegnen. Sie hat nur das Aussehen verändert. Es sind dieZeiten langer friedlicher Gewöhnung, in denen sie in ihrer neuen Formauftritt, Zeiten, in denen das strenge Zusammenhalten, die harte Zuchtund Unterordnung der Einzelnen nicht mehr als nothwendig erscheinen,sondern die Mittel zu einer sorgloseren und volleren Selbstauslebungreichlich vorhanden sind. Die starre Gleichförmigkeit, zu der durcheine Jahrhunderte währende Schulung Alle herangezüchtet worden sind,beginnt sich aufzulösen und dem Spiel des Individuellen Platz zumachen. »Die Variation, sei es als Abartung (in's Höhere, Feinere,Seltnere), sei es als Entartung und Monstrosität, ist plötzlich in dergrössten Fülle und Pracht auf dem Schauplatz, der Einzelne wagt einzelnzu sein und sich abzuheben.« »Lauter neue Wozu's, lauter neue Womit's,keine gemeinsamen Formeln mehr, Missverständniss und Missachtung miteinander im Bunde, der Verfall, Verderb und die höchsten Begierdenschauerlich verknotet, das Genie der Rasse aus allen Füllhörnern desGuten und Schlimmen überquellend, ein verhängnissvolles Zugleich vonFrühling und Herbst.« (Jenseits von Gut und Böse 262.)

Wenn in der zuerst geschilderten ursprünglichen Decadenzform dieLeidenschaften des Menschen sich gegen ihn selbst wenden, ihn bedrohenund zerfleischen, weil er sich nicht nach Aussen hin entladen, nichtwehren kann,—so gerathen sie jetzt aus dem entgegengesetzten Grundein einen gleichen Innenkrieg miteinander, weil keine Verhältnissemehr vorhanden sind, gegen die der Mensch sich zu wehren hätte,nichts, was seine Kriegskraft nach Aussen hin abzuziehen vermöchte.Im zahmen Frieden des geordneten Lebens hat der inzwischen so starkverinnerlichte Mensch nur noch sich selbst zum Kampfplatz seinerungeberdigen Triebe. Sobald diese sich zu regen anfangen, beginnt erwiederum, an sich zu leiden, »Dank den wild gegeneinander gewendeten,gleichsam explodirenden Egoismen«, die sein überaus complicirtgewordenes Wesen in sich begreift, und durch die es allmälig alleGeschlossenheit der Persönlichkeit wieder einbüsst. In diesem Stadiumbildet der Mensch das Endglied einer einzigen ungeheuer langenEntwicklungskette, deren einzelne Ringe ihm alle einverleibt sind,als die Summe der gesammten allmälig angezüchteten intellektuellen,moralischen und socialen »Menschlichkeit« nebst sämmtlichen nur allzulebendigen Instinkterinnerungen an die zurückliegende Thierheit.

Aber wenn diese beiden Formen der Decadenz mit Nothwendigkeit dermenschlichen Natur entspringen und unumgängliche Durchgangsphasen fürderen Weiterbildung zu etwas Höherem sind, so gibt es daneben noch einedritte Art der Decadenz, welche die geschilderten Krankheitszuständeunheilbar zu machen und die Möglichkeit einer Wiedergenesung zuverhindern droht. Das ist die falsche Weltdeutung, die unrichtigeLebensauffassung, die durch jenes Leiden und jene Krankheit gezeitigtwird. Es ist die Aufforderung zur Askese in gleichviel welcher Form,zur Abkehr vom Leben und seinen Schmerzen, zur Hingebung an dieMüdigkeit, die als Folge des immerwährenden »Krieges der man ist«auftritt. Ein solches asketisches Ideal predigen nicht nur alleReligionen und Moralen, sondern auch jeder Intellektualismus, der dasDenken auf Kosten des Lebens unterstützt und das Ideal der »Wahrheit«dem Ideal einer möglichsten Lebenssteigerung entgegensetzt. Das wahreHeilmittel für diese um sich greifende Corruption bestände gerade inder vollen Hinwendung zum Leben, damit aus dem chaotischen Reichthumdurcheinander ringender Gegensätze eine neue höhere Gesundheit geborenwerde.

»Man ist nur fruchtbar um den Preis, an Gegensätzen reich zusein (Götzen-Dämmerung V 3), vorausgesetzt, dass noch genügendeKraft da ist, sie zu tragen, sie zu ertragen. Dann ist scheinbareAuflösung und Decadenz, dann ist alle sogenannte Corruption »nurein Schimpfname für die Herbstzeiten«,—d. h. für die Zeiten derabfallenden Blätter, aber auch der reifenden Früchte. Insofern kannDecadenz und Fortschritt ein und dasselbe bedeuten: den Fortschritt demnothwendigen Ende zu,—»Es hilft nichts: man muss vorwärts, will sagenSchritt für Schritt weiter in der décadence.... Man kann dieseEntwicklung hemmen und, durch Hemmung, die Entartung selber stauen,aufsammeln, vehementer und plötzlicher machen: mehr kann man nicht.«(Götzen-Dämmerung IX 43.) Ein solches Ende, eine solche tragischeVerknüpfung von vorwärts und niederwärts wird dadurch erklärt, dass derMensch nicht in sich selbst seine Erfüllung findet, sondern über sichselbst hinaus drängt nach etwas Höherem, als er ist. Es ist »mit derThatsache einer gegen sich selbst gekehrten,... Thierseele auf Erdenetwas so Neues, Tiefes,... Widerspruchsvolles und Zukunftsvollesgegeben«,—dass daraus die Zuversicht auf eine mögliche, neue Über-Artdes Menschlichen geschöpft werden kann. Es ist, als ob sich damit»Etwas ankündige, Etwas vorbereite, als ob der Mensch kein Ziel,sondern nur ein Weg, ein Zwischenfall, eine Brücke, ein grossesVersprechen sei.« (Zur Genealogie der Moral II 16.) »Der Mensch ist einSeil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch,—ein Seil über einemAbgrunde.... Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brückeund kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dasser ein Übergang und ein Untergang ist.« (Also sprach ZarathustraI 12.) Die Decadenzerscheinungen können daher der Menschheit zuZeiten des hereinbrechenden Unterganges und der sich ankündigendenNeugeburt ebenso wenig erspart bleiben als »einem schwangeren Weibe dieWiderlichkeiten und Wunderlichkeiten der Schwangerschaft: »... alswelche man vergessen muss, um sich des Kindes zu freuen.«

Die Einsicht in die durchgängige »Allzumenschlichkeit« der Triebe,die Nietzsche früher so stark betont hatte, wird hier also nichtaufgegeben, sondern noch möglichst verschärft und zum Ausgangspunktseiner neuen Menschheitstheorie genommen. Aus einer verstandeskaltenEinsicht hat sie sich ihm zu einem Gemüthsaffekt gesteigert, undals solcher gewinnt sie eine so ungeheure Bedeutung, dass sie alleseine Seelen- und Gedankenkräfte aufwühlt, bis ihm in Zorn, Gramund Entsetzen neue »Flügel und quellenahnende Kräfte« (Also sprachZarathustra III 77) wachsen, mit denen er sich über sie erhebt.Aus dem Accent, den er auf seine ehemalige Einsicht legt, ausden äussersten Consequenzen, die er aus ihr zieht, quillt ihm dieübermächtige Sehnsucht nach seiner neuen Theorie, nach dem Gedankeneiner Selbstopferung des Allzumenschlichen für das Uebermenschliche.

Wie sich in dem erkenntnisstheoretischen Theile von Nietzschesneuer Lehre die Abhängigkeit des Logischen vom Seelischen, desGedankenlebens vom Gemüthsleben wiederspiegelt, so tritt uns in jenemMenschheitsbilde einer leidenden Ueberfülle zum Zweck einer Neugeburtdie Erklärung seines eigenen Wesens entgegen: die Selbstopferungdurcheinanderringender Triebe zur Entbindung höchster Schaffenskraft.Aus dem tiefen, ihm stets gegenwärtigen Gefühl eigener Krankhaftigkeit,eigenen Leidens ist seine Decadenzlehre hervorgegangen. Auch von ihrgilt, was von allen Theorien seiner letzten Philosophie gilt: dieschmerzlichen psychischen Vorgänge, die bei ihm bisher die Ursacheund Begleiterscheinung der verschiedenen Erkenntnissprocesse waren,werden nunmehr zum Erkenntniss-inhalt selbst.

Der Gedanke einer überreich gewordenen, sich opfernden Menschheitist es denn auch, von dem aus Nietzsche, zurückblickend, den ganzenGang der Menschheits-Entwicklung begreift. Um desswillen allein warjene lange und peinvolle Zähmung ursprünglicher Thierwildheit nöthig,obgleich sie den Menschen zum Decadenten heranzüchtet, und er ihrschliesslich doch wieder entwächst. Ihr Sinn ist es gewesen, ihn mitder ganzen Fülle seiner Innerlichkeit zu bereichern und ihn dannzum Herrn dieses Reichthums und seiner selbst zu machen. Das konntenur durch einen langen harten Zwang geschehen, in dem sein Wille,als, der eines noch Unmündigen, gleichsam unter Schlägen und Strafenzur Mündigkeit erzogen wurde. So lernte der Mensch einen längerenund tieferen Willen haben, als das vergessliche, vom Augenblickbeherrschte, dem Augenblicksimpulse unterworfene Thier. Er lernte fürsein Wollen einstehen—er wurde »das Thier, das versprechen darf«.Alle Menschheitserziehung ist im Grunde eine Art von Mnemotechnik:sie löst das Problem, wie dem unberechenbaren Willen ein Gedächtnisseinzuverleiben sei. »Für sich gut sagen dürfen und mit Stolz, alsoauch zu sich Ja sagen dürfen—das ist—eine späte Frucht:—wielange musste diese Frucht herb und sauer am Baume hängen! Stellen wiruns—ans Ende des ungeheuren Prozesses, dorthin, wo der Baum endlichseine Früchte zeitigt, wo die Societät und ihre Sittlichkeit der Sitteendlich zu Tage bringt, wozu sie nur das Mittel war: so finden wirals reifste Frucht ... das souveraine Individuum, das nur sichselbst gleiche,..., kurz den Menschen des eignen unabhängigen langenWillens, der versprechen darf.« (Zur Genealogie der Moral II I ff.)Dieser Selbstgewissheit des freigewordenen, herrgewordenen Individuumsentspricht eine neue Art von Gewissen, nachdem der Mensch den MoralVorstellungen und Idealbegriffen des Herkommens—seinen strengen,nunmehr überflüssig gewordenen Erziehern—entwachsen ist, und damit dasalte Gewissen seine Wurzel und Berechtigung in ihm verloren hat.

Auch die Willenstheorie Nietzsches weist eine Verschmelzung seinerehemaligen metaphysischen Anschauungen mit einem wissenschaftlichenDeterminismus auf. Als Jünger Schopenhauers unterschied Nietzschegleich diesem zwischen dem mysteriösen Willen »an sich«, der dieGrundlage der Schopenhauerischen Metaphysik ausmacht, und dem Willen,wie er für unsere menschliche Wahrnehmung in die Erscheinung tritt.Er nannte ihn also frei, insofern die letzten Gründe seines Seins undWesens jenseits unserer gesammten Erfahrungswelt liegen, jenseitsdes für diese geltenden Causalitätsgesetzes; unfrei, insofern dieeinzelne Willenserscheinung uns nur wahrnehmbar wird innerhalb desunzerreissbaren Netzes des allgemeinen Causalzusammenhangs. NachdemNietzsche dann mehrere Jahre einem consequenten Determinismusgehuldigt hatte, hält er auch jetzt noch an der Ansicht fest, dass der»Wille« sich am Gängelbande der ihn bestimmenden Einflüsse sozusagenerst seinen Namen verdiene. Aber was er als Determinist hinsichtlichder mysteriösen Herkunft und Abstammung des Willens leugnet, dasversucht er dafür an das Ziel und Ende der Willensentwicklungzu stellen. Ist nämlich in Folge der von ihm geschildertenlangen Willenszüchtung durch Zwang und äussere Beeinflussung einreifer, selbstgewisser, dem Augenblick entwachsener und das Lebenbeherrschender Wille allmählich geschaffen worden, so ist er damitin einem Sinne frei geworden, dem gegenüber die Deterministen Unrechtbekommen: denn nun lassen sich seine Handlungen nicht länger auseiner bestimmten Zeit und Umgebung ableiten, nun wird er durch nichtsmehr als durch sich selbst, d. h. durch seine gewaltig angewachseneund rücksichtslos explodirende Stärke bestimmt,—er ist reines, vonder Zeit gelöstes Machtbewusstsein. Allerdings ist dieses sein Wesennicht mehr metaphysischer Natur, denn es ist geworden, es ist dasResultat einer Entwicklungsreihe, und die erreichte Freiheit desWillens ist die Tochter der Nothwendigkeit und strengsten Bedingtheitdes Willens. Aber es ist dennoch etwas Mystisches um diese Freiheit,denn sie wendet sich nunmehr als eine unbedingte Macht umgestaltendund umschaffend gegen eben die natürlichen Bedingungen, denensie entsprungen. Die Welt der Wirklichkeit in ihrer uns alleinzugänglichen und begreiflichen Entwicklung hatte Nietzsche inseiner positivistischen Zeit als das Werthvollste schätzen gelernt,indem er sich gegen die andersgesinnten Metaphysiker mit dem Wortkehrte: »Alles Fertige, Vollkommene wird angestaunt, alles Werdendeunterschätzt,« (Menschliches, Allzumenschliches I 162)—blos weil mandie Entstehungsursachen des ersteren nicht mehr nachprüfen, nichtmehr durchschauen kann. Nun gelangt er zu dem gleichen Anstaunendes Fertiggewordenen und scheinbar Vollkommenen; und alles Werdendeerscheint ihm nur noch schätzenswerth, insofern es der Weg dazu ist.Die Bedingtheit aller Dinge wird von ihm auch jetzt zugestanden,aber nur, weil aus ihr heraus irgend wann einmal eine über alleBedingtheit und Erfahrung hinausgehende mystische Bedeutsamkeit allerDinge sich offenbaren soll. Von der Machtstärke des freigewordenenWillens hängt diese Bedeutsamkeit ab, denn von ihm wird sie in dieDinge hineinerschaffen; darum will Nietzsche an Stelle des »freien«und »unfreien« Willens der Deterministen den Ausdruck» starkerund schwacher Wille« gesetzt sehen (Jenseits von Gut und Böse 21)und die gesammte Psychologie aufgefasst wissen als »Morphologie undEntwicklungslehre des Willens zur Macht«. (Ebendas. 23.)

Der Willensmächtige ist also jederzeit der im höchsten Grade»Unzeitgemässe«, er ist Derjenige, in dem Genie geworden ist, wassich durch lange Zeit hindurch in der Menschheit vorbereitet hat.Im Genie strömt frei aus, was von der Menschheit in Unfreiheit undKnechtschaft erlernt wurde. Genies sind wie »Explosivstoffe, in deneneine ungeheure Kraft aufgehäuft ist; ihre Voraussetzung ist immer,historisch und physiologisch, dass lange auf sie hin gesammelt,gehäuft, gespart und bewahrt worden ist,... die Zeit, in der sieerscheinen, ist zufällig; dass sie fast immer über dieselbe Herrwerden, liegt nur darin, dass sie stärker, dass sie älter sind, dasslänger auf sie hin gesammelt worden ist;... die Zeit ist relativimmer viel jünger, dünner, unmündiger, unsicherer, kindischer....»Der grosse Mensch ist ein Ende;... Das Genie—in Werk, in That—ist nothwendig ein Verschwender: dass es sich ausgiebt, ist seineGrösse.... Der Instinkt der Selbsterhaltung ist gleichsam ausgehängt;der übergewaltige Druck der ausströmenden Kräfte verbietet ihm jedesolche Obhut und Vorsicht.« (Götzen-Dämmerung IX 44.)

Im Genie tritt also, wenigstens nach einer bestimmten Richtung, inausserordentlichem Grade das zu Tage was den Menschen befähigensoll, von seiner Art zu einer Ueber-Art fortzuschreiten, eineSelbstvergeudung zu Gunsten einer Neuschöpfung, ein verschwenderischerReichthum, in dessen Gaben sich die ganze Vergangenheit abgelagerthat, und in dem sie zugleich ganz und gar Fruchtbarkeit gewordenist,—Zukunftsbefruchtung. Denke man sich nun ein Genie, dasnicht, gleich anderen Genies, seine Genialität nur auf einemoder einigen Gebieten besitzt, sondern in Bezug auf das gesammteMenschheitsbewusstsein,—so etwa, dass in ihm wirksam und lebendigausströmt, was je in demselben gelebt und gewirkt: ein solches Geniewäre das Bild des Menschen, aus dem der Uebermensch geboren wird. Eswürde in sich die ganze Vergangenheit überschauen und zusammenfassen,ja, es enthielte in sich »die ganze Linie Mensch, bis zu ihm selbsthin noch«, und deshalb müsste sich in ihm plötzlich Weg und Ziel derMenschheitszukunft offenbaren. Zum ersten Mal erhielte durch denMachtwillen eines solchen Offenbarers die MenschheitsentwicklungRichtung, Ziel und Zukunft, alle Dinge eine innere und endgiltigeBedeutsamkeit:—mit einem Wort, zum ersten Mal erstände derPhilosoph als der Schaffende, wie Nietzsche ihn sich denkt: alsder Willensmächtige, der Menschheitsgenius, der das Leben in sichBegreifende, an dem offenbar wird, was Nietzsche vom Denken überhauptsagt: es sei »in der That viel weniger ein Entdecken, als einWiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernenuralten Gesammt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmalsherausgewachsen sind:—Philosophien ist insofern eine Art von Atavismushöchsten Ranges.« (Jenseits von Gut und Böse 20.) Alles Höchste eineArt von Atavismus,—darin liegt der wunderlich reaktionäre Charakterder ganzen letzten Philosophie Nietzsches, der sie am schärfsten vonder seiner vorhergehenden Periode unterscheidet. Es ist ein Versuch,an Stelle der metaphysischen Verherrlichung bestimmter Dinge undBegriffe die ihres Alters und ihrer weit zurückliegenden Herkunftzu setzen. Er nimmt das »Wiedererinnern« und »Wiedererkennen« nurdeshalb nicht im Sinne Platos, weil er meint, es durch die ungeheuerlange Zeitstrecke des Bestehens alles Denkens ebenso bedeutsam undübermenschlich fassen zu können. Deshalb gilt ihm, dass von allemHochgearteten nur das Aelteste das Zukunftbestimmende sei,[2] dassWerth und Vornehmheit der Dinge ausschliesslich an das Alter gebundenseien: erst am Ende angelangt, weisen sie ihren Schatz auf, weisen siesich als Macht, Freiheit und unabhängig gewordene Kraft aus. »Wer (dieguten Dinge) hat, ist ein Andrer, als wer sie erwirbt. Alles Guteist Erbschaft: was nicht ererbt ist, ist unvollkommen, ist Anfang ...« (Götzen-Dämmerung IX 47), vornehm ist: »was sich nicht improvisirenlässt.« Nichts ist mithin pöbelhafter, unvornehmer, als das Werdendeund der Bringer des Werdenden und Neuen: der moderne Mensch und dermoderne Geist, der von seiner Zeit ganz und gar bedingt und daher ganzund gar Sklavengeist ist. Herrengeist kann er erst werden, nachdem ihmJahrhunderte und Jahrtausende einverleibt sind, und er dadurch selbstein »Unzeitgemässer«, »zeitlose Genialität« geworden ist.

»Demokratismus war jeder Zeit die Niedergangs-Form der organisirendenKraft:... Damit es Institutionen giebt, muss es ... Wille,Instinkt, Imperativ geben, antiliberal bis zur Bosheit: den Willenzur Tradition, zur Autorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahrhundertehinaus, zur Solidarität von Geschlechter-Ketten vorwärts undrückwärts in infinitum.« (Götzen-Dämmerung IX 39.) Es ist interessant,durch Vergleichung der entsprechenden Stellen in Nietzschesvorhergehenden Werken zu sehen, welche Wandlung in der Auffassung einerTheorie der blosse Gefühlsumschlag bei ihm hervorzurufen vermag, undwie unversöhnlich sich dadurch die Gegensätze sofort zuspitzen. Jetztgeisselt er die »pöbelhafte[3] Gleichmacherei« aller Menschen unddie zahmen Friedenszustände, in denen keine rohen Barbarengewaltenmehr aufkommen können, welche die gesunde Kraft alter Zeiten in dieermattete und entkräftete Gegenwart hinübertragen würden. Barbarensind »die ganzeren Menschen (was auf jeder Stufe auch so viel mitbedeutet, als »die ganzeren Bestien«—).« (Jenseits von Gut und Böse257.) Diese ganzeren Menschen und ganzeren Bestien erscheinen in einemsolchen Gesellschaftszustand als böse und gefährlich, sie werden zuVerbrechern gestempelt und demgemäss behandelt,— ja, sie sind kraftihrer stärkeren Naturtriebe die geborenen Verbrecher und Biecher derbestehenden Ordnung. »Der Verbrecher-Typus, das ist der Typus desstarken Menschen unter ungünstigen Bedingungen,... Ihm fehlt dieWildniss, eine gewisse freiere und gefährlichere Natur und Daseinsform,in der Alles, was Waffe und Wehr im Instinkt des starken Menschen ist,zu Recht besteht. Seine Tugenden sind von der Gesellschaft in Banngethan.« (Götzen-Dämmerung IX 45.) Das Freiheitsideal, wonach einemJeden eine gewisse Freiheit zukommt, das also auch den Schwächstenund Geringsten zur Freiheit der Bewegung gelangen lässt, steht demseinen gerade entgegen: seine rücksichtslose Auslebung fordert immerdie Vergewaltigung Anderer, seine Stärke äussert sich unwillkürlichund nothwendig in einem Zertreten jeder ihn umgebenden Schwäche. DerGrund aber dieser in ihm ausbrechenden Stärke der Instinkte ist, dasser sozusagen von einer älteren Kultur-stufe herkommt, ein älteresStück Menschenthum darstellt: dass er, mit einem Wort, gleich demWillensmächtigen und dem Genie, im höchsten Grade atavistisch veranlagtist. Mag diese ihm von Alters her innewohnende Instinktmacht an sichnoch so unedler Natur sein, edel ist sie schon dadurch, dass sie einenDurchbruch lang angesammelter Fülle, einen starken Explosivstoffdarstellt, mit welchem die Vergangenheit die Zukunft befruchtet. Wo derVerbrecher sehr stark, wo er also zugleich ein Genie seiner Art undein »Willensfreier« ist, da gelingt es ihm manchmal, die herrschendeZeitrichtung seiner atavistischen Sonderart entsprechend zu leiten unddas ihm widerstrebende Zeitalter unter seinen Tyrannenwillen zu beugen.Ein Beispiel hierfür ist Napoleon, den Nietzsche ähnlich auffasst wieTaine. Auch ihm erscheint es von der grössten Bedeutsamkeit, dassNapoleon ein Nachkomme der Tyrannen-Genies der Renaissance-Zeit ist,der, nach Corsica verpflanzt, in der Wildheit und Ursprünglichkeit derdortigen Sitten das Erbe seiner Vorfahren unangetastet in sich bewahrenkonnte, um endlich mit der Gewalt desselben das moderne Europa zuunterjochen, das ihm einen ganz anderen Spielraum der Kraftentladungbot, als einst Italien seinen Ahnen geboten hatte. NietzschesBewunderung für den grossen Corsen gehört seiner letzten Geistesperiodean, wie er auch die italienische Renaissance früher wesentlich andersauffasste.[4]

In der Urgesundheit seiner gewaltthätigen Instinktkraft und seinesrückhaltlosen Egoismus wurde Napoleon nun für Nietzsche das Idealbildder geborenen Herrennatur, wie sie sein soll, und wie wir sie auchheute noch brauchen, um Alles auszurotten, was durch die Sklavennaturder modernen Menschen an moralischen Rücksichten und weichlichenRegungen grossgezogen worden ist. Wir kommen damit zu Nietzschesviel besprochener und vielfach überschätzter Unterscheidung zwischenHerren-Moral und Sklaven-Moral. Anfangs ging Nietzsche auch hier vonpositivistischen Anregungen aus. Wie schon erwähnt, gab Rées damals imWerden begriffenes Werk »Die Entstehung des Gewissens« den Anlass,mit dem Freunde das ganze Material, dessen dieser für seine eigenenZwecke bedurfte, durchzusprechen,—namentlich auch den etymologischenund historischen Zusammenhang der Begriffe vornehm-stark-gut,niedrig-schwach-schlecht in der ältesten Moral oder auf der sozusagenvormoralischen Culturstufe. Die Art, wie diese Gespräche undgemeinsamen Studien noch einmal von den beiden Freunden aufgenommenwurden, war charakteristisch für die Beziehung, in der Nietzsche auchjetzt noch zu den positivistischen Anschauungen stand: er hörte denGedanken derselben noch einmal geduldig zu, entnahm ihnen hie und dadie Anregung oder das Material zu eigenem Denken, wandte sich aberhierbei bereits feindlich gegen seine ehemaligen Genossen.

In Rées Werk wurde die historische Verschiebung des Urtheils zu Gunstenaller wohlwollenden, gleichmachenden Regungen als ein natürlicherund allmählicher Uebergang zu höher entwickelten Gesellschaftsformenaufgefasst: die anfängliche Verherrlichung der raubthierhaften Kraftund Selbstsucht weicht immer mehr der Einführung milderer Sitten undGesetze, bis endlich in der christlichen Moral das Mitleid und dieNächstenliebe als höchstes Gebot religiös sanktionirt erscheint.In seiner persönlichen Abschätzung des moralischen Phänomens warRée indessen weit davon entfernt, sich auf die Seite der englischenUtilitarier zu stellen, denen er in seinen wissenschaftlichenAnschauungen sonst am nächsten kommt. Für Nietzsche hingegen spitztesich, in Folge seiner veränderten persönlichen Auffassung desMoralischen, der geschichtlich gegebene Unterschied zwischen den beidenverschiedenen Verthbestimmungen dessen, was »gut« heisst, zu zweiunversöhnlichen Gegensätzen zu: zu einem Kampf zwischen Herren-Moralund Sklaven-Moral, der ungeschlichtet bis in unsere Tage hineinreicht.Die ungemein grosse Bedeutung, die alles Willensmächtige undInstinktstarke für ihn gewonnen hatte, verleitete ihn, darin die einzigmögliche Quelle aller gesunden Moral zu erblicken, in der Sanktionirungwohlwollender Regungen hingegen ein tödtliches Uebel, an dem die ganzeMenschheit bis heute kranke. Seine bisherige Zurückführung allermoralischen Werthurtheile auf den Nutzen, die Gewohnheit und dasVergessen der ursprünglichen Nützlichkeitsgründe erschien ihm nunmehrals unrichtig: eine solche Entstehung konnte sich höchstens für dieSklaven-Moral schicken, für die andere musste ein vornehmerer Ursprunggefunden werden. Denn vornehm ist es, ein Ding ohne Rücksicht auf denNutzen gut oder schlecht zu nennen, und so verfährt die Herrennatur:sie empfindet sich selbst in ihrem Wesen und allen ihren Regungenals »gut« und sieht auf Alles, was diesen nicht entspricht, alsoauf alles Schwache, Abhängige, Furchtsame, mit unwillkürlicher undhalb unbewusster Geringschätzung als auf das »Schlechte« herab. Ganzanders entsteht die Sklaven-Moral dieser Geringgeschätzten, dieser»Schlechten«: sie entsteht nicht spontan und von sich selbst aus,sondern auf dem Boden des Ressentiment als eine Art Racheakt: sie nenntalles »böse«, hassenswerth, was den herrschenden Ständen angehört, underst von da aus erfindet sie, als etwas Abgeleitetes, ihren Begriff»gut« für sämmtliche jenen entgegengesetzte Eigenschaften,—also fürdas Schwache, Unterdrückte, Leidende. Auf der einen Seite steht mithindas »unschuldbewusste Raubthier«, das starke, »frohlockende Ungeheuer«,das sogar die schlimmsten Thaten, wenn es sie selbst begeht, mit einem»Übermuthe und seelischen Gleichgewichte« vollbringt, wie »einenStudentenstreich« (Zur Genealogie der Moral I 11), auf der anderenSeite der Unterdrückte, Hassgeübte, dessen Seele ohnmächtig nachRache dürstet, während er die Moral des Mitleids und der erbarmendenNächstenliebe zu predigen scheint. Zu einem vollkommenen Idealbildist dieser letztere Typus im Christenthum ausgearbeitet worden, dasNietzsche ohne Weiteres als einen ungeheuren Racheakt des Judenthumsan der selbstherrlichen antiken Welt auffasst. Dass die Juden denStifter des Christenthums gekreuzigt und seine Religion verleugnethaben, soll die eigentliche Feinheit dieses Racheplanes gewesen sein,damit die anderen Völker unbedenklich »an diesem Köder anbeissen«.[5]Es ist aber nicht nothwendig, Nietzsche in allen seinen Erklärungenund seiner bisweilen gewagten Geschichts-Interpretation nachzugehen,weil die eigentliche Bedeutsamkeit dieser Anschauung für seinePhilosophie an anderer Stelle liegt, als wo man sie gemeinhin sucht.Im Bedürfniss, Alles möglichst zu verallgemeinern und wissenschaftlichzu begründen, hat Nietzsche versucht, Etwas, dessen Bedeutung fürihn innerhalb eines verborgenen seelischen Problems lag, aus derMenschheitsgeschichte zu entwickeln und in sie hineinzulegen. Deshalbist es zu bedauern, wenn das Eigenartige in Nietzsches Gedankengangverwischt wird, indem man daran die falsche Seite über Gebühr betont:die der Wissenschaftlichkeit. Auch von diesen Hypothesen Nietzschesgilt es, und ganz besonders von diesen, dass man sie nicht theoretischnehmen darf, um den originellen Kern aus ihnen herauszuschälen. Nichtwas die Seelengeschichte der Menschheit sei, sondern wie seine eigeneSeelengeschichte als diejenige der ganzen Menschheit aufzufassensei, das war für ihn die Grundfrage. Im schärfsten Gegensatz zu derphilologischen Genauigkeit, mit der er anfänglich und im Wesentlichenauch in der vorhergehenden Periode Geschichte und Philosophieinterpretirt hatte, spielt jetzt die exakte wissenschaftliche Forschungkeine Rolle mehr neben seinen genialen Einfällen und Ideen,—undsie konnte auch keine mehr spielen, weil Nietzsche verhindert war,wissenschaftlich zu arbeiten.

Von allen Studien, die er jetzt noch streifen mochte, gelten daherseine Worte aus der »Fröhlichen Wissenschaft« (166)—dass wir »Immerin unserer Gesellschaft« bleiben, auch wo wir wähnen, Fremdesaufzunehmen: »Alles, was meiner Art ist, in Natur und Geschichte, redetzu mir, lobt mich, treibt mich vorwärts, tröstet mich—: das Anderehöre ich nicht oder vergesse es gleich.« »Grenze unseres Hörsinns:Man hört nur die Fragen, auf welche man im Stande ist, eine Antwortzu finden.« (Ebendaselbst 196.) »Wie gross auch die Habsucht meinerErkenntniss ist: ich kann aus den Dingen nichts Anderes herausnehmen,als was mir schon gehört,— das Besitzthum Anderer bleibt in den Dingenzurück.« (Ebendaselbst 242.)

Bei einer so willkürlichen Behandlung des Materials zu Gunsten seinerphilosophischen Hypothesen entfernte er sich viel weiter von sachlicherBeobachtung und Begründung, wurde er viel subjektiver bestimmt inseinen Schlüssen und Folgerungen, als in den Jahren, wo er sich nochbewusst auf das innerlich Erlebte beschränkte. Jetzt wurde aus deminnerlich Bedeutsamen das nach Aussen hin Bestimmende und Gesetzgebendeund er selber der »grosse Gewalt-Herr«, der »gewitzte Unhold, der mitseiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis esihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.« (Alsosprach Zarathustra III 74.)

Für Nietzsches seelisches Problem handelt es sich von vornhereinweniger darum, den Gegensatz zwischen Herren-Moral und Sklaven-Moralgeschichtlich richtig zu fixiren, als um Feststellung der Thatsache,dass der Mensch, so wie er bis heute von unten herauf geworden ist,beide Gegensätze in sich trägt, dass er das leidende Resultat einersolchen Instinkt-Widersprüchlichkeit, einer solchen Einverleibung vonDoppel-Werthungen ist. Wenn wir uns Nietzsches Decadenz-Schilderungentsinnen, so finden wir in ihr den Menschen als geborene Herren-Natur,d. h. in ursprünglich ungezähmter Kraft und Wildheit, aber geknechtetund zum gehorchenden Sklaven gemacht durch den socialen Zwang, durchdie Thatsache der beginnenden Kultur selbst. Alle Kultur als solcheberuht für Nietzsche auf einem solchen Krankmachen, Sklavischmachendes Menschen, und ausdrücklich bemerkt er, dass ohne diesen Vorgang,ohne gewaltsam gegen sich selbst gekehrt zu werden, die menschlicheSeele »flach« und »dünn« geblieben wäre. Seine ursprünglicheHerren-Natur ist noch nichts als ein herrliches Thier-Exemplar und zurWeiterentwickelung erst befähigt durch die Wunden, die ihrer Kraftbeigebracht werden,—denn in der Qual dieser Wunden muss sie lernen,sich selbst zu zerfleischen, sich an sich selbst zu rächen, ihreOhnmacht in nach Innen gekehrten Leidenschaften auszulassen: allesdies ausschliesslich auf dem Boden des sklavischen Ressentiment.»Das Wesentliche,... wie es scheint, ist, nochmals gesagt, dasslange und in Einer Richtung gehorcht werde: dabei kommt ... aufdie Dauer immer Etwas heraus, dessentwillen es sich lohnt, aufErden zu leben.« (Jenseits von Gut und Böse 188.) Nun gilt dieserDecadenz-Zustand Nietzsche allerdings nicht nur als überwindbar,sondern geradezu als die nothwendige Voraussetzung für den daraus zuzüchtenden willenslangen, affektstarken, selbstsicheren Menschen,aber man beachte wohl: Dieser vollendete Mensch mit seiner vertieftenund individualisirten Herren-Natur soli keineswegs seinem naivenEgoismus leben, nicht die Vorurtheile und Sklavenketten abstreifen, umsich Selbstzweck zu sein, sondern er soll zum Erstling einer höherenMenschengattung werden und für ihre Neugeburt sich opfern, denn, wiewir gesehen, stellte ja für Nietzsche der Gipfel der Entwickelung denUntergang der Menschheit dar, indem diese nur der Uebergang zu etwasHöherem, eine Brücke, ein Mittel ist. Je grösser daher ein Menschist, je mehr Genie, je mehr Gipfel in einem jeden Sinne, um so mehrist er auch ein Ende, eine Selbstvergeudung, ein Ausströmen letzterKräfte,—»zum Vernichten bereit im Siegen!« (Also sprach ZarathustraIII 91.) Er soll »etwas Vollkommenes, zu-Ende-Gerathenes,Glückliches, Mächtiges, Triumphirendes«, nur werden, damit er »zuNeuem, zu noch Schwererem, Fernerem bereit« sei, »wie ein Bogen, denalle Noth immer nur noch straffer anzieht«, (Zur Genealogie der MoralI 12) ein Bogen, dessen Pfeil nach dem Uebermenschen zielt. So wird erdenn zu einem Kampfplatze widerstrebender und einander bekriegenderTriebe, aus deren schmerzlicher Fülle allein alle Entwickelunghervorgeht; es zeigt sich in ihm wieder jenes Durcheinander vonHerrschenwollen und Dienen müssen, von Vergewaltigung des Einen durchden Andren,—woraus einst alle Kultur geworden, und woraus nun eineUeber-Kultur als letzte und höchste Schöpfung entstehen soll. Er istkein Friedvoller und sich selbst Geniessender, sondern ein Kämpfenderund Selbst-Untergang. Er wiederholt also in sich und auf Grundseiner vollkommen individualisirten und geistesfreien Persönlichkeitgenau dasselbe, was einst auf die Menschheit von Aussen her, durchKnechtung, als ein aufgezwungenes Erziehungsmittel wirkte,—wirfinden in ihm wieder »diese heimliche Selbst-Vergewaltigung, dieseKünstler-Grausamkeit, diese Lust, sich selbst als einem schwerenwiderstrebenden leidenden Stoffe eine Form zu geben, einen Willen, eineKritik, einen Widerspruch, eine Verachtung, ein Nein einzubrennen,diese unheimliche und entsetzlich-lustvolle Arbeit einer mit sichselbst willig-zwiespältigen Seele, welche sich leiden macht, aus Lustam Leidenmachen. (Zur Genealogie der Moral II 18.) Denn gerade dievollendetste und umfassendste Seele muss am klarsten und unwid erruflichsten das Grundgesetz des Lebens in sich zum Ausdruck bringen,welches heisst: »Ich bin das, was sich immer selber überwinden muss«.(Also sprach Zarathustra II 49.)

Es ist nicht zu verkennen, wie sehr Nietzsche seinen eignenSeelenzustand diesen Theorien untergelegt, wie stark er sein eignesWesen in ihnen wiedergespiegelt, und wie er endlich dem tiefstenBedürfniss desselben das Grundgesetz des Lebens selbst entnommenhat. Seine leidvolle »Seelen-Vielspältigkeit«, seine gewaltsame»Zweispaltung« in einen sich opfernden, anbetenden und in einenbeherrschenden, vergöttlichten Wesenstheil liegt seinem gesammten Bildeder Menschheitsentwickelung zu Grunde. Ueberall, wo er von Herren- undSklaven-Naturen spricht, muss man dessen eingedenk bleiben, dass ervon sich selbst spricht, getrieben von der Sehnsucht einer leidendenund unharmonischen Natur nach ihrem Wesens-Gegensatz und von demVerlangen, zu einem solchen als zu seinem Gott aufblicken zu können.Sein eigenes Ich schildert er, wenn er vom Sklaven sagt: »sein Geistliebt Schlupfwinkel, Schleichwege und Hinterthüren, alles Verstecktemuthet ihn an als seine Welt, seine Sicherheit, sein Labsal«;(Zur Genealogie der Moral I 10)—und er beschreibt sein Gegenbild inder handelnden, frohen, instinktsicheren, unbekümmerten Herren-Natur,dem ursprünglichen Thatenmenschen. Aber indem er das Eine dieVoraussetzung des Andren sein lässt, indem er die Menschen-Natur alssolche zu dem Schauplatz macht, auf dem sich diese beiden Gegensätzeimmer wieder treffen, um sich gegenseitig zu überwinden, fasst er sieals Entwickelungsstufen innerhalb desselben Wesens, die, historischbetrachtet, Gegensätze bleiben, sich aber im Einzelwesen, psychologischbetrachtet, als eine Wesenstheilung innerhalb des entwickelungsfähigenMenschen erweisen. Daher ist seine Auffassung des geschichtlichenKampfes zwischen Herren- und Sklaven-Naturen in seiner ganzen Bedeutungnichts als eine vergröberte Illustration dessen, was im höchstenEinzelmenschen vorgeht, des grausamen Seelenprozesses, durch den diesersich in Opfergott und Opferthier spalten muss.

The Project Gutenberg eBook of Friedrich Nietzsche in seinen Werken, by Lou Andreas-Salomé. (14)

Erst jetzt lässt sich feststellen, was eigentlich Nietzsches»Umwerthung aller Werthe«, aller bisherigen Moralund Idealauffassungenbedeutet, und wie sie sich zum asketischen Ideal verhält, indem jetzt alle religiösen und moralischen Ideale für Nietzschezusammengefasst sind. Diese Umwerthung aller Werthe beginnt allerdingsdamit, dass sie jeglicher Askese den Krieg erklärt,—beginnt miteiner Heiligsprechung des »Allzumenschlichen« im Menschen, dasbisher geschmäht und unterdrückt wurde, weil das Natürliche undSinnliche dem Ueber-natürlichen und Uebersinnlichen im Wege stand,an das man als an eine unumstösslich gegebene Thatsache glaubte.Nietzsches Zukunftsphilosoph aber glaubt nicht langer, dass irgendein Uebermenschenthum gegeben sei, es müsste denn erst geschaffenwerden durch den Menschen selbst, und dazu verfügt er ja über keinandres Material als über die elementare Lebenskraft der Natur, wiesie ist. Es gilt also nicht mehr, das Diesseits in ein höheresJenseits möglichst restlos zu verflüchtigen, sondern die ganze Fülleeines reichen, ungeahnt herrlichen Jenseits mitten aus dem Diesseitshervorzulocken.[6] Daher giebt er den verachteten, gefürchteten,misshandelten Trieben, den Leidenschaften des »natürlichen« noch vonkeiner Moral zurechtgestutzten Menschen ihr Existenzrecht wieder. Mitder Ueberzeugung, dass es nicht auf eine Scheidung von guten und bösenKräften ankomme, sondern auf eine Stärkung und äusserste Steigerung derLebenskraft überhaupt, damit das Leben aus sich selbst heraus seinenhöchsten Zweck verwirklichen könne, ist es gegeben, »dass dem Menschensein Bösestes nöthig ist zu seinem Besten,—dass alles Böseste seinebeste Kraft ist und der härteste Stein dem höchsten Schaffenden;und dass der Mensch besser und böser werden muss«. (Also sprachZarathustra III 97.)

Als ein Fürsprecher des Lebens soll der Mensch sich in seiner Tugendausgeben, preisgeben, verschwenden; aber indem er sein eigenes Selbstzu seiner Tugend umtauft, soll er sie zu einer Machtfülle in sichsteigern, die ihn endlich zersprengt gleich einem zu engen Gefäss:er soll sie nur besitzen, um von ihr besessen zu werden. Zu einem sokraftquellenden Uebermaass anwachsend, verschlingt sie endlich ihn undseinen Einzelwillen in der Gluth und Empfindung des Ganzen,—wandeltsie sich ihm zur Brücke, auf welcher er dem Untergange zuschreitet:»Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss: und darum sollstdu deine Tugenden lieben,—denn du wirst an ihnen zu Grunde gehen«.(Ebendaselbst I 47.) »Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dasser sich selber vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alleDinge sein Untergang.« (Ebendaselbst I 14.)

So gleichbedeutend hiernach egoistische Kraftauslebung und Tugendim ersten Augenblick erscheinen mögen, so tief bleiben sie doch inWahrheit von einander geschieden. Wohl ist der Werthunterschiedzwischen den menschlichen Kräften und Eigenschaften, den alle Moralals einen qualitativen auffasst, im Grunde völlig ins Quantitativeverlegt, aber die willige und begeisterte Hingabe an diese dasSelbst zerstörende Kraftsteigerung begreift darum nicht mindereinen Werthunterschied der Gesinnung in sich. Die Verwerflichkeitder Gesinnung wird betont, wenn es heisst, dass nicht das Böse derMenschengrösse schlimmster Feind sei, sondern -dass sein Bösestes sogar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!« (EbendaselbstIII 97.) Das Uebermaass ist der Weg zum Uebermenschlichen, deshalbgeht diesem der Ruf voran: »Wo ist doch der Blitz, der euch mitseiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werdenmüsstet?—Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz,der ist dieser Wahnsinn!—« (Ebendaselbst I 11.)

Daher darf man den Weg, den Nietzsche zur Erreichung seinesIdealzieles wählt, nicht mit diesem Ziele selbst verwechseln; erbetrachtet die Herrschaft der »furchtbaren Instinkte« nur als einMittel, dessen er für den höchsten Endzweck bedarf. Ganz mit Unrechtund in grobem Missverständniss ist ihm vorgeworfen worden, sein»Uebermensch« trage statt der Züge eines Jesus die eines CesareBorgia, oder sonst eines lasterhaften Unmenschen. In Wahrheit ist der»Unmensch« dem »Uebermenschen« nicht Vorbild, sondern nur Sockel;er stellt sozusagen den unbehauenen Granitblock dar, der gefordertwird, um auf demselben eine Götterstatue aufzurichten. Und dieseGötterstatue des Uebermenschen-Ideals ist in Art und Wesen nicht nurvon ihm verschieden, sondern ihm geradezu entgegengesetzt. Dabeiwird der Gegensatz so tief und scharf gefasst, wie es selbst inder asketischesten Moral nicht der Fall ist. Alle Moral strebt nureine Verbesserung und Verschönerung des Menschlichen an, währendNietzsche davon ausgeht, dass eine ganz neue Species, eine Ueberart,geschaffen werden müsse. Was bisher als ein Uebergang von Niederem zuHöherem galt, unter Beibehaltung des charakteristisch Menschlichenim Idealbilde, das fasst Nietzsche als einen vollständigen Bruch,als den Kampf sich befehdender Gegensätze auf; was bisher nur einGradesunterschied zwischen dem »natürlichen« und dem »moralischen«Menschen innerhalb des beiden gemeinsamen Menschsems war, das wird beiNietzsche zu einem absoluten Wesensgegensatz zwischen dem Naturmenschenund dem Uebeimenschen. Deshalb kann man sagen: Betrachtet man denMoral-Weg, den Nietzsche einschlägt, so ist für denselben allerdingsdas Anti-Asketische bezeichnend, indem er nicht dem steilen undsteinigen Pfade der Selbstentsagung gleicht, sondern mitten in einetropische Wildniss unbekümmerten Selbstgenusses führt. Fasst manhingegen Nietzsches Moral-Ziel genauer ins Auge, so erweist es sichals völlig asketischer Natur, indem es den Menschen nicht nur erheben,sondern vollständig über ihn hinausgehen, ihn nicht nur läutern,sondern ihn vollständig aufheben will. Einerseits also bekämpftNietzsche die übliche Moral wegen ihres asketischen Grund Charakters,wegen ihrer Geringachtung und Verdammung der untermenschlichenBegierden, denen er, als der Kraftquelle im Menschen, so hohen Werthzuspricht; "andrerseits aber bekämpft er die herrschende Moral nichtminder heftig in dem, worin sie ihm nicht asketisch genug ist. Erwendet sich grundsätzlich gegen ihren optimistischen Glauben, als obauf dem Wege einer bestimmten Läuterung der Mensch einem Idealzielenahegebracht werden könne; denn der Mensch ist nach Nietzsches Meinungunfähig hierzu, und daher beruht alle sogenannte Veredelung auf einerblossen Schwächung der elementaren Lebenskraft. »Nackt hatte icheinst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten Menschen:allzuähnlich einander,—allzumenschlich auch den Grössten noch!« (Alsosprach Zarathustra III 98.) Der Versuch aller Moral, das Menschenweseneinem Idealwesen anzuähneln, ergiebt nur eine unwirkliche Nachahmungauf Kosten der wirklichen Kraft, und alle moralische Umwandlung istdeshalb nur eine Art von ästhetischer Verschleierung des geschwächten,aber sonst völlig unveränderten menschlichen Wesens. »Wie? Ein grosserMann? Ich sehe immer nur den Schauspieler seines eignen Ideals.«(Jenseits von Gut und Böse 97.) »Ich suchte nach grossen Menschen, ichfand immer nur die Affen ihres Ideals.« (Götzen-Dämmerung I 39.)

Aus dieser pessimistischen Auffassung des Menschlichen entspringtder extrem-asketische Grundzug, den das Idealziel in NietzschesPhilosophie erhält; dasselbe ist nur erreichbar durch den Untergangdes Menschen. Und dieser Grundzug tritt in der Folge um so extremerhervor, je prinzipieller Nietzsche alles Asketische zu verleugnen undauszumerzen bemüht ist. Je ausschliesslicher am Anfang die Steigerungder egoistischen Kraft gefordert wird, desto ungeheurer erscheint amEnde der Entwickelung die Forderung, das eigene Selbst aufzugeben,damit Raum für den Uebermenschen geschafft werde. Hiess es zuerst: DerMensch ist Etwas, das böse, wild und grausam werden muss, so heisst esschliesslich: »Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss«,—alleerlangte Grausamkeit und Wildheit ist letzten Endes nur dazu da, umsich gegen den Menschen selbst zu kehren und ihn zu vernichten.

So unversöhnlich fallen die beiden Seiten von Nietzsches Ethikauseinander, die er in ein und demselben Gebot zusammenfasst,—indem ersten und einzigen Moralgesetz, das in die neuen Werthtafelneingegraben wird: »Werdet hart!« (Also sprach Zarathustra III 90 =Götzen-Dämmerung, Schluss.) Aus dem Wort: »Werdet hart!« blickt in derThat deutlich das Doppelantlitz der Nietzsche-Moral, mit seinen Zügenvoll tyrannischer Grausamkeit und asketischer Entsagung. Denn hartwerden bedeutet einmal die Widerstandskraft gegen alle weichen undwohlwollenden Regungen, die Versteinerung im egoistischen Selbstgenuss,kurz: Härte gegen Andere, guten Willen zur Ausübung herrischer Macht;das andere Mal aber bedeutet es die Härte gegen sich selbst, als denUntergehenden, der zermalmt werden muss,—es bedeutet: Euch adelt dieHärte in demselben Sinne, wie sie den Stein adelt, den der Künstlerzu einem hohen Kunstwerk verarbeiten will. Alles dürft ihr, nur Einesnicht, nicht nachgeben, nicht zerbröckeln während seiner Arbeit, sonstist all euer Menschliches, wie hoch es auch in den Augen der altenMoral dastehen mag, nur noch gut für den Kehrichthaufen, den manhinwreg fegt; es ist Abfall und verdorbenes Material. Einer solchenBestimmung gegenüber erscheint als das Verwerflichste die ängstlicheWeichlichkeit des Gefühls, die zagende Bedenklichkeit angesichts desFurchtbaren, des Entscheidenden. Denn, so singt Zarathustra, derZukunftsschöpfer, »—zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, meininbrünstiger Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine.Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meinerBilder! Ach, dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss!Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängniss. Vom Steinestäuben Stücke: was schiert mich das?« (Also sprach Zarathustra II 8.)

Hiermit stehen wir vor dem Räthsel und Geheimniss in denLehren Nietzsches,—vor der Frage: Wie denn die Entstehung desUebermenschlichen aus dem Unmenschlichen überhaupt möglich sei, wennBeide als unversöhnliche Gegensätze zu denken sind. Die Beantwortungdieser Frage erinnert unwillkürlich an ein altes moralischesHeilrezept, welches ungefähr so lautet: »Um einen Fehler loszuwerden,gebe man ihm nach und übertreibe ihn so lange, bis er durch seineUebertreibung und sein Uebermaass abschreckend wirkt.« Das moralischeHeilrezept, das Nietzsche für die Menschheit schrieb, weil er fürsich selbst kein probateres wusste, besitzt eine gewisse Aehnlichkeitdamit. Er wollte in der That den Menschen durch die Entfesselung allerwildesten Triebe in einen Zustand bringen, in dem der egoistischeSelbstgenuss durch das Uebermaass und die Uebertreibung zu einemLeiden am eignen Selbst wird. Aus der Qual eines solchen Leidensheraus sollte dann eine grenzenlose übermächtige Sehnsucht nach demeignen Gegensatz erwachsen,—die Sehnsucht des Starken, Unmässigen,Heftigen nach dem Zarten, Maassvollen, Milden; die Sehnsucht derHässlichkeit und dunklen Begierde nach der Schönheit und lichtenReinheit,—die Sehnsucht des gequälten, von seinen wilden Triebenbesessenen Menschen nach seinem Gott. Nietzsche hielt es für möglich,dass aus einem solchen Gemüthszustand thatsächlich dessen Gegensatzdurch die Uebergewalt eines Affektes hervorbrechen könne. Soerscheint ihm einmal der Grossmüthige »als ein Mensch des äusserstenRachedurstes, dem eine Befriedigung sich in der Nähe zeigt und dersie so reichlich, gründlich und bis zum letzten Tropfen schon in derVorstellung austrinkt, dass ein ungeheurer schneller Ekel dieserschnellen Ausschweifung folgt,—er erhebt sich nunmehr »über sich«,wie man sagt, und verzeiht seinem Feinde, ja segnet und ehrt ihn. Mitdieser Vergewaltigung seiner selber, mit dieser Verhöhnung seineseben noch so mächtigen Rachetriebes giebt er aber nur dem neuenTriebe nach.« (Die fröhliche Wissenschaft 49.) Die Grundbedingung füreine solche Darstellung des scheinbar Uebermenschlichen durch daseigne Selbst ist aber, dass dieses die wilde Kraft seines qualvollenUebermaasses bewahre,—dass es sie nicht schwäche, zügele, massige,»läutere«, um den Gegensätzen ihre schmerzliche Spannung zu nehmen.Je höher hinauf, zu den zartesten ßlüthen des Schönen und Göttlichenes gelangen will, desto tiefer hinab in das schwärzeste Erdreich, insein Unmenschliches, Untermenschliches muss es die Wurzeln seinerKraft senken. Dadurch wird freilich das Uebermenschliche, das derMensch erzeugt, zur Darstellung eines blossen, göttlichen Scheines,sozusagen eines Momentbildes, nicht zu der seines wirklichen, eignenWesens, —aber nur in dieser Weise ist es überhaupt realisirbar. Dakeine allmähliche Entwickelung, kein Uebergang die Gegensätze einandernähert, da sie sich vielmehr gerade kraft ihrer Gegensätzlichkeitbedingen und erzeugen, so bleibt ewig ein unüberbrückbarer Abgrundzwischen ihnen bestehen; auf der einen Seite die bis zum Furchtbarengesteigerte, bis zum Chaotischen aufgewühlte Lebenswirklichkeit dermenschlichen Triebe,—auf der andren Seite ein blosses Scheinbild, eineleichte Wesenswiderspiegelung, gewissermaassen eine göttliche Maske,der gar keine selbständige Wirklichkeit innewohnt. Und somit Hesse sichgegen diese Theorie Nietzsches im »allerhöchsten Grade derselbe Vorwurferheben, den er der üblichen Moralauffassung macht, nämlich, dasses genüge, den Menschen einem vorgehaltenen Idealbilde anzuähneln:der Vorwurf, dass nur eine ästhetische Verschleierung, nicht abereine durchgreifende Umwandlung erzielt werde, dass also der Mensch zueinem blossen »Schauspieler seines Ideals« herabsinke. Wir begegnenhier genau derselben Erscheinung, die uns an Nietzsches Stellungzum Asketischen überraschte: was Nietzsche am grundsätzlichstenzu bekämpfen scheint, das nimmt er schliesslich selbst amgrundsätzlichsten in seine Theorien auf,—aber nur in den äusserstenConsequenzen und im extremsten Sinn. Was er auf seinem Wege als Mittelzum Zweck am entschiedensten verwirft, das benutzt er schliesslich,um es seinem Endzweck, seinem Ziele selbst einzuverleiben. Ja, mankann überall da, wo Nietzsche irgend etwas mit ganz besonderem Hasseverfolgt upd erniedrigt, mit Sicherheit annehmen, dass es irgendwietief—tief im Herzen seiner eigenen Philosophie oder seines eigenenLebens steckt. Dies gilt sowohl von Personen wie von Theorien.

Meistens giebt Nietzsche in solchen Fällen selber zu, dass dervon ihm bekämpfte Gegenstand eine Art von Werth besessen habeals Moment der Entwickelung zu seiner neuen Auffassung hin. Imvorliegenden Falle gesteht er: der Mensch habe seine Fähigkeitzur Ueber-menschen-Darstellung erst allmählich gewonnen durch seineEntwickelung innerhalb der herrschenden Moral, Kunst und Religion.

Erst indem diese ihn an die Möglichkeit seiner Wesensveredelungglauben liess, lehrte sie ihn »so sehr Kunst, Oberfläche,Farbenspiel ... werden, dass man an seinem Anblicke nicht mehr leidet«;(Jenseits von Gut und Böse 59) sie hat »uns die Schätzung des Helden,der in jedem von allen diesen Alltagsmenschen verborgen ist, unddie Kunst gelehrt, wie man sich selber als Held, aus der Ferne undgleichsam vereinfacht und verklärt ansehen könne,—die Kunst, sich vorsich selber »in Scene zu setzen«. So allein kommen wir über einigeniedrige Details an uns hinweg!« (Die fröhliche Wissenschaft 78.) DerUnterschied zwischen dem bisherigen Menschen und dem von Nietzscheangestrebten bestände demnach darin, dass letzterer sich nicht demGlauben hingiebt, sein Wesen habe sich umgewandelt und verändert,seitdem er moralische, künstlerische und religiöse Züge in sichentwickelt; er bleibt sich dessen bewusst, dass er sozusagen nur alsDichter oder Schauspieler schafft, wenn er das Ideale zur Erscheinungbringt Aber diese Einsicht darf ihm erst kommen, wenn er das vonNietzsche vorausgesetzte Kraftmaass erreicht hat, wenn er »stark genug,hart genug, Künstler genug geworden ist«. Sonst würde er die Wahrheitnicht ertragen, dass sein Wesen unabänderlich, sein übermenschlichesIdeal nur ein geschautes Bild, sein höchstes sittliches Werk nur einKunstwerk ist. So ist es zu verstehen, wenn Nietzsche sagt:»... man könnte die homines religiosi mit unter die Künstler rechnen,als ihren höchsten Rang.« (Jenseits von Gut und Böse 59.) Denn daskünstlerische Prinzip ist es, aus dem die lebendigen höchsten ethischenund religiösen Werthunterschiede fliessen, und Nietzsches »Jenseitsvon Gut und Böse«, wie auch sein »Jenseits von wahr und falsch«, machtHalt vor dem »Jenseits von schön und hässlich« und dringt nicht bis zudiesem durch. Der Uebermensch ist nur möglich und begreiflich als dasKunstwerk des Menschen. Und wollen wir uns davon ein Bild machen,so giebt es dafür vielleicht kein besseres, als das von Nietzsche inseiner »Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« gebrauchte,wenn er vom Verhältniss des Dionysischen zum Apollinischen in derKunstschöpfung redet. Er vergleicht dort die apollinischen Visionen,welche aus dem orgiastischen Kraftleben des Dionysischen entstandensind, jener bekannten optischen Erscheinung, bei welcher durch dasHineinstarren ins volle Gluthmeer der Sonne dunkle farbige Fleckengleichsam als Heilmittel vor unseren geblendeten Augen erzeugtwerden, indem er das Phänomen in seiner Umkehrung benutzt: durch dasHinabtauchen in das schmerzvolle Dunkel entfesselten Uebermaasses, sichselbst verschlingender Urkräfte ersteht vor uns in gleicher Heilwirkungein zartes strablendes Lichtbild des Uebermenschlichen. Und wie in dergriechischen Tragödie, auf die Nietzsche sein Gleichniss anwendet, dieapollinischen Lichtbilder, d. h. die Heldengestalten der hellenischenBühne, im Grunde nur Masken des Einen Gottes Dionysos waren, soverkörpert auch dieses im Ueberdrang des Schöpferischen erzeugte Bilddes Uebermenschen im Grunde nur einen göttlichen Schein, ein Symbolim künstlerischen Sinn. Hinter ihm, abgründig tief und in »purpurnerFinsterniss«, ruht das dionysische Sein selber, die Elementargewalt desLebens, deren es zu seiner Erzeugung immer wieder von neuem bedarf.

So sehen wir, dass in Nietzsches Philosophie die Ethik unmerklich indie Aesthetik überfliesst,—in eine Art von religiöser Aesthetik,—unddass die Lehre vom Guten ermöglicht wird durch die Göttlichkeit desSchönen. Die feine Grenze, auf der sich der Schein dem Sein vermählenmuss, um das Ideal zu gestalten, macht die Welt des Schönen und ihrerphantastischen Selbsttäuschung zum »eigentlichen Mutterschooss idealerund imaginativer Ereignisse«, zu denen der tiefste Impuls geradedadurch gegeben wird, dass sie ewig unrealisirbar bleiben, dass dieSehnsucht ihnen keine wesenhafte Wahrheit und Wirklichkeit zu verleihenvermag. Es ist derselbe Zustand, den Nietzsche schildert, wenn ervon einem Künstler sagt, er habe viel mehr »von seinem—Unvermögen,als von seiner reichen Kraft.... eine ungeheure Lüsternheit nachdieser Vision ist in seiner Seele zurückgeblieben, und aus ihr nimmt erseine ebenso ungeheure Beredtsamkeit des Verlangens und Heisshungers.«(Die fröhliche Wissenschaft 79.) Man muss sich also die Entstehungdes übermenschlichen Scheines, das Mysterium von der plötzlichenSelbstentsagung und Selbstaufhebung, diese asketische Grundvorstellung,auf welche Nietzsches Ethik hinausläuft,—als ein ästhetischesPhänomen denken, als eine so intensive Versenkung in die Qual desUebermaasses, dass aus ihr die Sehnsucht den Gegensatz als einegeschaute und nachgelebte Vision hervortreibt. »... von Niemandemwill ich so als von dir gerade Schönheit, du Gewaltiger:« heisstes von dem starken, mit übermächtigen Affekten geladenen Menschen,»aber gerade dem Helden ist das Schöne aller Dinge Schwerstes.Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen.... Diess nämlichist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held verlassen hat,naht ihr, im Traume,—der Über-Held« (Uebermensch). (Also sprachZarathustra II 54 f.) In seligem Traume stammelt sie dann:—einSchatten kam zu mir—aller Dinge Stillstes und Leichtestes kam—zumir! Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten.« (II 8.) Denn»Alles Göttliche läuft auf zarten Füssen!«—»Was wäre denn schön, wennnicht erst der Widerspruch sich selbst zum Bewusstsein gekommen wäre,wenn nicht erst das Hässliche zu sich selbst gesagt hätte: ich binhässlich?« In der Hässlichkeit jenes chaotischen Uebermaasses, biszu welchem der Mensch seine wildesten Kräfte entfesseln soll, brichter zuletzt den Stab über sich selbst, als über den von Wesensgrundaus hässlichen. »Ein Hass springt da hervor:... Er hasst daaus dem tiefsten Instinkte der Gattung heraus; in diesem Hass istSchauder, Vorsicht, Tiefe, Fernblick,—es ist der tiefste Hass, denes giebt. Um seinetwillen ist die Kunst tief....« (Götzen-DämmerungIX 20.) Sie ist tief, weil sie durch diesen Hass dem Menschen diegrenzenlose Sehnsucht nach dem Schönen lehrt und so die Erzeugung desschönen Scheines aus der entfesselten Ueberfülle des wirklichen Seinsermöglicht; sie ist tief, weil sie einen ungeheuren Idealisirungsdrangweckt und den Menschenwillen durch die Vision der Schönheit zur»Zeugung« reizt, sodass er in leidenschaftlicher Begeisterung sichseinem eigenen Wesensgegensatz vermählt. So wird die zügellose Kraftbis zum höchsten Uebermaass nur gesteigert, um in einen Rauschzustandder Begeisterung überzuströmen, der die. Bedingung zur schöpferischenErzeugung des Schönen ist. »Das Wesentliche am Rausch ist das Gefühlder Kraftsteigerung und Fülle. Aus diesem Gefühle giebt man an dieDinge ab, man zwingt sie von uns zu nehmen, man vergewaltigtsie,—man heisst diesen Vorgang Idealisiren.« (Götzen-Dämmerung IX8.) »Man bereichert in diesem Zustande Alles aus seiner eignen Fülle:was man sieht, was man will, man sieht es geschwellt, gedrängt, stark,überladen mit Kraft. Der Mensch dieses Zustandes verwandelt die Dinge,bis sie seine Macht wiederspiegeln,... Dies Verwandeln-müssen in'sVollkommne ist—Kunst.« (Ebendaselbst IX 9.)

Trägt Nietzsches Ethik einen vorwiegend ästhetisirenden Charakter,indem die Verwandlung ins Vollkommne nur einen schönen Scheinergiebt, so nähert sich dafür seine Aesthetik sehr stark demReligiös-Symbolischen, insofern sie aus dem Drang entsteht, dieMenschen und Dinge zu vergöttlichen, sie ins Gotthafte aufzulösen,um sie zu ertragen. Ueber diesen psychischen Vorgang hat Nietzschenicht bloss eine Theorie aufgestellt und in zerstreuten Aphorismenangedeutet, sondern er hat auch den Versuch gemacht, selbst dasgrundlegende Erstlingswerk zu schaffen, in dem jene hohe Schöpferthatdes Menschen, die Erzeugung des Uebermenschlichen,—zum erstenMal vollbracht wird. Dieses Werk ist seine Dichtung »Also sprachZarathustra«. Die Zarathustra-Gestalt, als eine SelbstverklärungNietzsches, als eine Widerspiegelung und Verwandlung seiner Wesensfüllein einem gottartigen Lichtbilde, soll ein vollständiges Analogonbilden zu der von ihm geträumten Entstehung des Uebermenschlichen ausdem Menschlichen. Zarathustra ist sozusagen der Nietzsche-Uebermensch,er ist der »Ueber-Nietzsche«. Infolgedessen trägt das Werk einentäuschenden Doppel-Charakter: es ist einerseits eine Dichtung in reinästhetischem Sinn und kann als solche von rein ästhetischem Standpunktaus verstanden und beurtheilt werden; andererseits aber will es nur ineinem rein-mystischen Sinn Dichtung sein,—im Sinn eines religiösenSchöpfungsaktes, in dem die höchste Forderung der Ethik Nietzsches zumersten Mal ihre Erfüllung findet. Daraus erklärt es sich, dass dasZarathustra-Werk das am besten missverstandene unter allen BüchernNietzsches geblieben ist, um so mehr, als meistens angenommen wordenist, es enthalte in dichterischer Form eine Popularisirung dessen,was die übrigen Schriften in strengerer philosophischer Form geben. InWahrheit aber ist es das am wenigsten populär gemeinte seiner Werke;denn wenn es bei Nietzsche jemals eine »esoterische« Philosophiegab, die Niemandem völlig zugänglich werden sollte, so liegt siehier, und dem gegenüber gehört Alles, was er sonst geschrieben, demmehr exoterischen Theil seiner Lehre an. Daher erschliesst sich dastiefste Verständniss des »Zarathustra« weniger auf dem Wege derNietzsche-Philosophie, als auf dem der Nietzsche-Psychologie, indem manden verborgenen Seelenregungen nachspürt, die Nietzsches ethische undreligiöse Vorstellungen bedingen und seiner seltsamen Mystik zu Grundeliegen. Dann zeigt es sich, dass die Theorien Nietzsches alle aus demBedürfniss der eigenen Selbsterlösung geflossen sind,—aus dem Sehnen,seiner tief bewegten und leidvollen Innerlichkeit jenen Halt zü geben,den der Gläubige in seinem Gott besitzt. Dieses gewaltige Wünschen undVerlangen erzwang sich schliesslich Befriedigung: es schuf den Gottoder doch ein gotthaftes Ueberwesen, in dem das Gegenbild des eigenenWesens veräusserlicht und verklärt wurde. Die Doppelgestalt, dieNietzsche sich damit selbst gab, und in der er sich als einen »Zweiten«anschaute, ist in seinem Zarathustra verkörpert, wandelt in ihmgleichsam auf eigenen Füssen. Seltsam schimmert an einzelnen Stellender Dichtung das heimliche Eingeständniss durch, dass Zarathustrakeine eigene Wesenswahrheit habe, sondern nur ein Dichtergeschöpfsei, und selbst ein Dichter und Erdichtender: »—was sagte dir einstZarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen?—Aber auch Zarathustraist ein Dichter.« (II 68.) Doch es liegt ja schon in NietzschesAuffassung des höchsten Ideals, dass der Schein das Recht hat, sichals Sein und Wesen zu geben,—ja, dass alle höchste Wahrheit in derScheinwirkung, im Effekt auf Andere besteht. Der Mensch, in seinermystischen Wesenswandlung, sucht ganz und gar zu einem lockenden,sehnsuchtweckenden und erziehenden Scheinbilde zu werden, dem nichtsHochgeartetes zu widerstehen vermag. Von ihm gilt das Wort: »Wer vonGrund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in Bezug auf seine Schülerernst,—sogar sich selbst.« (Jenseits von Gut und Böse 63.)

Damit ist in bewusster Weise eine Rechtfertigung der »heiligenTäuschung« gegeben, und nicht umsonst sagt Nietzsche wiederholt, dasses das Problem von der »pia fraus« sei, dem er am längsten und tiefstennachgegangen. Auch die Redlichkeit, als eine verhältnissmässig späteTugend des modernen Wahrheitsmenschen, hat der grosse »Unzeitgemässe«,der frei über die Tugenden aller Kulturen verfügt, in sich zuüberwinden um seiner Zwecke willen, die ein weiches Gewissen nichtvertragen. In bezeichnenderweise steht schon in der »fröhlichenWissenschaft« (159): »Wer jetzt unbeugsam ist, dem macht seineRedlichkeit oft Gewissensbisse: denn die Unbeugsamkeit ist die Tugendeines anderen Zeitalters, als die Redlichkeit.« Zu Zarathustra aberspricht der kluge Bucklichte, der ihm zuhört und ihm seine Gedankenabliest: »—warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern—alszu sich selber?« (II 91.) Und Zarathustra selber ruft diesen zu:»Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegenZarathustra! Und besser noch: schämt euch seiner! Vielleicht betrog ereuch.... Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung einesTages umfällt? Hütet euch, dass euch nicht eine Bildsäule erschlage!«(I 111.)

Je vollständiger aber nach dieser Seite hin alle Wirklichkeit undWahrheit entschwan, je bewusster das Ideal als Scheinbild gedachtwurde, desto grösser Nietzsches Verlangen, ihm religiös eine Wahrheitzuzugestehen, es zu einer mystischen Selbstvergottung zu machen. Undhier sehen wir, wie sein Gedanke einen wunderlichen Kreis um sichselbst beschreibt: um der asketischen Selbstvernichtung aller Moral zuentgehen, löst er das moralische Phänomen in ein ästhetisches auf, indem die Grundnatur des Menschen neben seiner ästhetischen Lichtgestaltunverändert bestehen bleibt; um aber dieser Lichtgestalt eine positiveBedeutung zu verleihen, erhebt er sie ins Mystische, Religiöse undist dann, um diesen lichten Gegensatz herauszubringen, gezwungen, diewirkliche menschliche Grundnatur möglichst dunkel und leidvoll zumalen. Damit das erlösende Ueberwesen glaubhaft würde, mussten dieGegensätze möglichst verschärft, musste es vom natürlich-menschlichenWesen möglichst unterschieden werden. Jeder vermittelnde Ueberganghätte die mystische Illusion zerstört und den Menschen auf sichselbst zurückgeworfen; das Ueberwesen wäre dann zu einer blossenWesensentwickelung in ihm selbst geworden. Die Schatten mussten aufder einen—der menschlichen—Seite in demselben Maasse vertieftwerden, als auf der anderen—der übermenschlichen—das Licht hellerhervortreten und den Glauben erzwingen sollte, dass es völlig andererArt sei. So entstand die Lehre, dass zur Erzeugung des Uebermenschender Unmensch nöthig sei, und dass nur aus dem Uebermaass der wildestenBegierden die sich selbst preisgebende Sehnsucht nach dem eigenenGegensatz hervorgehe. Gegen diese mystische Gottschöpfung lässt sichderselbe Vorwurf richten, den Nietzsche der christlich-asketischenGottschöpfung gemacht hat: es sei in ihr des Menschen Wille gewesen,»ein Ideal aufzurichten..., um angesichts desselben seinerabsoluten Unwürdigkeit handgreiflich gewiss zu sein.« Und dann: »DiesAlles ist interessant bis zum Übermaass, aber auch von einer schwarzendüsteren entnervenden Traurigkeit.... Hier ist Krankheit,es ist kein Zweifel, die furchtbarste Krankheit, die bis jetzt imMenschen gewüthet hat:—und wer es noch zu hören vermag ... wie indieser Nacht von Marter und Widersinn der Schrei Liebe, der Schrei dessehnsüchtigsten Entzückens, der Erlösung in der Liebe geklungen hat,der wendet sich ab, von einem unbesieglichen Grausen erfasst.... ImMenschen ist so viel Entsetzliches!...« (Zur Genealogie der Moral II22.)

Dieser Zug zum Asketischen und Mystischen, der sich, inmitten desKampfes wider das Asketische und Mystische, so stark als der geheimeGrundzug der Philosophie Nietzsches ausweist, zeigt am deutlichstendie Rückwendung zu seiner ersten philosophischen Weltanschauung,der Schopenhauerisch-Wagnerischen. Aber indem er sich im Prinzipgegen alle bisherige Mystik und Askese auflehnt, giebt er in nichtgeringerem Grade dem Einflüsse nach, den die Erfahrungswissenschaftund die positivistische Theorie auf ihn ausgeübt haben,—undso treten denn auch hier die beiden Hauptlinien seiner letztenPhilosophie unverkennbar hervor. Die mystische und asketischeBedeutung des Aesthetischen ist in seinem System keine geringereals in dem Schopenhauers; bei Beiden fällt sie zusammen mit demtiefsten ethischen und religiösen Erleben, und nicht umsonst greiftNietzsche, um diese Bedeutung zu erläutern, auf Gedanken und Bilderseiner »Geburt der Tragödie« zurück. Aber bei Schopenhauer wird dasästhetische Schauen aufgefasst als ein mystischer Durchblick in denmetaphysischen Hintergrund der Dinge, in das Wesen des »Dingesan sich«, und setzt deshalb die Beschwichtigung des gesammtenSeelenlebens, gewissermaassen die Abstreifung alles Irdischen, voraus.Bei Nietzsche hingegen, wo der metaphysische Hintergrund fehlt, undwo es gilt, dafür einen Ersatz mitten aus dem Ueberschwang irdischerLebenskräfte heraus zu schaffen, ist die psychische Voraussetzungdie gerade entgegengesetzte: das Schöne soll das Willensleben imTiefsten erregen, es soll alle Kräfte entfesseln, »brünstig machen undzur Zeugung reizen«, denn es handelt sich nicht um die metaphysischeOffenbarung von etwas ewig Seiendem, sondern um die mystische Schöpfungvon etwas nicht Vorhandenem; das »Mystische« bei Nietzsche istdaher stets so viel wie ins Ungeheure und folglich Uebermenschlichegesteigerte Lebenskraft. Genau aber so, wie bei Schopenhauer dasUeberirdische aus der asketischen Vernichtung des Irdischen resultirt,ist bei Nietzsche der mystische Lebensüberschwang nur möglich alseine Folge des Unterganges alles Menschlichen und Gegebenen durchdas Uebermaass. Und hier liegt der Haupt-Berührungspunkt beiderAnschauungen: beide gehen durch das Tragische in das Selige ihrerMystik ein. »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«[7]hat sich verwandelt in eine Geburt der Tragödie aus dem Geiste desLebens. Das Leben, als »das, was sich immer selber überwinden muss«,fordert immer wieder als Grundbedingung immer höherer Schöpfungen denUntergang. Was tragisch erscheint vom Standpunkte dessen, der zu einemsolchen Untergang bestimmt ist, wird als Seligkeit unerschöpflicherLebensfülle empfunden vom Standpunkte des Daseins selbst oder dessen,der sich mit diesem identificirt, über sich selbst siegt, indemer es in sich bis zum Uebermaass steigert. In charakteristischerWeise zeigt sich diese veränderte Auffassung des Tragischen in der»Götzen-Dämmerung«, wo Nietzsche noch einmal sein altes Problem aus der»Geburt der Tragödie«, die Bedeutung der dionysischen Mysterien und destragischen Gefühls der Griechen, bespricht. Ursprünglich war ihm derdionysische Orgiasmus das Entladungsmittel der Affekte, wodurch diefür das Schauen der apollinischen Bilder erforderliche Seelenstillehergestellt wurde,—jetzt ist er ihm der Schöpfungsakt des Lebensselbst, das der Raserei und des Schmerzes bedarf, um aus ihnen herausdas Lichte und Göttliche zu gestalten.[8] Ursprünglich war er ihm einZeugniss für die—in Schopenhauerischem Sinne—tief pessimistischeNatur der Griechen, indem im Orgiasmus das Innerste des Lebens sichals Dunkel, Schmerz und Chaos enthüllte; jetzt erscheint er ihm alsder lebensdurstige hellenische Instinkt, der sich nur im Uebermaassgenug thun konnte, und der auch noch in Schmerz, Tod und Chaos dertriumphirenden Unerschöpflichkeit des Lebens froh ward:... inden dionysischen Mysterien ... spricht sich die Grundthatsachedes hellenischen Instinkts aus—sein »Wille zum Leben«. Was verbürgtesich der Hellene mit diesen Mysterien? Das ewige Leben, die ewigeWiederkehr des Lebens; die Zukunft in der Vergangenheit verheissen undgeweiht; das triumphirende Ja zum Leben über Tod und Wandel hinaus;...In der Mysterienlehre ist der Schmerz heiliggesprochen: die »Wehen der Gebärerin« heiligen den Schmerz überhaupt,...Damit es die ewige Lust des Schaffens giebt, damit der Willezum Leben sich ewig selbst bejaht, muss es auch ewig die »Qual derGebärerin« geben.... Dies Alles bedeutet das Wort Dionysos:....«(Götzen-Dämmerung X 4.) »Dass alle Schönheit zur Zeugung reize« (IX22), ist das Religiöse an der Kunst, denn diese lehrt das Vollkommeneschaffen. Die höchste, d. h. religiöseste Kunst ist die tragische,denn in ihr zeugt der Künstler aus dem Furchtbaren das Schöne. »Wastheilt der tragische Künstler von sich mit? Ist es nicht gerade derZustand ohne Furcht vor dem Furchtbaren und Fragwürdigen, das erzeigt?... Die Tapferkeit und Freiheit des Gefühls vor einemmächtigen Feinde, vor einem erhabenen Ungemach, vor einem Problem, dasGrauen erweckt—dieser siegreiche Zustand ist es, den der tragischeKünstler auswählt, den er verherrlicht. Vor der Tragödie feiert dasKriegerische in unserer Seele seine Saturnalien; wer Leid gewohnt ist,wer Leid aufsucht, der heroische Mensch preist mit der Tragödie seinDasein,—ihm allein kredenzt der Tragiker den Trunk dieser süssestenGrausamkeit.—« (IX 24.)

»Die Psychologie des Orgiasmus als eines überströmenden Lebens- undKraftgefühls, innerhalb dessen selbst der Schmerz noch als Stimulanswirkt, gab mir den Schlüssel zum Begriff des tragischen Gefühls,...Das Jasagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten und härtestenProblemen; der Wille zum Leben, im Opferseiner höchsten Typen dereignen Unerschöpflichkeit frohwerdend—das nannte ich dionysisch,das errieth ich als die Brücke zur Psychologie des tragischenDichters. Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen,...: sondern um, über Schrecken und Mitleid hinaus, die ewige Lustdes Werdens selbst zu sein,—jene Lust, die auch noch die Lust amVernichten in sich schliesst....« (X 5.)

Diese Auffassung des Tragischen und des durch dasselbe bedingtenLebensgefühls machte es möglich, dass Nietzsche gerade bei seinerRückkehr zur Schopenhauerischen Philosophie des Pessimismus undder Askese seine lebensfreudigste Lehre schuf,—seine Lehre vonder ewigen Wiederkunft aller Dinge. So sehr Nietzsches System»philosophisch wie psychologisch einen asketischen Grundzug forderte,ebensosehr erforderte es dessen Gegensatz, die Apotheose des Lebens,denn in Ermanglung eines metaphysischen Glaubens gab es ja nichtsanderes als das leidende und leidvolle Leben selbst, das glorificirtund vergöttlicht werden konnte. Nietzsches Lehre von der ewigenWiederkunft ist niemals genügend betont und gewürdigt worden, obwohlsie gewissermaassen in seinem Gedankengebäude sowohl das Fundament,als auch die Krönung bildet und diejenige Idee gewesen ist, von derer bei der Conception seiner Zukunftsphilosophie ausgegangen ist,und mit der er sie auch abschliesst. Wenn sie erst hier ihre Stellefindet, so geschieht dies, weil sie nur im Zusammenhänge des Ganzenverständlich wird, und weil in der That Nietzsches Logik, Ethik undAesthetik als Bausteine für die Wiederkunftslehre gelten müssen. DenGedanken einer möglichen Wiederkehr aller Dinge im ewigen Kreislaufdes Seins hat Nietzsche schon in der »fröhlichen Wissenschaft«, imvorletzten Aphorismus des Buches »Das grösste Schwergewicht«, alseine Vermuthung ausgesprochen: »Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts,ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte:»Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du nocheinmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neuesdaran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke undSeufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dirwiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge—und ebenso dieseSpinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieserAugenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immerwieder umgedreht—und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!«—Würdest dudich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämonverfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheurenAugenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: »du bist ein Gottund nie hörte ich Göttlicheres!« Wenn jener Gedanke über dich Gewaltbekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleichtzermalmen; die Frage bei Allem und Jedem »willst du diess noch einmalund noch unzählige Male?« würde als das grösste Schwergewicht aufdeinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Lebengut werden, um nach nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letztenewigen Bestätigung und Besiegelung?—«

Hier tritt der Grundgedanke deutlich hervor—fast deutlicher undunumwundener als irgendwann später, denn Nietzsche ertrug esnicht, ganz über das zu schweigen, was seinen Geist erfüllte underregte. Aber es erschütterte ihn noch so sehr, von dieser neuenErkenntniss zu sprechen, dass er seinen Wiederkunftsgedanken ganzunauffällig wie einen harmlosen Einfall zwischen andere Einfällehineinschob, so dass wer darüber hinliest, den Zusammenhang mit derernsten Schlussbetrachtung »Incipit tragoedia« nicht merkt,—»soheimlich, dass alle Welt es überhört, dass alle Welt uns überhört!«(Einführende Vorrede zur neuen Ausgabe der Morgenröthe 5.) So steht erdenn da, inmitten der übrigen Gedanken, gerade als der Verhülltesteunter den Verhüllten, und an dem feinen Maskenscherz, Etwas dadurcham besten zu verstecken, dass man es offen und nackt hinstellt, hatder an Heimlichkeiten so reiche und aller Heimlichkeit so frohe GeistNietzsches trotz aller tiefen Seelenbewegung seinen Spass gehabt.

Thatsächlich trug er sich schon damals mit jenem Gedanken wie miteinem unentrinnbaren Verhängniss, das ihn »verwandeln und zermalmen«wollte; er rang nach dem Muth, ihn siqh selbst und den Menschen alsunumstössliche Wahrheit in seiner ganzen Tragweite zu gestehen.Unvergesslich sind mir die Stunden, in denen er ihn mir zuerst, als einGeheimniss, als Etwas, vor dessen Bewahrheitung und Bestätigung ihmunsagbar graue, anvertraut hat: nur mit leiser Stimme und mit allenZeichen des tiefsten Entsetzens sprach er davon. Und er litt in derThat so tief am Leben, dass die Gewissheit der ewigen Lebenswiederkehrfür ihn etwas Grauenvolles haben musste. Die Quintessenz derWiederkunftslehre, die strablende Lebensapotheose, welche Nietzschenachmals aufstellte, bildet einen so tiefen Gegensatz zu seiner eigenenqualvollen Lebensempfindung, dass sie uns anmuthet wie eine unheimlicheMaske.

Verkündiger einer Lehre zu werden, die nur in dem Maasse erträglichist," als die Liebe zum Leben überwiegt, die nur da erhebend zuwirken vermag, wo der Gedanke des Menschen sich bis zur Vergötterungdes Lebens aufschwingt, das musste in Wahrheit einen furchtbarenWiderspruch zu seinem innersten Empfinden bilden,—einen Widerspruch,der ihn endlich zermalmt hat. Alles, was Nietzsche seit der Entstehungseines Wiederkunfts-Gedankens gedacht, gefühlt, gelebt hat, entspringtdiesem Zwiespalt in seinem Inneren, bewegt sich zwischen dem »mitknirschenden Zähnen dem Dämon der Lebensewigkeit fluchen« und derErwartung jenes »ungeheuren Augenblicks«, der zu den Worten die Kraftgiebt: »du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!«

Je höher er sich, als Philosoph, zur vollen Exaltation derLebensverherrlichung erhob, je tiefer litt er, als Mensch, unter seinereigenen Lebenslehre. Dieser Seelenkampf, die wahre Quelle seiner ganzenletzten Philosophie, den seine Bücher und Worte nur unvollkommen ahnenlassen, klingt vielleicht am ergreifendsten durch in Nietzsches Musikzu meinem »Hymnus an das Leben«, die er im Sommer 1882 componirte,während er mit mir in Thüringen, bei Dornburg, weilte. Mitten in derArbeit an dieser Musik wurde er durch einen seiner Krankheitsanfälleunterbrochen, und immer wieder wandelte sich ihm der »Gott« in den»Dämon«, die Begeisterung für das Leben in die Qual am Leben. »Zu Bett.Heftiger Anfall. Ich verachte das Leben. F. N.« So lautete einer derZettel, die er mir zuschickte, wenn er an sein Lager gefesselt war. Unddieselbe Stimmung spricht sich in einem Briefe aus, den er kurz nachVollendung jener Composition schrieb:

»Meine liebe Lou,

Alles was Sie mir melden, thut mir sehr wohl. Uebrigensbedarf ich etwas des Wohlthuenden!

Mein Venediger Kunstrichter hat einen Brief über meine Musikzu Ihrem Gedichte geschrieben; ich lege ihn bei—Sie werdenIhre Nebengedanken dabei haben. Es kostet mich immerfortnoch den grössten Entschluss, das Leben zu acceptiren. Ichhabe viel vor mir, auf mir, hinter mir;...

Vorwärts ... und aufwärts!...«

Damals war, wie gesagt, die Wiederkunfts-Idee für Nietzsche nochkeine Ueberzeugung geworden, sondern erst eine Befürchtung. Er hattedie Absicht, ihre Verkündigung davon abhängig zu machen, ob und wieweit sie sich wissenschaftlich werde begründen lassen. Wir wechselteneine Reihe von Briefen über diesen Gegenstand, und immer ging ausNietzsches Aeusserungen die irrthümliche Meinung hervor, als sei esmöglich, auf Grund, physikalischer Studien und der Atomenlehre, einewissenschaftlich unverrückbare Basis dafür zu gewinnen. Damals war es,wo er beschloss, an der Wiener oder Pariser Universität zehn Jahreausschliesslich Naturwissenschaften zu studiren. Erst nach Jahrenabsoluten Schweigens wollte er dann, im Fall des gefürchteten Erfolges,als der Lehrer der ewigen Wiederkunft unter die Menschen treten.

Es kam bekanntlich ganz anders. Innere und äussere Gründe machtenNietzsche die geplante Arbeit unmöglich, trieben ihn wieder nach demSüden und in die Einsamkeit zurück; Das Jahrzehnt des Schweigens aberwurde zum beredtesten und fruchtbarsten seines ganzen Lebens. Schon einoberflächliches Studium zeigte ihm bald, dass die wissenschaftlicheFundamentirung der Wiederkunftslehre auf Grund der atomistischenTheorie nicht durchführbar sei; er fand also seine Befürchtung, derverhängnissvolle Gedanke werde sich unwiderleglich als richtigbeweisen lassen, nicht bestätigt und schien damit von der Aufgabeseiner Verkündigung, von diesem mit Grauen erwarteten Schicksalbefreit zu sein. Aber nun trat etwas Eigenthümliches ein: weit davonentfernt, sich durch die gewonnene Einsicht erlöst zu fühlen, verhieltsich Nietzsche gerade entgegengesetzt dazu; von dem Augenblick an,wo das gefürchtete Verhängniss von ihm zu weichen schien, nahm er esentschlossen auf sich und trug seine Lehre unter die Menschen: indem Augenblick, wo seine bange Vermuthung unbeweisbar und unhaltbarwird, erhärtet sie sich ihm, wie durch einen Zauberspruch, zu einerunwiderlegbaren Ueberzeugung. Was wissenschaftlich erwiesene Wahrheitwerden sollte, nimmt den Charakter einer mystischen Offenbarungan, und fürderhin giebt Nietzsche seiner Philosophie überhaupt alsendgiltige Grundlage, anstatt der wissenschaftlichen Basis, die innereEingebung—seine eigene persönliche Eingebung.

Was war es, das trotz des widerstrebenden Grauens auf der einen unddes mangelnden Beweises auf der anderen Seite einen so umwandelndenEinfluss auf ihn ausübte? Erst die Lösung dieses Räthsels gewährtuns einen Einblick in das verborgene Geistesleben Nietzsches, in dieEntstehungsursache seiner Theorien. Eine neue tiefere Bedeutsamkeitder Dinge, ein neues Suchen und Fragen nach den letzten und höchstenProblemen—dies alles, was Nietzsche als Metaphysiker gekannt, alsEmpiriker aber schmerzlich vermisst hatte, das war es, was ihn in dieMystik seiner Wiederkunftslehre hineintrieb. Mochte auch diese Lehremit neuen Seelenqualen für ihn verbunden sein, mochte sie ihn sogarzermalmen, lieber nahm er das Leiden am Leben auf sich, als in derEntgötterung und Entgeistung desselben zu beharren. Ausser mit diesemLeiden konnte er mit allen anderen Leiden fertig werden,—ja er ertrugsie nicht nur, sondern wusste noch seinen Geist an ihnen zu sp*rnen undzu stacheln, indem sie ihn lehrten, nach einem Sinn, nach dem tiefstenGeheimsinn des Lebens unablässig zu suchen und zu forschen. »Hat mansein warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem wie?«sagt Nietzsche in der »Götzen-Dämmerung« (I 12). Aber sein warum? alsdie Grundsehnsuch seines Lebens, verlangte nach einer ausgiebigenBeantwortung und vertrug keine Selbstbescheidung.

So begehrte der Philosoph in ihm auch hier nicht danach, von der Qualeiner gefürchteten Lehre errettet, sondern nur, an ihr fruchtbar, anihr zum Wissenden und Wahrseher zu werden,—und er begehrte dies soinbrünstig, dass, selbst mit dem Hinfälligwerden der wissenschaftlichenBeweisgründe, jener innere Grund Macht genug besass, um eineschwankende Muthmaassung zu begeisterter Ueberzeugung zu steigern.

Daher wird auch der theoretische Umriss des Wiederkunfts-Gedankenseigentlich niemals mit klaren Strichen gezeichnet; er bleibt blassund undeutlich und tritt vollständig zurück hinter den praktischenFolgerungen, den ethischen und religiösen Consequenzen, die Nietzschescheinbar aus ihm ableitet, während sie in Wirklichkeit die innereVoraussetzung für ihn bilden.

In einem seiner frühesten Werke, in der zweiten der »UnzeitgemässenBetrachtungen« (Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für dasLeben), erwähnt Nietzsche einmal (23), vorübergehend, derWiederkehrs-Philosophie der Pythagoräer, als eines geeigneten Mittels,um »jedes Factum in seiner genau gebildeten Eigenthümlichkeit undEinzigkeit« zu unverlierbarer Bedeutung zu erheben, fügt aber hinzu,dass eine solche Lehre in unserem Denken nicht eher Raum beanspruchenkönne, als bis die Astronomie wieder zu Astrologie geworden sei. Gewisssind ihm die theoretischen Schwierigkeiten einer modernen Neubelebungdieser alten Idee in späteren Jahren nicht geringer erschienen, alszur Zeit seines Glaubens an Schopenhauers Metaphysik. Aber eben dieseMetaphysik deutete ihm damals die Dinge des Lebens in erhebenderWeise und machte damit jede mystische Grübelei überflüssig. Das ewigeSein hinter dem ungeheuren Werdeprozess der Erscheinungswelt, dassich in einer jeden Gestaltung derselben objektivirt, gewissermaassendurch eine jede, als ihr höherer Sinn, hindurchschimmert, Hessnicht die Sehnsucht aufkommen, diesem Werdeprozess selbst, durcheine ewige Wiederholung desselben im Kreislauf des Seins, eine überdas Ephemere hinausgehende Bedeutung zuzuschreiben. Erst später,als Nietzsche vor einer metaphysischen Weiterklärung absah undunwillkürlich nach einem Ersatz dafür verlangte, drängte sich ihmjener Gedanke wieder auf. Scheinbar freilich schwächt derselbe denPessimismus der positivistischen Lebensauffassung um nichts ab,ja, eher verschärft er ihn noch; denn die Sinnlosigkeit einer insUnendliche verlaufenden Werde-Linie erscheint wegen ihrer unzählbarenverhüllten Zukunftsmöglichkeiten weniger niederdrückend, als eine steteWiederholung des Sinnlosen in sich selbst. Aber charakteristischerWeise entsprang hieraus die neue Erlösungsphilosophie Nietzsches.Gerade durch die Verschärfung des Niederdrückenden und Trostlosen, dasin einer nüchternen und kalten Betrachtungsweise des Lebens liegt,gerade durch den harten Zwang, immer wieder zu einem solchen Lebenzurückkehren zu müssen, sollte der Menschengeist zu seiner höchstenThat angesp*rnt werden: er sollte, gleichsam gepeitscht von Verdrussund Grauen, rriit gewaltigem Willen dem sinnlosen Leben einen Sinn,dem zufälligen Werdeprozess des Ganzen ein Ziel geben und damit diethatsächlich nicht vorhandenen Lebenswerthe aus sich heraus erschaffen.

So kann man sagen, dass Nietzsche, anstatt sich vom Pessimismusseiner »Freigeisterei« abzuwenden und zur tröstlicheren Metaphysikzurückzukehren, diesen Pessimismus bis auf das Aeusserstesteigert,—dass er es aber nur thut, um den äussersten Ueberdruss undLebensschmerz als ein Sprungbrett zu benutzen, von dem er sich in dieTiefen seiner Mystik hinabstürzen will.

In der That schien der Wiederkunftsgedanke besonders dazu geeignet,eine solche Wirkung auszuüben, insofern er sich auf das wirkliche Lebeneines jeden Einzelnen bezieht und sich nicht nur an das philosophirendeDenken, sondern mehr noch an den schaffenden Willen richtet. DemLebensganzen, als einem sinnlosen und zufälligen Ganzen, denkendgegenüber zu stehen, ist etwas Anderes, als es im Einzelleben immeraufs neue sinnlos wiederholen zu müssen, ohne ihm jemals entrinnenzu können;—damit gewinnt die rein abstrakte Betrachtungsweise eineRichtung auf das Persönliche, und die philosophische Theorie wirdin das empfindliche lebendige Fleisch hineingedrückt, gleich einemschmerzenden Sp*rn, der dazu antreiben soll, um jeden Preis eine neueHoffnung, einen neuen Lebenssinn, ein neues Lebensziel zu schaffen.

In Bezug auf diesen Optimismus ist Nietzsche's letzte Philosophiedas genaue Gegenbild seiner ersten philosophischen Weltanschauung,der Schopenhauerischen Metaphysik mit ihrer Verherrlichungdes buddhistischen Ideals der Askese, der Willensverneinungund Lebens-Abkehr. Die alte indische Lehre von einer ewigenWiedergeburt in der Seelenwanderung, als des Fluches, dem ein jederverfällt, der nicht bis zur Selbstverneinung durchgedrungen, istvon Nietzsche geradezu umgekehrt worden. Nicht Befreiung von demWiederkunftszwange, sondern freudige Bekehrung zu ihm ist das Zieldes höchsten sittlichen Strebens, nicht Nirwana, sondern Sansärader Name für das höchste Ideal. Diese Korrektur vom Pessimistischenins Optimistische ist der eigentliche Unterschied zwischenNietzsches ursprünglichem und späterem Denken und stellt in derEntwickelung dieses einsamen Leidenden einen heldenmüthigen Sieg derSelbstüberwindung dar. Philosophisch aber ist sie durch die dazwischenliegende positivistische Geistesperiode Nietzsches vorbereitetworden, in der dieser das Dasein allerdings erst recht pessimistischbetrachten, zugleich aber sich auf die Lebenswirklichkeit beschränkenund allen metaphysischen Nebendeutungen derselben entsagen lernte.Denn sein Optimismus folgt, als philosophische Lebenslehre, aus derBetonung und Verewigung der Lebensthatsache selbst, als des oberstenPrinzips; durch den gewaltsam bis ins Mystische gesteigerten Accent,den er ihr gab, schuf er sich ihre Vergöttlichung. In den Kreislauf desLebens unerbittlich verstrickt, auf ewig an ihn gebunden, müssen wir»Ja« sagen lernen zu allen seinen Gestaltungen, um sie zu ertragen; nurdurch die Kraft und Freudigkeit eines solchen »Ja« versöhnen wir unsmit dem Leben, indem wir uns mit ihm identificiren. Dann fühlen wiruns als einen schöpferischen Theil seines Wesens, ja, als dieses Wesenselbst in seiner unersättlichen überquellenden Macht und Fülle. Dieauf Lebenskraft gegründete rückhaltlose Lebensliebe ist deshalb daseinzige heilige Moralgesetz des neuen Gesetzgebers; die bis zum Rauschentfesselte Lebens-Exaltation nimmt die Stelle ein der religiösenErhebung, ja, eines Gottes-Kultus.

Ueber diesen Umschlag von Pessimismus in Optimismus und über das neueIdeal der Weltbejahung spricht sich Nietzsche, in »Jenseits von Gut undBöse« (56), folgendermaassen aus: »Wer, gleich mir, mit irgend einerräthselhaften Begierde sich lange darum bemüht hat, den Pessimismusin die Tiefe zu denken und aus der halb christlichen, halb deutschenEnge und Einfalt zu erlösen, mit der er sich diesem Jahrhundert zuletztdargestellt hat, nämlich in Gestalt der Schopenhauerischen Philosophie;wer wirklich einmal ... in die weltverneinendste aller möglichenDenkweisen hinein und hinunter geblickt hat..., der hatvielleicht ebendamit, ohne dass er es eigentlich wollte, sich die Augenfür das umgekehrte Ideal aufgemacht: für das Ideal des übermüthigsten,lebendigsten und weltbejahendsten Menschen, der sich nicht nur mit dem,was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern es,so wie es war und ist, wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus,unersättlich da capo rufend, nicht nur zu sich, sondern zum ganzenStücke und Schauspiele, und nicht nur zu einem Schauspiele, sondern imGrunde zu Dem, der gerade dies Schauspiel nöthig hat—und nöthig macht:weil er immer wieder sich nöthig hat—und nöthig macht.... Wie? Unddies wäre nicht—circulus vitiosus deus?«

In diesen Worten ist nicht nur angedeutet, wie ganz für Nietzsche derOptimismus aus der Verschärfung und Uebertreibung des Pessimismushervorgesprungen ist, sondern auch inwiefern seiner neuen Philosophieein Charakter religiöser Erhebung eigen ist.

Der Mensch fühlt sich einerseits zum Weltganzen, zum Lebensganzenmystisch erweitert, sodass sein eigener Untergang, sowie seine eigeneLebenstragödie gar nicht mehr für ihn vorhanden ist,—und andererseitswieder verleiht er diesem, an sich zufälligen und sinnlosen,Lebensganzen eine Verpersönlichung und Vergeistigung, durch die eszur Gottheit erhoben wird. Welt, Gott und Ich verschmelzen zu einemeinzigen Begriff, aus dem sich nun für das Einzelwesen ebenso gut, wieaus irgend einer Metaphysik, Ethik oder Religion, ableiten lassen:eine Norm des Handelns und eine höchste Anbetung. Den Hintergrund derganzen Vorstellung aber bildet der Gedanke, dass das Weltganze eineFiktion des Menschen sei, der es schafft und, in seinem Gottsein, d.h. in seiner Wesenseinheit mit der Lebensfülle, es von sich und seinemschöpferischen und wertheprägenden Willen abhängig weiss. So erklärtsich das geheimnissvolle Wort in »Jenseits von Gut und Böse« (150): »Umden Helden herum wird Alles zur Tragödie« (das heisst: der Mensch alssolcher ist gerade in seiner höchsten Entwickelung der Untergehendeund Geopferte), »um den Halbgott herum Alles zum Satyrspiel« (dasheisst: in seiner vollen Hingebung an das Lebensganze lächelt er alsein Erhobener auf sein eigenes Schicksal herab); »und um Gott herumwird Alles—wie? vielleicht zur »Welt«?—« (das heisst: durch dievollkommene Identificirung des Menschen mit dem Leben wird nicht nurer selbst versöhnt in das Lebensganze aufgenommen, sondern wird auchdieses absolut in ihn hineingezogen, sodass er zum Gott wird, der dieWelt aus sich entlässt und im Weltschaffen unausgesetzt sein Wesenäussert).

Und hier stossen wir wieder auf den Grundgedanken in NietzschesPhilosophie, der die Wiederkunftslehre, wie alle seine Lehren, inihm hat entstehen lassen: auf jene ungeheure Vergöttlichung desSchöpfer-Philosophen. In ihm ruhen Anfang und Ende dieser Philosophie,und map kann sagen, dass auch der abstrakteste Zug des Systems einVersuch ist, seine gewaltigen Uebermenschen-Züge zu zeichnen. Wirhaben gesehen, dass er, sowohl innerhalb der Logik wie der Ethik, zueinem Inbegriff des Lebensganzen erhoben wurde, als das Ueber-Genie,das alles Andere in sich trägt. Wir haben ferner gesehen, wie, inNietzsches Aesthetik, seine Bedeutung ins Religiös-Mystische derartzugespitzt wurde, dass er sich vom Bloss-Menschlichen unterschied undals Gotteswesen das Menschenwesen mit umfasste. Aber erst auf Grundder Wiederkunftslehre wächst Alles zu einer einzigen gigantischenGestalt zusammen, denn nur der Umstand, dass der Weltverlauf keinunendlicher, sondern ein sich in seiner Begrenzung stetigwiederholender ist, macht es möglich, ein Ueberwesen zu construiren,in dem der ganze Weltverlauf ruht und sich abschliesst. Nur durch einsolches gewinnt derselbe endgiltig Sinn und Ziel und die Richtungauf die erlösende Schöpfung des Uebermenschen,—nur so wird dieseletztere zu mehr als einer Hypothese,—wird sie zu einer That.Daher sehen wir auch, dass Nietzsche diese seine fundamentalste undzugleich mystischeste Lehre sozusagen nicht in seinem eigenen Namenvorträgt, sondern in dem seines Zarathustra; nicht der Denker undMensch soll sie vortragen, sondern Der, dem Gewalt vergehen ist, siein beseligende Erlösung umzusetzen.[9] Streift aber Nietzsche jeeinmal in seinen Aphorismen den Wiederkunfts-Gedanken, danm verstummter mit einer Geberde des Schreckens und der Ehrfurcht:—Aber wasrede ich da? Genug! Genug! An dieser Stelle geziemt mir nur Eins, zuschweigen: ich vergriffe mich sonst an dem, was einem Jüngeren alleinfreisteht, einem »Zukünftigeren«, einem Stärkeren, als ich bin,—wasallein Zarathustra freisteht, Zarathustra dem Gottlosen ...« (ZurGenealogie der Moral II 25.)

Und die seelische Bedeutung der Zarathustra-Gestalt für NietzschesWesen selbst wird ebenfalls erst völlig deutlich hier, wo sie alsTräger der Wiederkunftslehre auftritt. Er glaubte sie in sich enthaltenwie ein mystisches Wesen, aber unterschieden von seiner natürlichenund menschlichen Existenzform als Nietzsche. In seiner zufälligenZeiterscheinung, körperlich und geistig bedingt durch die Umständeund Wechselfälle seines vorübergehenden Lebens, betrachtete Nietzschesich als einen »Dekadenten«, gleich den Anderen, nur wert und dazubestimmt unterzugehen. Aber andererseits hielt Nietzsche sich für das,nothwendig krankhaft disponirte, Medium, durch welches die Ewigkeitaller Zeiten sich ihrer selbst und ihres Sinnes bewusst wird,—für denfleischgewordenen Menschheitsgenius selbst, in dem die Vergangenheitder Gegenwart das Räthsel aller Zukunft löst. So glaubte er das in sichzu verkörpern, was er als höchste Bedeutung menschlicher Dekadenzformgeschildert hatte: er fühlte sich krank in den Geburtswehen, die einemübermenschlichen Wesen galten, er fühlte sich als einen Untergehendenund Zerbrechenden zu Gunsten einer höchsten Neuschöpfung, welche dieWelt erlösen sollte:—»Dass der Schaffende selber das Kind sei, dasneu geboren werde, dazu muss er auch die Gebärerin sein wollen und derSchmerz der Gebärerin.« (Also sprach Zarathustra II 7.)

Zarathustra ist also das Kind, sowie gleichzeitig der Gott Nietzsches,sowohl die That oder Kunstschöpfung eines Einzelnen, als auch dieZusammenfassung dieses Einzelmenschen mit der ganzen Linie Mensch,mit dem Menschheitssinn selbst. Er ist »Geschöpf und Schöpfer«,der »Stärkere, Zukünftigere«, der die leidende menschlicheNietzsche-Erscheinung überragt,—er ist der »Ueber-Nietzsche«. Ausihm spricht deshalb auch nicht das Erleben und Verstehen einesEinzelnen, sondern das Menschheitsbewusstsein selbst von seinenfernsten Ursprüngen an,... daher seine Worte: »Ich gehöre nicht zuDenen, welche man nach ihrem Warum fragen darf. Ist denn mein Erlebenvon Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe meiner Meinungenerlebte. Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auchmeine Gründe bei mir haben wollte?« (Also sprach Zarathustra II 68.)

So entsteht ein wundersames Gedankenspiel, in dem Nietzsche und seinZarathustra unablässig in einander überzugehen und sich wiedervon einander zu lösen scheinen. Vollständig durchsichtig wird diesfür den, der weiss, in wie vielen kleinen, rein persönlichen ZügenNietzsche sich selbst in seinen Zarathustra hineingeheimnisst hat, undbis zu welch visionärer Verzückung sich ihm dieses ganze Mysteriumsteigerte. Hieraus erklärt sich auch das unerhörte Selbstbewusstsein,mit dem er von seinem Buche spricht, und das ihn einmal in die Worteausbrechen lässt: »ein Buch, so tief, so fremd, dass sechs Sätze darausverstanden, d. h. erlebt haben, in eine höhere Ordnung der Sterblichenerhebt!«

War seine Zarathustra-Dichtung für ihn das Werk, durch das aus einemMenschlichen ein Uebermenschliches herausgeboren wurde, so mag ersein unveröffentlichtes, nur im ersten Theile vollendetes Hauptwerk»Der Wille zur Macht« gewissermaassen als von der Zarathustra-Gestaltgeschaffen gedacht haben,—d. h. von einem Ewigen und Freien,dem allein eine »Umwerthung aller Werthe« gelingen kann, weil erausser jeder Zeit und jedes Einflusses dasteht, als ein schlechthinUnabhängiger, Alles in sich Begreifender und Umfassender. Nur so istNietzsches Behauptung in der »Götzen-Dämmerung« (IX 51) zu verstehen:»Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt,meinen Zarathustra: ich gebe ihr über kurzem das unabhängigste.—«Im ersten Falle soll das Uebermenschliche den Tiefen desNietzsche-Menschenthums entstiegen sein, im zweiten schwebt es bereitsfrei schaffend über demselben.

So mystisch-geheimnissvoll diese Zarathustra-Figur auch in ihrerWeltbedeutung gefasst ist, sö streng logisch schliesst sie sichdoch in ihrer Gestaltung an Nietzsches Ausführungen über dasWesen des Genialen, des Willensfreien und des Atavistischen, alsdes Zukunftbedingenden, an. Die Betrachtung dieser Theorien hatgezeigt, dass sie alle auf die mögliche Erschaffung eines Ueberwesenshinzielen; und es ist interessant zu verfolgen, wie früh schon sichin Nietzsche verwandte Gedanken geregt haben, die sich später,aus seiner ersten philosophischen Periode herübergenommen, durchseine positivistische Weltanschauung hindurchgearbeitet haben, umschliesslich in seiner letzten Philosophie zu neuem Leben erwecktzu werden. Das Genie der Ethik und Aesthetik umfasst bereits beiSchopenhauer Sinn und Wesensgrund der ganzen Welt und Menschheitund thutdies in einem jeden solchen Genius gleichwertig aufs neue,aber Sinn und Wesensgrund bedeuten bei diesem das hindurchleuchtendeewige Sein, das metaphysische Ding an sich, ganz losgelöst von derthatsächlichen Entwickelungsgeschichte von Welt und Menschheit.Nietzsche aber, der von diesen metaphysischen Vorstellungen absieht,braucht das Auftreten des Genius in einem einzigen, isolirtenUeberwesen, das eine Mehrzahl von seinesgleichen ausschliesst unddie thatsächlich gegebene Erscheinung von Welt und Menschheit insich begreift. In »Menschliches, Allzumenschliches« (II 185) sagter noch im Hinblick auf den Schopenhauerischen Gedanken, den er inpositivistischem Sinne modificirt: »Wenn Genialität, nach SchopenhauersBeobachtung, in der zusammenhängenden und lebendigen Erinnerung andas Selbst-Erlebte besteht, so möchte im Streben nach Erkenntniss desgesammten historischen Gewordenseins ... ein Streben nach Genialitätder Menschheit im Ganzen zu erkennen sein. Die vollendet gedachteHistorie wäre kosmisches Selbstbewusstsein.« Dazu stelle man auch dienachfolgenden Aeusserungen in der »fröhlichen Wissenschaft«, so (34)den Aphorismus Historia abscondita: »Jeder grosse Mensch hat einerückwirkende Kraft: alle Geschichte wird um seinetwillen wieder auf dieWage gestellt, und tausend Geheimnisse der Vergangenheit kriechen ausihren Schlupfwinkeln—hinein in seine Sonne.« Ferner (337): »... wer die Geschichte der Menschen insgesammt als eigene Geschichtezu fühlen weiss, der empfindet in einer ungeheuren Verallgemeinerungallen jenen Gram des Kranken, der an die Gesundheit, des Greises, deran den Jugendtraum denkt, des Liebenden, der der Geliebten beraubtwird, des Märtyrers, dem sein Ideal zu Grunde geht, des Helden am Abendder Schlacht, welche Nichts entschieden hat und doch ihm Wunden undden Verlust des Freundes brachte—; aber diese ungeheure Summe von?Gram aller Art tragen, tragen können und nun doch noch der Held sein,der beim Anbruch eines zweiten Schlachttages die Morgenröthe und seinGlück begrüsst, als der Mensch eines Horizontes von Jahrtausenden vorsich und hinter sich, als der Erbe aller Vornehmheit, alles vergangenenGeistes und der verpflichtete Erbe, als der Adeligste aller altenEdlen und zugleich der Erstling eines neuen Adels, dessen Gleichennoch keine Zeit sah und träumte: diess Alles auf seine Seele nehmen,Aeltestes, Neuestes, Verluste, Hoffnungen, Eroberungen, Siege derMenschheit: diess Alles endlich in Einer Seele haben und in Ein Gefühlzusammendrängen:—diess müsste doch ein Glück ergeben, das bisher derMensch noch nicht kannte,—eines Gottes Glück voller Macht und Liebe,voller Thränen und voll Lachens, ein Glück, welches, wie die Sonne amAbend, fortwährend aus seinem unerschöpflichen Reichthume wegschenktund in's Meer schüttet und, wie sie, sich erst dann am reichsten fühlt,wenn auch der ärmste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Diesesgöttliche Gefühl hiesse dann—Menschlichkeit!«

Aber die menschliche Genialität wird für Nietzsche in immer geringeremGrade durch das Erkennen oder das erworbene Nachempfinden deshistorisch Gewordenen ausgelöst, denn die Fülle des Gewordenen liegtim Menschen selbst bereit und kann durch tiefere Selbstversenkunghervorgeholt und zum Bewusstsein gebracht werden. Schon in»Menschliches, Allzumenschliches« (I 14) weist er auf die Eigenschaftdes Affektes, hin, rückwirkend Schlummerndes in uns zu wecken, dasvergangenen Zuständen angehört: »Alle stärkeren Stimmungen bringenein Miterklingen verwandter Empfindungen und Stimmungen mit sich; siewühlen gleichsam das Gedächtniss auf.« Aber nicht nur hinsichtlich derindividuellen Vergangenheit mit ihren Affekten, sondern gleichzeitigauch dessen, was sich an Gedanken und Empfindungen im Laufe derMenschheits-Entwicklung abgesetzt hat,—denn der Einzelne ist einErzeugniss derselben und enthält ihre verschiedenen Stufen nochfortdauernd in sich. Hierauf ist in der »fröhlichen Wissenschaft« (54)Bezug genommen, in dem Aphorismus »Das Bewusstsein vom Scheine«: »Wiewundervoll und neu und zugleich wie schauerlich und ironisch fühle ichmich mit meiner Erkenntniss zum gesammten Dasein gestellt! Ich habe fürmich entdeckt, dass die alte Mensch- und Thierheit, ja die gesammteUrzeit und Vergangenheit alles empfindenden Seins in mir fortdichtet,fortliebt, forthasst, fortschliesst,—ich bin plötzlich mitten indiesem Traume erwacht, aber nur zum Bewusstsein, dass ich eben träumeund dass ich weiterträumen muss, um nicht zu Grunde zu gehen: wieder Nachtwandler weiterträumen muss, um nicht hinabzustürzen. Wasist mir jetzt »Schein«! Wahrlich nicht der Gegensatz irgend einesWesens,—was weiss ich von irgend welchem Wesen auszusagen, als ebennur die Prädikate seines Scheines! Wahrlich nicht eine todte Maske,die man einem unbekannten aufsetzen und auch wohl abnehmen könnte!Schein ist für mich das Wirkende und Lebende selber, das soweit inseiner Selbstverspottung geht, mich fühlen zu lassen, dass hier Scheinund Irrlicht und Geistertanz und nichts Mehr ist,—dass unter allendiesen Träumenden auch ich, der »Erkennende«, meinen Tanz tanze, dassder Erkennende ein Mittel ist, den irdischen Tanz in die Länge zuziehen und insofern zu den Festordnern des Daseins gehört, und dass dieerhabene Consequenz und Verbundenheit aller Erkenntnisse vielleicht dashöchste Mittel ist und sein wird, die Allgemeinheit der Träumerei unddie Allverständlichkeit aller dieser Träumenden unter einander und ebendamit die Dauer des Traumes aufrecht zu erhalten

Hier hat Nietzsche schon die Wendung gemacht, die den Uebergang zuseiner späteren Mystik bildet. In dieser ist die Welt ihm zu einerFiktion des Erkennenden geworden, der, wenn er, wie aus nachtwandelndemTraume, zum Bewusstsein der Fiktion erwacht, sich wohl als Herr undSchöpfer fühlen kann, der den Sinn dieses Scheines, dieses Traumesgebieterisch bestimmt. Umgestaltet durch die mystische Vorstellung,dass das Erwachen aus dem Traume des Alllebens zugleich zu einerschöpferischen welterlösenden That wird, kehrt derselbe Gedankespäter in wundervoll dichterischer Einkleidung in dem Lied der »altenBrumm-Glocke« (Also sprach Zarathustra III 110 f.) wieder, die intiefer Mitternacht den beginnenden Tag des Erwachenden durch zwölfSchläge verkündet:

Eins!
Oh Mensch! gieb Acht!
Zwei!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
Drei!
»Ich schlief, ich schlief—,
Vier!
»Aus tiefem Traum bin ich erwacht:—
Fünf!
»Die Welt ist tief,
Sechs!
»Und tiefer als der Tag gedacht.
Sieben!
»Tief ist ihr Weh—,
Acht!
»Lust—tiefer noch als Herzeleid:
Neun!
»Weh spricht: Vergeh!
Zehn!
»Doch alle Lust will Ewigkeit—,
Elf!
»—will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Zwölf!

Die schliessliche Ausgestaltung dieser Vorstellungen enthält wiederumstarke Anklänge an Nietzsches Schopenhauerische Periode und andie indische Philosophie, jedoch immer mit der charakteristischenModifikation, dass das Endziel sowie der dahin führende Weg, anstatt imLebenserlöschen, in der Lebenssteigerung zu suchen sei. Aber wiesehr sich trotzdem diese beiden Gefühlsauffassungen des Daseinsproblemseinander nähern, ergiebt sich nicht zum wenigsten daraus, dass,nach neuerer Auffassung, selbst die indische Lebensabkehr, dieserextremste Ausdruck der weltverneinenden Philosophie, eigentlichnicht die Befreiung vom Leben anstrebt, sondern nur die Erlösungvom Immer-wieder-sterben-müssen infolge der Seelenwanderung. Es istschliesslich nichts als eine andere Form der Todesfurcht, die in denübrigen Religionen das Motiv des Unsterblichkeitsglaubens abgegebenhat;—es ist eine Furcht, deren Beschwichtigung ebenso wohl erreichtwerden kann durch ein Aufgehobensein in die Lebensewigkeit, bei vollerIdentificirung des Einzelnen mit der Kraft und Fülle des Lebensganzen,als auch durch ein Abstreifen und Verflüchtigen aller Lebenstriebe, mitdenen Tod, Erlöschen, Vergehen unabtrennbar verknüpft sind.[10]

Aber der Reiz, den für Nietzsche eine mystische Auslegung vonTraumzuständen und die Auffassung des Weltbewusstseins als einesTraumbewusstseins besass, hatte noch einen persönlichen Grund. In derThat handelte es sich dabei für ihn um mehr als nur um ein Gleichnissoder Analogon,—denn er war überzeugt, dass speciell in den Zuständendes Rausches und Traumes eine Fülle von Vergangenheit im Menschenzur Gegenwart wieder erweckt werden könne. Träume spielten stetseine grosse Rolle in seinem Leben und Denken, und in seinen letztenJahren entnahm er ihnen oft, wie einer Räthsellösung, den Inhaltseiner Lehre. In dieser Weise verwendet er zum Beispiel den in »Alsosprach Zarathustra« (II 80 ff.) erzählten Traum, den er im Herbst1882 in Leipzig gehabt hatte; er wurde nicht müde, ihn deutend mitsich herumzutragen. Eine geistreiche oder dem Gefühl des Träumendenglücklich angepasste Interpretation konnte ihn dann beglücken undförmlich erlösen. So erklärt es sich, dass er schon früh sich mitdiesem Gegenstände beschäftigt hat, aber indem er noch gewagteDeutungen abwies, wie er sie später bevorzugte. Er hat über ihn anverschiedenen Stellen von »Menschliches, Allzumenschliches« gesprochen.(Ivlan vergleiche beispielsweise den Aphorismus I 12 »Traum undKultur« und 113 »Logik der Traumes«.) Dort meint er noch, dassdie Verworrenheit und das Ungeordnete der Vorstellungen im Traume, derMangel an Klarheit und Logik und an richtigem Kausalzusammenhang, derim Schläfe unsere Art zu urtheilen und zu schliessen kennzeichne, andie Zustände der frühesten Menschheit erinnern, die, ebenso wie nochheute die Wilden, auch im Wachen so verfahren habe, wie wir jetztim Traume. In der »Morgenröthe« hingegen spricht er schon nicht mehrvon einer derartigen Analogie, sondern geradezu von der möglichenReproducirung eines Stückes Vergangenheit im Traume. Und in der»fröhlichen Wissenschaft« steigert sich ihm hier und da der Traumschon zu einem positiven Abbild des Lebens und der Weltvergangenheit imEinzelmenschen. Von hier war es nur noch ein Schritt zu einem drittenGedanken, der die beiden vorhergehenden zusammenfasste: den einen, dassim Traume die Vergangenheit reproducirt werde,—den anderen, dass dasWeltganze und die Lebensentwickelung philosophisch einer Traumfiktionzu vergleichen sei,—aus deren Verbindung sich dann ergab, dass derTraum, unter gewissen Umständen, die Wiederbelebung alles gewesenenLebens sei,—das Leben hinwiederum in seinem tiefsten Wesen ein Traum,dessen Sinn und Bedeutung wir, als Erwachende, zu bestimmen haben.Das Nämliche gilt von allen dem Traume verwandten Zuständen, vonallen, die tief genug hinabführen könnten in das Chaotische, Dunkle,Unergründliche des Lebens-Untergrundes,—nicht nur der gewesenenMenschheit, sondern noch unter diese hinab bis zu Dem, woraus auchsie erst geworden ist. Denn der friedliche Traum reicht hierfür nichtaus; es bedarf eines viel wirklicheren und selbst furchtbarerenErlebens: das Chaos aufwühlender Leidenschaften und orgiastischerDionysos-Zustände,... ja, der Wahnsinn selbst, als ein Zurücksinkenin die Unentwirrbarkeit aller Gefühle und Vorstellungen, erschienihm als der letzte Weg zu den in uns ruhenden Urtiefen vergangenerMenschheitsschichten.

Schon früh hatte er über die Bedeutung des Wahnsinns als einermöglichen Erkenntnissquelle gegrübelt, und über den Sinn, der daringelegen haben möge, dass die Alten ihn als ein Zeichen der Erwählungansahen. In der »fröhlichen Wissenschaft« sagt er in Bezug darauf:»Nur wer schreckt—führt«, und in der »Morgenröthe« (312) stehen diefolgenden, merkwürdigen Worte, die an seine spätere Vorstellung einesdie gesammte Menschheits-Vergangenheit verkörpernden Zukunftsgeniuserinnern: »In den Ausbrüchen der Leidenschaft und im Phantasirendes Traumes und des Irrsinns entdeckt der Mensch seine und derMenschheit Vorgeschichte wieder: ...; sein Gedächtniss greifteinmal weit genug rückwärts, während sein civilisirter Zustand sichaus dem Vergessen dieser Urerfahrungen, also aus dem Nachlassenjenes Gedächtnisses entwickelt. Wer als ein Vergesslicher höchsterGattung allem Diesen immerdar sehr fern geblieben ist, verstehtdie Menschen nicht.« Damals wünschte jedoch Nietzsche, selbst einsolcher »Vergesslicher« zu sein, da er die menschliche Grösse noch im»affektlosen Erkennenden« suchte und in dem, was »von der Vernunftgeboren« ist. Damals nannte er es noch eine grausige Verwirrungehemaliger Zeiten, dass ihnen von neuen grossen Erkenntnissen derWahnsinn so oft unabtrennbar erschienen sei: »... wenn—trotzdemneue und abweichende Gedanken, Werthschätzungen, Triebe immerwieder herausbrachen, so geschah diess unter einer schauderhaftenGeleitschaft: fast überall ist es der Wahnsinn, welcher dem neuenGedanken den Weg bahnt, welcher den Bann eines verehrten Brauchesund Aberglaubens bricht. Begreift ihr es, wesshalb es der Wahnsinnsein musste? Etwas in Stimme? und Gebärde so Grausenhaftes undUnberechenbares...? Etwas, das so sichtbar das Zeichen völligerUnfreiwilligkeit trug, ..., das den Wahnsinnigen dergestaltals Maske und Schallrohr einer Gottheit zu kennzeichnen schien?...Gehen wir noch einen Schritt weiter: allen jenen überlegenenMenschen, welche es unwiderstehlich dahin zog, das Joch irgendeiner Sittlichkeit zu brechen und neue Gesetze zu geben, blieb,wenn sie nicht wirklich wahnsinnig waren, Nichts übrig, als sichwahnsinnig zu machen oder zu stellen.... »Wie macht man sichwahnsinnig, wenn man es nicht ist...?« diesem entsetzlichenGedankengange haben fast alle bedeutenden Menschen der älterenCivilisation nachgehangen;... Wer wagt es, einen Blick in dieWildniss bitterster und überflüssigster Seelennöthe zu thun, inwelchen wahrscheinlich gerade die fruchtbarsten Menschen aller Zeitengeschmachtet haben! Jene Seufzer der Einsamen und Verstörten zu hören:»Ach, so gebt doch Wahnsinn, ihr Himmlischen! Wahnsinn, dass ichendlich an mich selber glaube! Gebt Delirien und Zuckungen, plötzlicheLichter und Finsternisse, schreckt mich mit Frost und Gluth, wie siekein Sterblicher noch empfand, mit Getöse und umgehenden Gestalten,lasst mich heulen und winseln und wie ein Thier kriechen: nur dass ichbei mir selber Glauben finde! Der Zweifel frisst mich auf, ich habedas Gesetz getödtet, das Gesetz ängstigt mich wie ein Leichnam einenLebendigen; wenn ich nicht mehr bin als das Gesetz, so bin ich derVerworfenste von Allen....« (Morgenröthe 14.)

Wie in der »Morgenröthe« so oft gerade Gedanken, die schon heimlichauf Nietzsche zu wirken begonnen hatten, erklärt oder widerlegtwerden, so zeigt auch diese Schilderung, in welcher Weise ihm späterRauschzustände als Beweise besonderer Erwählung galten. Er gingaus von der Trostlosigkeit und dem Grauenhaften alles Bestehenden,von einem Zerrbilde der Wirklichkeit, das aus einer Karikirung desPositivismus in ihm entstanden war, und wollte an dessen Stelleein Neues und Herrliches schaffen. Aber da dieses Geschaffeneganz ausschliesslich auf ihm beruhte, so stand und fiel es mitseiner eigenen Zuversicht,—an sich war es ja gar nicht vorhanden.Tausendfältig müssen daher die Zweifel, die ihn quälten, gewesensein, sobald die Stimmung auch nur auf einen Augenblick sank;unerbittlich das Verlangen, in dieser schwankenden, zweifelndenMenschlichkeit sich selbst von einem selbstsicheren, ewiggewissenWesen, Nietzsche za unterscheiden von Zarathustra. Mochte dann jenemauch das Schauerlichste als Loos im zeitlich gegebenen Selbstuntergangzufallen,—für diesen blieb es ein Zeichen der Erwählung und Erhöhung;mochte jener im Zustande des Schauerlich-Chaotischen selbst bis zuseiner Thierwerdung hinabsteigen müssen,—für diesen war es nur derAusdruck des Allumfassens, das auch das Niederste und Tiefste insich aufnimmt. In diesem Sinne heisst es in der »Götzen-Dämmerung«(13) vom Philosophen höchsten Ranges, dass er eine Art Verbindungvon Thier und Gott sei, und ein verwandter Gedanke liegt auch in demAusspruch über den Erkennenden als Schöpfer-Philosophen (Jenseitsvon Gut und Böse 101): »Heute möchte sich ein Erkennender leicht alsThierwerdung Gottes fühlen.« Ja, diese Maske des Niedersten könnte vorden Menschen die passendste Darstellungsform des Höchsten sein, dennin ihr beschämt er sie nicht und verbirgt auf wirksame Weise seinenGlanz: »Sollte nicht erst der Gegensatz die rechte Verkleidung sein,in der die Scham eines Gottes einhergienge?« (Jenseits von Gut undBöse 40). Hierin tritt uns der letzte Versuch des Sich-Verbergens beiNietzsche entgegen, ein letztes Mal sein Verlangen nach der Maske.Scheinbar soll sie den Gott in ein allzumenschliches Gewand hüllen,während ihr in Wahrheit das erschütternde Bedürfniss zu Grunde liegt,das furchtbare Schicksal, das Nietzsches Menschengeist drohte, insGöttliche umzudeuten, um es zu ertragen. In dem Aphorismus »Hier istdie Aussicht frei« (Götzen-Dämmerung IX 46) giebt er eine Andeutung,dass es Grösse der Seele sein könne, »dem Unwürdigsten« ohneFurcht entgegenzugehen: »Ein Weib, das liebt, opfert seine Ehre; einErkennender, welcher »liebt«, opfert vielleicht seine Menschlichkeit;ein Gott, welcher liebte, ward Jude ...«

So sehen wir die Selbstopferung und Selbstvergewaltigung, die gewollteQual der Zwiespältigkeit nicht nur gesteigert bis hinauf in dasGeistigste, sondern auch hineingetragen bis in das Persönlichste.Immer deutlicher spitzt sich der ganze Gedankengang zu in einerselbstvernichtenden That, durch welche, in persönlichem Handelnund Erdulden, die Erlösung vollendet wird. Liess es sich deutlichverfolgen, wie Nietzsches Innenleben sich in seiner Zukunftslehrein philosophischen Formen ausspricht, so sind wir hier an den Punktgelangt, wo seine Philosophie sich in ein allerpersönlichstes Erlebenzurückverwandelt,—entsprechend dem Wort: »ich trinke die Flammenin mich zurück, die aus mir brechen« (Also sprach Zarathustra II35). Und waren die Grundzüge seines Denkens nur Linien, die sich,anstatt zu einem abstrakten System, zu den ungeheuren Umrissen einerGottes-Gestalt, einer mystischen Selbst-Apotheose, zusammenschlcssen,so schlägt jetzt die Beseligung der Selbstvergöttlichung um in dierein menschliche Lebenstragödie. Zarathustras erlösende Weltthatist zugleich Nietzsches Untergang, Zarathustras göttliches Recht derLebensdeutung und der Umwerthung aller Werthe wird nur um den Preiserlangt, einzugehen in jenen Urgrund des Lebens, der sich in NietzschesMenschendasein darstellt als die dunkle Tiefe des Wahnsinns. »Weraber meiner Art ist«, sagt Zarathustra (III 2), »der entgeht einersolchen Stunde nicht: der Stunde, die zu ihm redet: »Jetzo erst gehstdu deinen Weg der Grösse! Gipfel und Abgrund—das ist jetzt in Einsbeschlossen!« Das Grauen Zarathustras vor diesem unergründlichenVersinken, vor diesem »Abgrunds-Gedanken«, ist daher zugleichNietzsches Grauen vor seinem persönlichen Schicksal; ununterscheidbarverschmilzt beides, in der Dichtung, die ja nichts ist als dieSchilderung des verklärten Nietzsche-Lebens, des Ueber-Nietzschethums.

»Also rief mir Alles in Zeichen zu: »es ist Zeit!« Aber ich—hörtenicht: bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke mich biss.Ach, abgründlicher Gedanke, der du mein Gedanke bist! Wann findeich die Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern? Biszur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! DeinSchweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender! Nochwagte ich niemals, dich herauf zü rufen: genug schon, dass ich dichmit mir—trug!« (Also sprach Zarathustra III 16). Dieser erschütterndenWorte muss man eingedenk sein, wenn man in Nietzsches Dichtung dieBeschreibung der »stillsten Stunde« liest, in der ihm das Leben selbstbefiehlt, seinen Gedanken zu erleben und zu verkünden,—das lachendeselbstselige Leben, welches über das Leid des Einzelnen hinweglacht,weil es in seiner eigenen Fülle Seligkeit ist:

»Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Bodenweicht und der Traum beginnt. Dieses sage ich euch zum Gleichniss.Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir der Boden: der Traum begann.Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem—, nie hörte ichsolche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak. Dann sprach esohne Stimme zu mir: »Du weisst es, Zarathustra?«—Und ich schrievor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich aus meinemGesichte:... Da geschahein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die Eingeweide zerrissund das Herz aufschlitzte!... Und wieder lachte es undfloh: dann wurde es stille um mich wie mit einer zwiefachen Stille. Ichaber lag am Boden, und der Schweiss floss mir von den Gliedern....« Also sprach Zarathustra II 97 ff.

Hieran schliesst sich (III 92 ff.) das Kapitel »Der Genesende«:

»Eines Morgens, ..., sprang Zarathustra von seinem Lager auf wieein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und gebärdete sich, als obnoch Einer[11] auf dem Lager läge, der nicht davon aufstehn wolle....Zarathustra aber redete diese Worte:

Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn undMorgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dichschon wach krähen!

Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hören!Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Gräber horchen lernen![12]

Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde aus deinen Augen! Höremich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch fürBlindgeborne.

Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht istdas meine Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sieheisse—weiterschlafen![13]

Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln—redensollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose!

Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecherdes Leidens, der Fürsprecher des Kreises—dich rufe ich, meinenabgründlichsten Gedanken!

Heil mir! Du kommst—ich höre dich! Mein Abgrund redet, meine letzteTiefe habe ich an's Licht gestülpt!

Heil mir! Heran! Gieb die Hand ... ha! lass! Haha!... Ekel, Ekel,Ekel ... wehe mir!«

Das Bild des Wahnsinns steht am Ende der Philosophie Nietzsches alseine grelle und furchtbare Illustration zu den erkenntnisstheoretischenAusführungen, von denen er in seiner Zukunftsphilosophie ausgeht. Dennden Ausgangspunkt bildete die Auflösung alles Intellektuellen durchdie Herrschaft des Chaotisch-Triebartigen, das jenem Grundlage undSinn ist,—die Folgerung aber der Erkenntnisstheorie Nietzsches läufthinaus auf den Untergang des Erkennenden zum Behufe der Erfassungeiner höchsten Lebensoffenbarung, auf das »mit Wahnsinn sollst dugeimpft werden« alles Verstandeserkennens. In ergreifender Weisemischen sich die Ahnung des ihm bevorstehenden persönlichen Schicksalsund die mystische Auffassung des Geisteslebens und seiner Bedeutungüberhaupt in den Worten Zarathustras (II 33): »Geist ist das Leben,das selber ins Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt es sich daseigne Wissen,—wusstet ihr das schon? Und des Geistes Glück ist diess:gesalbt zu sein und durch Thränen geweiht zum Opferthier,—wusstet ihrdas schon? Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappensoll noch von der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute,—wusstetihr das schon?«

So sollte der Wahnsinn noch zeugen von der Macht der Lebenswahrheit, anderen Glanz der Menschengeist erblindet. Denn kein Verstand führt indie Tiefe der Lebensfülle selbst hinein,—nicht hineinklettern lässt essich in diese Fülle, Stufe um Stufe, Gedanke um Gedanke: »Und wenn dirnunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf deineneigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts steigen?...Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaunund Hintergrund: so musst du schon über dich selber steigen,—hinan,hinauf, bis du auch deine Sterne noch unter dir hast!« (Also sprachZarathustra III 2 f.)

Hiermit scheint ein Ende erreicht und die Entwickelung des Ganzennothwendig abgeschlossen zu sein: der unersättliche leidenschaftlicheDrang, der diesen Geist trieb und steigerte, hat ihn zuletzt aufgezehrtund in sich zurückverschlungen. Für uns, die Draussenstehenden,umnachtet ihn von jetzt an völliges Dunkel, tritt er ein in eineWelt allerindividuellsten inneren Erlebens, vor der die Gedanken,die ihn begleiteten, Halt machen müssen: ein tief erschütterndesSchweigen breitet sich für uns darüber aus. Aber nicht nur könnenwir seinem Geiste in die letzte Verwandlung hinein nicht mehr folgen,welche er mit Darangabe seiner selbst erreicht, wir sollen ihm auchnicht folgen: darin eben ruht ihm der Beweis seiner Wahrheit, dievöllig eins geworden ist mit allen Geheimnissen und Verborgenheitenseiner Innerlichkeit. In seine letzte Einsamkeit hat er sich vor unszurückgezogen und die Pforte hinter sich geschlossen. An ihrem Eingangaber leuchten uns die Worte entgegen:—nun ist deine letzte Zufluchtworden, was bisher deine letzte Gefahr hiess! das muss nun deinbester Muth sein, dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt!... hiersoll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuss selber löschte hinter dir denWeg aus, und über ihm steht geschrieben: Unmöglichkeit.« (Also sprachZarathustra III 2.)

Und als einzige Kunde, dass auch noch hinter dieser Pforte eine unsunzugängliche Welt der Geisteswandlungen liegt, verhallt von innenher leise die Klage: »Ach, meinen härtesten Weg muss ich hinan! Ach,ich begann meine einsamste Wanderung!... Eben begann meine letzteEinsamkeit. Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, dieseschwangere nächtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euchmuss ich nun hinab steigen!... tiefer hinab in den Schmerz alsich jemals stieg, bis hinein in seine schwärzeste Fluth! So will esmein Schicksal: Wohlan! ich bin bereit.

Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich,dass sie aus dem Meere kommen. Diess Zeugniss ist in ihr Gesteingeschrieben und in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss dasHöchste zu seiner Höhe kommen.—« (III 2 ff.)

So sind Tiefe und Höhe, Abgrund des Wahnsinns und Gipfel desWahrheitssinns ineinander verschlungen: »Vor meinem höchsten Bergestehe ich : darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg«(III 3). Und so feiert die höchste Selbstvergöttlichung erst ihrenvollen mystischen Sieg in der tiefsten Vernichtung, im Erliegen undUntergang des Erkennenden. Von den beiden symbolischen Thieren, die umZarathustra sind, der Schlange der Erkenntniss und Klugheit und demAdler des aufstrebenden königlichen Stolzes, bleibt nur dieser ihmtreu: »Möchte ich klüger sein! Möchte ich klug von Grund aus sein,gleich meiner Schlange! Aber Unmögliches bitte ich da: so bitte ichdenn meinen Stolz, dass er immer mit meiner Klugheit gehe! Und wennmich einst meine Klugheit verlässt:... möge mein Stolz dann noch mitmeiner Thorheit fliegen!

—Also begann Zarathustra's Untergang.« (I 26.)

So entschwindet uns Nietzsches Geist in einem Geheimniss von Untergangund Erhebung: in einer von Adlern umflogenen Dunkelheit.

Es liegt hierin etwas Rührendes und Ergreifendes, wie in der Rückkehreines müden Kindes in seine ursprüngliche Glaubensheimat, in deres noch keines Verstandes bedurfte, um der höchsten Segnungen undOffenbarungen theilhaftig zu werden. Nachdem der Geist alle Kreisedurchlaufen und alle Möglichkeiten erschöpft hat, ohne Genüge zufinden, erkauft er sie sich endlich mit dem höchsten Opfer, derOpferung seiner selbst. Wir werden an jenes im zweiten Abschnitt(S. 49) erwähnte Wort Nietzsches erinnert: »wenn Alles durchlaufenist,—wohin läuft man alsdann? wie? müsste man nicht wieder beimGlauben anlangen? Vielleicht bei einem katholischen Glauben? In jedemFall könnte der Kreis wahrscheinlicher sein, als der Stillstand.«In der That beschreibt er in seiner Selbstwiederholung einen Kreis.Und es ist interessant, dass, in dem Maasse als er sich seinemursprünglichen Ausgangspunkt nähert, und der Verstand als solcherbedeutungslos erscheint gegenüber einem mystischen glaubenheischendenUeberwesen, seine Philosophie immer absolutere und reaktionärereZüge annimmt, indem er dem eigenen ehemaligen Individualismus dieWiederherstellung einer absolut geltenden Tradition entgegensetztund die Selbstvergottung in religiösen Absolutismus ausmünden lässt.Es ist deshalb so interessant, weil dieser Verlauf, trotz seinerpathologischen Voraussetzungen, psychologisch etwas geradezu Typischeshat: Wenn der religiöse Trieb, vom freien Denken genöthigt, sich strengindividuell auszuleben, sich zuletzt, wie bei Nietzsche, aus demeigenen Selbst etwas Göttliches erschafft, dann erzwingt er sich damitsofort wieder die absolutesten und reaktionärsten Machtbefugnisse, dieje einem objektiv gedachten Gotte zustanden,—bis er den Verstandselbst, dessen Erkenntnissdrang ihm ursprünglich die Richtung gab,absetzt und ihm jeden ferneren Einspruch abschneidet. Aus demMenschen soll der Gott erstehen, auch wenn der Mensch dies erst durcheine Rückkehr zu Kindheit und Unmündigkeit ermöglichen müsste. Erst indieser Zweitheilung, die er um jeden Preis in sich vollzieht, feiert erseine Erlösung und mystische Selbstvereinigung im Glauben:

»— — — — — — — — — — — — — — —
Um Mittag war's, da wurde Eins zu Zwei....

Nun feiern wir, vereinten Siegs gewiss,
Das Fest der Feste:
Freund Zarathustra kam, der Gast der Gäste!
Nun lacht die Welt, der grause Vorhang riss,
Die Hochzeit kam für Licht und Finsterniss....

wie es, am Schlüsse von »Jenseits von Gut und Böse«, in demwundervollen Nachgesang »Aus hohen Bergen« heisst.

Das persönliche Schicksal Nietzsches fügt sich, als Schlussstein,diesem ganzen Gedankengebäude derartig ein, dass man nicht an demEinflüsse zweifeln kann, den seine trüben Vorahnungen auf dieGestaltung seiner Zukunftsphilosophie gehabt haben. Mit gewaltigerHand hat er das, was ihn erwartete, hereingezwungen in den Plan desGanzen und dienstbar gemacht dem letzten Geheimsinn seiner Philosophie.Von hier aus hat er, rückwärts blickend, zum ersten Mal sein Lebenund Denken in dem Wechsel seiner Wandlungen als Ganzes überschaut unddem Werdegang seines Selbst nachträglich einen einheitlichen Sinn vonmystischer Bedeutung untergelegt,—gerade so wie der Schöpfer-Philosophdies in Bezug auf das Lebensganze der Menschheit thut. So ward er sichselbst zum deutenden Gott, der, wenn auch ein wenig gewaltsam, allevergangenen Dinge zum Besten, d. h. zum höchsten Endziel, wendet.»Das Vergangene zukunftdeutend« zu machen, ist jetzt sein Wahlspruch,also das gerade Gegentheil dessen, was er vordem, inmitten seinerWandlungen, angestrebt hatte, nämlich: das Vergangene immer wiederrasch abzustossen, um es möglichst vollkommen von einer immer neuenZukunft zu trennen.

Hierin ist auch schon der starke Einfluss seiner früheren Standpunkteauf die Gedanken seiner Zukunftsphilosophie begründet. Ehemals sah erden Beweis geistiger Unabhängigkeit in der Fähigkeit, sich stets wiedervon den ergriffenen Wahrheiten loslösen zu können, und es erschienihm daher unwesentlich, ob er im Ergreifen derselben sich an Andereangelehnt hatte. Jetzt fordert seine allumfassende Unabhängigkeit,dass in allen vergangenen und widerlegten Gedanken sein eigenes Selbstund dessen Sinn festgehalten werde,—aber deshalb dürfen sie nunmehrauch nur von diesem Selbst allein, nicht von Anderen, angeregt wordensein. Daher hat man Nietzsches letzten Werken gegenüber, in denener anscheinend am unabhängigsten ein eigenes System errichtet, sohäufig die Empfindung, als stehe er mit rückwärts gewendetem Blickund Antlitz da, als nähere er sich wieder den verlassenen Stättenseiner alten Wandlungen, während er sich doch in der Selbstständigkeitseiner ganz individuell gewonnenen Hypothesen am weitesten von ihnenentfernt. Die Lösung dieses Widerspruches liegt darin, dass erseinen früheren Ueberzeugungen nur dasjenige entnimmt, worin seinindividuelles Wesen, sein verborgenes Wollen zum Ausdruck kommt,dasjenige, was diesem leidenschaftlichen Geiste in allen, andernDenkern entnommenen Theorien im Grunde nur als unbewusster Vorwand, alsunwillkürliche Gelegenheitsursache für seine innere Entwickelung hattedienen müssen. Am Ende der Entwickelung angelangt, fasst er sich incler Einheitlichkeit seines ganzen Innenlebens zusammen, durchschautund überschaut er dasselbe und betont nun die allen Wandlungen zuGrunde liegende Einheitlichkeit ebenso nachdrücklich, wie er ehemalsausschliesslich seine Wandlungsfähigkeit betont hatte. Wie jemand, derim Begriff steht, eine Reise anzutreten, von der es eine Wiederkehrnicht mehr giebt, wie jemand, der Abschied nehmen will und dazu Allesum sich sammelt, was einst sein Eigen war, so sehen wir Nietzschejetzt das Seine zurücksammeln aus den verschiedenen Geistesphasen, dieer durchlaufen hat. Er unternimmt ein »Abschätzen des Erreichten undGewollten, eine Summirung des Lebens« (Götzen-Dämmerung IX 36), mitdem Bewusstsein: »Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim—meineigen Selbst, und was von ihm lange in der Fremde war und zerstreutunter alle Dinge und Zufälle.« (Also sprach Zarathustra III 1.)

Dies machte ihn ungerecht gegen seine ehemaligen Genossen und derenUeberzeugungen; er wollte vergessen, wie oft sie die Richtung seinesDenkens bestimmt hatten: »Man soll die Gerüste wegnehmen, wenn dasHaus gebaut ist« (Der Wanderer und sein Schatten 335). Das ist die»Moral für Häuserbauer«, so dachte er und ignorirte, dass es fürseinen Bau je der Gerüste bedurft hatte. Diese Ungerechtigkeit istalso jener früheren gerade entgegengesetzt, die dem leidenschaftlichenWechsel der Gedanken entsprang, der Energie, mit der er jedesmal dieabgelöste Gedankenhaut vernichtete. Jetzt will er nicht mehr daranglauben, dass eine ihm fremde Haut ihm je habe fest anwachsen können.Dem Positivismus gegenüber spricht sich diese Ungerechtigkeit ganzbesonders in der Vorrede seines Buches »Zur Genealogie der Moral« sowiean vereinzelten Stellen der übrigen Werke aus,—Wagner gegenüber inder kleinen Schrift »Der Fall Wagner«. Die letztere fordert zu eineminteressanten Vergleich auf zwischen der Art, wie Wagner in ihr, undwie er in »Menschliches, Allzumenschliches« bekämpft wird, zwischen demHass, mit dem er damals das Wagnerthum von sich schleuderte, und demHass, mit dem er jetzt sich ihm wieder nähert, um daraus sein geistigesEigenthum herauszuholen, ohne seine Selbständigkeit preiszugeben.

Zuletzt führte ihn sein Verlangen, schon von Anfang an als selbständigund einheitlich zu gelten, so weit, dass er, in der Vorrede (vomSeptember 1886) zu dem zweiten Bande der zweiten Auflage von»Menschliches, Allzumenschliches« (1), erklärte, alle seine früherenSchriften seien »zurückzudatiren«, sie redeten nur von dem,was er zur Zeit ihrer Entstehung bereits überwunden, was bereitshinter ihm gelegen; der Autor, der überlegen über ihnen gestanden,habe sich in einer absichtlichen Verkleidung gezeigt. So soll dievierte Unzeitgemässe Betrachtung »Richard Wagner in Bayreuth« in ihrerVerherrlichung Wagners nur »eine Huldigung und Dankbarkeit gegenein Stück Vergangenheit« gewesen sein, und auch die positivistischenSchriften sollen in ihrem Eingehen auf Rées Anschauungen nur dienachträgliche Darstellung eines bereits Ueberlebten geben. Auf diesenVersuch Nietzsches, den Sinn seiner Werke umzuprägen, sie gleichsammit einer neuen Jahreszahl zu überprägen, lässt sich sein eigenes Wortanwenden (Vorrede, vom Frühling 1886, zum ersten Bande der zweitenAuflage von »Menschliches, Allzumenschliches« 1): »Vielleicht, dassman mir in diesem Betrachte mancherlei »Kunst«, mancherlei feinereFalschmünzerei vorrücken könnte«. Es gehörte auch dies mit zu denvielen Maskirungen dieses Einsiedlers, dass er sich endlich eineMaske zuschrieb, die er nie getragen; aber begreiflich ist es undverzeihlich, meinte er doch auch hier in seinem Herzen mit jenerMaske nur sich selbst, d. h. den Menschen Nietzsche, im Gegensätzezu Zarathustra, als dem mystischen Ueber-Nietzsche. Der menschlicheNietzsche konnte ja dann freilich bei seiner jedesmaligen Wandlungnichts von seinem eigenen Maskencharakter wissen,—das vermochte nurder Ueber-Nietzsche, den Nietzsche hinterher von Anbeginn in sichgeahnt und empfunden haben wollte. Somit wäre der Ueber-Nietzschenichts als eine mystische Interpretirung des innersten Wesens undVerlangens Nietzsches, jenes verborgenen »Grundwillens«, der,wie wir sahen, ihm selbst völlig unbewusst, die Theorien Andererzurechtschnitt, um sich in ihnen schliesslich mit voller Kraft selberdurchzusetzen.

Im Herbst 1888, nach Vollendung des ersten Buches der »Umwerthungaller Werthe« (»des Willens zur Macht«), das noch nicht veröffentlichtworden ist, glaubte Nietzsche sein Werk, wenigstens vorläufig,abgeschlossen zu haben. Denn die »Götzen-Dämmerung«, deren Vorredevom 30. September 1888 datirt ist, ist augenscheinlich aus einerStimmung des Fertiggewordenseins und des Wartens auf das Letzteheraus geschrieben worden. In bezeichnenderweise lautete ihr ersterTitel »Müssiggang eines Psychologen«, und in dem Vorwort nennt er siegeradezu »eine Erholung«. Sie ist indessen ein überaus interessanterMüssiggang, weil sie eines von denjenigen Büchern Nietzsches ist,in denen er sich am öftesten selber verräth und aus dem Geheimenseiner Seele plaudert. In dieser Beziehung ähnelt sie, obschonstofflich viel unbedeutender, dem »Menschlichen, Allzumenschlichen«und der »Morgenröthe«. Legt Nietzsche in dem ersten dieser beidenWerke etwas von seinem Innenleben bloss durch die Art, wie er sichmit einer plötzlichen, aber endgiltig vollzogenen Wandlung seelischabfindet,—und lässt er uns in dem zweiten dadurch einen Blick in seinInneres thun, dass er neu auftauchende Wünsche und Gedanken analysirtund bekämpft, bevor er sich von ihnen in seine neue Philosophiefortreissen lässt, so wird in der »Götzen-Dämmerung« ein völligverschiedener Gemüthszustand zum Verräther an ihm: der nachzitterndeAffekt eines ungeheuren Vollbringens, eine Erschöpfung, in die sich dieErwartung des Kommenden mischt.[14] In dieser Erschütterung sehen wirihn aus der »Götzen-Dämmerung« gleichsam in die eigene Geistesdämmerunghinübergleiten.

Dieselbe Stimmung kennzeichnet auch den bereits im Jahre 1885entstandenen vierten und letzten Theil der Zarathustra-Dichtung,der aber erst 1891 allgemein zugänglich gemacht worden ist. Ausseinen Seiten klingt das Lachen des Uebermenschen, doch hier undda schon schrill und in unheimlichen Dissonanzen. Diese letztenReden Zarathustras sind, rein persönlich betrachtet, vielleichtdas Ergreifendste, das Nietzsche geschrieben, weil sie ihn als denUntergehenden zeigen, der seinen Untergang hinter einem Lachenverbirgt. Durch diesen Ausgang erst wird uns in seiner ganzenGrossartigkeit der unversöhnliche Widerspruch klar, der darin lag,dass Nietzsche seine Zukunftsphilosophie mit einer »fröhlichenWissenschaft« einleitete, dass er sie eine frohe Botschaft nannte,dazu bestimmt, das Leben in seiner ganzen Kraft, Fülle und Ewigkeitfür immer zu rechtfertigen,—und dass er als ihren höchsten Gedankendie ewige Wiederkunft des Lebens aufstellte. Erst jetzt erkennenwir völlig den sieghaften Optimismus, der über seinen letzten Werkenruht, wie das rührende Lächeln eines Kindes, der aber als Kehrseitedas Antlitz eines Helden zeigt, der seine von Grauen entstelltenZüge verhüllt. »Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagennicht ein Anklagen? Also redest du zu dir selber, und darum willstdu, oh meine Seele, lieber lächeln, als dein Leid ausschütten«, singtZarathustra (Also sprach Zarathustra III 104), und daher geht er einherals »der scharlachne Prinz jedes Übermuths« (Dionysos-Dithyramben 7).Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setztemir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter.« (Alsosprach Zarathustra IV 87.)

Das Grosse ist: er wusste, dass er unterging, und doch schieder—lachenden Mundes, »rosenumkränzt«—das Leben entschuldigend,rechtfertigend, verklärend—. In dionysischen Dithyramben klang seinGeistesleben aus, und was sie in ihrem Jubel übertönen sollten, war einSchmerzensschrei. Sie sind die letzte Vergewaltigung Nietzsches durchZarathustra.

Nietzsche hat einmal das paradoxe Wort ausgesprochen: »Lachen heisst:schadenfroh sein, aber mit gutem Gewissen« (Fröhliche Wissenschaft200). Eine solche überlegene Schadenfreude, die des eigenen Schadensfroh zu werden, ja, ihn sich selbst zuzufügen imstande ist, geht alsein heroischer Selbstwiderspruch und ein heroisches Lachen durchNietzsches ganzes Leben und Leiden. In der gewaltigen Seelenkraft aber,durch die er sich so hoch über sich selbst zu stellen vermochte, lag,psychologisch betrachtet, für ihn eine innere Berechtigung, sich alsmystisches Doppelwesen anzusehen, und liegt für uns der tiefste Sinnund Werth seiner Werke.

Denn auch uns tönt ein erschütternder Doppelklang aus seinem Lachenentgegen: das Gelächter eines Irrenden—und das Lächeln desUeberwinders.

[1] Vergl. hierzu die folgenden Aeusserungen Nietzsches in denWerken seiner vorhergehenden Periode:

»Zwischen den sorgsam erschlossenen Wahrheiten und solchen »geahnten«Dingen bleibt unüberbrückbar die Kluft, dass jene dem Intellekt, diesedem Bedürfniss verdankt werden.... man hat nur den innerenWunsch, dass es so sein möge,—also dass das Beseligende auch dasWahre sei. Dieser Wunsch verleitet uns, schlechte Gründe als guteeinzukaufen« (Menschliches, Allzumenschliches I 131). Sich davonverleiten lassen oder nicht,—das bestimmte damals für ihn geradezudie Rangordnung der Menschen. »Was ist mir ... Feinheit und Genie,wenn der Mensch ... schlaffe Gefühle im Glauben und Urtheilen beisich duldet, wenn das Verlangen nach Gewissheit ihm nicht als dieinnerste Begierde und tiefste Noth gilt,—als Das, was die höherenMenschen von den niederen scheidet!« (Die Fröhliche Wissenschaft2). Und in der Morgenröthe (497) rühmt er noch als Kennzeichen derwahren Grösse des Denkers, im Gegensatz zu der temperamentvollenGenialität, »das reine, reinmachende Auge, das nicht aus ihremTemperament und Charakter gewachsen scheint,« sondern unbeeinflusstvon diesen die Dinge widerspiegelt. »Hätte es nicht allezeit eineUeberzahl von Menschen gegeben, welche die Zucht ihres Kopfes—ihre»Vernünftigkeit«—als ihren Stolz, ihre Verpflichtung, ihre Tugendfühlten, welche durch alles Phantasiren und Ausschweifen des Denkensbeleidigt oder beschämt wurden,...: so wäre die Menschheit längstzu Grunde gegangen! Ueber ihr schwebte und schwebt fortwährend alsihre grösste Gefahr der ausbrechende Irrsinn—das heisst eben dasAusbrechen des Beliebens im Empfinden, Sehen und Hören, der Genuss inder Zuchtlosigkeit des Kopfes, die Freude am Menschen-Unverstande.Nicht die Wahrheit und Gewissheit ist der Gegensatz der Welt desIrrsinnigen, sondern die Allgemeinheit und Allverbindlichkeit einesGlaubens, kurz das Nicht-Beliebige im Urtheilen. Und die grössteArbeit der Menschen bisher war die, über sehr viele Dinge mit einanderübereinzustimmen und sich ein Gesetz der Uebereinstimmung aufzulegen....schon das langsame Tempo, welches er (der Allerweltsglaube) ... verlangt,... macht Künstler und Dichter zuUeberläufern:—diese ungeduldigen Geister sind es, in denen eineförmliche Lust am Irrsinn ausbricht, weil der Irrsinn ein so fröhlichesTempo hat!« (Die Fröhliche Wissenschaft 76). Und man meint, er richtesich gegen sein eigenes späteres Selbst, wenn er den Künstlern undFrauen jene Unwissenschaftlichkeit des Geistes vorwirft, die sichvon allen Hypothesen fanatisiren lasse, welche »den Eindruck desGeistreichen, Hinreissenden, Belebenden, Kräftigenden machen.« Gleichihnen wollen die Meisten »stark fortgerissen werden, um dadurch selbereinen Kraftzuwachs zu erlangen«, nur wenige »haben jenes sachlicheInteresse, das von persönlichen Vortheilen, auch von dem des erwähntenKraftzuwachses absieht. Auf jene bei Weitem überwiegende Classe wirdüberall dort gerechnet, wo der Denker sich als Genie benimmt undbezeichnet, also wüe ein höheres Wesen dreinschaut, welchem Autoritätzukommt. Insofern das Genie jener Art die Glut der Ueberzeugungenunterhält und Misstrauen gegen den vorsichtigen und bescheidenen Sinnder Wissenschaft weckt, ist es ein Feind der Wahrheit,—wenn es sichauch noch so sehr für deren Freier halten sollte.« (Menschliches,Allzumenschliches I 635.)

[2] Vergleiche dagegen in Menschliches, Allzumenschliches I147 Nietzsches Protest gegen »die Kunst als Todtenbeschwörerin«,weil sie die Gegenwart durch die Vorstellungskreise des Vergangenenbeeinflussen will. »Sie flicht, ..., ein Band um verschiedeneZeitalter und macht deren Geister wiederkehren. Zwar ist es nur einScheinleben wie über Gräbern, welches hierdurch entsteht,« dochwirkt dasselbe schädlich und rückbildend. Die »Todtenerwecker« und»Todtenbeschwörer« dieser Art betrachtete Nietzsche als »eitleMenschen«, denn sie »schätzen ein Stück Vergangenheit von demAugenblick an höher, von dem an sie es nachzuempfinden vermögen«.(Morgenröthe I 59.) Wir müssen, so meinte er, dem Gefühlsüberschwangmöglichst entgegenwirken, der uns in verschiedenster Art von allervergangenen Kultur allmählich überkommen ist; sich darin gehen lassen,käme einer Annäherung an Wahnsinn und Krankheit gleich: »... dieganze Last unsrer Kultur ist so gross geworden, dass eine Ueberreizungder Nerven- und Denkkräfte die allgemeine Gefahr ist, ja dass diekultivirten Klassen der europäischen Länder durchweg neurotisch sindund fast jede ihrer grösseren Familien in einem Gliede dem Irrsinnnahe gerückt ist.... dennoch macht sich eine Verminderung jenerSpannung des Gefühls, jener niederdrückenden Kultur-Last nöthig,...wir müssen den Geist der Wissenschaft beschwören, welcherkälter und skeptischer macht....« (Menschliches,Allzumenschliches I 244.) »Wird dieser Forderung der höheren Kulturnicht genügt, so ist fast mit Sicherheit vorherzusagen, welchen Verlaufdiemenschliche Entwicklung nehmen wird: das Interesse am Wahrenhörtauf, je weniger es Lust gewährt; die Illusion, der Irrthum, diePhantastik erkämpfen sich ... ihren ehemals behaupteten Boden: derRuin der Wissenschaften, das Zurücksinken in Barbarei ist die nächsteFolge.« (I 251.)

[3] Siehe z. B. in »Der Wanderer und sein Schatten«. »Diedemokratischen Einrichtungen sind Quarantäne-Anstalten gegen die altePest tyrannenhafter Gelüste. (289.)—Unmöglichkeit fürderhin, dass dieFruchtfelder der Kultur wieder über Nacht von wilden und sinnlosenBergwässern zerstört werden! Steindämme und Schutzmauern gegenBarbaren, gegen Seuchen, gegen leibliche und geistige Verknechtung!«(275). Ferner in Menschliches, Allzumenschliches: »... die wildestenKräfte brechen Bahn,... damit später eine mildere Gesittung hierihr Haus aufschlage. Die schrecklichen Energien—Das, was man das Bösenennt—sind die cyklopischen Architekten und Wegebauer der Humanität(I246),« bis »die guten, nützlichen Triebe, die Gewohnheiten des edlerenGemüthes so sicher und allgemein geworden, dass es ... keinerHärten und Gewaltsamkeiten als mächtigster Bindemittel zwischenMensch und Mensch, Volk und Volk« bedarf. (I 245.) Gerade wie späterist für Nietzsche der gewaltthätige Mensch ein Zurückgebliebener undAtavist, aber eben darum ein auszurottender Rest, kein Führer in dieZukunft. »Der unangenehme Charakter, der..., gegen abweichendeMeinungen gewaltthätig und aufbrausend ist, zeigt an, dass er einerfrüheren Stufe der Kultur zugehört, also ein Ueberbleibsel ist: denndie Art, in welcher er mit den Menschen verkehrt, war die rechte undzutreffende für die Zustände eines Faustrecht-Zeitalters; er ist einzurückgebliebener Mensch. Ein anderer Charakter, welcher reich anMitfreude ist, überall Freunde gewinnt, alles Wachsende und Werdendeliebevoll empfindet,—kein Vorrecht, das Wahre allein zu erkennen,beansprucht, sondern voll eines bescheidenen Misstrauens ist,—das istein vorwegnehmender Mensch, welcher einer höheren Kultur der Menschenentgegenstrebt. Der unangenehme Charakter stammt aus den Zeiten, wo dierohen Fundamente des menschlichen Verkehrs erst zu bauen waren; derandere lebt auf deren höchsten Stockwerken, möglichst entfernt vondem wilden Thier, welches in den Kellern, unter den Fundamenten derKultur, eingeschlossen wüthet und heult.« (I 614.)

[4] So sagt er in Menschliches, Allzumenschliches (I 237):»Die italienische Renaissance barg in sich alle die positivenGewalten, welchen man die moderne Kultur verdankt: also Befreiungdes Gedankens, Missachtung der Autoritäten. Sieg der Bildung über denDünkel der Abkunft, Begeisterung für die Wissenschaft

Ebenso entgegengesetzt war seine Auffassung von Napoleons Genie undThatendrang, wie eine Stelle desselben Werkes zeigt (I 164): »...Es ist jedenfalls ein gefährliches Anzeichen, wenn den Menschenjener Schauder vor sich selbst überfällt, sei es nun jener berühmteCäsaren-Schauder oder der ... Genie Schauder;... so dass er zuschwanken und sich für etwas Uebermenschliches zu halten beginnt....In einzelnen seltenen Fällen mag dieses Stück Wahnsinnwohl auch das Mittel gewesen sein, durch welches eine solche nachallen Seiten hin excessive Natur fest zusammengehalten wurde: auchim Leben der Individuen haben die Wahnvorstellungen häufig den Werthvon Heilmitteln, welche an sich Gifte sind; doch zeigt sich endlich,bei jedem »Genie«, das an seine Göttlichkeit glaubt, das Gift in demGrade, als das »Genie« alt wird: man möge sich zum Beispiel Napoleon'serinnern, dessen Wesensicherlich gerade durch seinen Glauben an sichund seinen Stern und durch die aus ihm fliessende Verachtung derMenschen zu der mächtigen Einheit zusammenwuchs, welche ihn aus allenmodernen Menschen heraushebt, bis endlich aber dieser selbe Glaube ineinen fast wahnsinnigen Fatalismus übergieng, ihn seines Schnell- undScharfblickes beraubte und die Ursache seines Unterganges wurde.«

In der Morgenröthe (549) führt er den rücksichtslosen Egoismus desThatendranges in Napoleon auf dessen epileptische Krankheitsdispositionzurück, anstatt, wie später, auf die ausbrechende »Uebergesundheit«dessen, der alle Gewaltinstinkte einer vergangenen Kultur im Leibe hat.

[5] Gegenüber Nietzsches späterer Verachtung des jüdischenCharakters lese man in der Morgenröthe (205) seinen Aphorismus»Vom Volke Israel«: »... Wohin soll auch diese Fülle angesammeltergrosser Eindrücke, ..., diese Fülle von Leidenschaften, Tugenden,Entschlüssen, Entsagungen, Kämpfen, Siegen aller Art,—wohin sollsie sich ausströmen, wenn nicht zuletzt in grosse geistige Menschenund Werkel Dann, wenn die Juden auf solche Edelsteine und goldeneGefässe als ihr Werk hinzuweisen haben, wie sie die europäischenVölker kürzerer und weniger tiefer Erfahrung nicht hervorzubringenvermögen—,... dann wird jener siebente Tag wieder einmal dasein, an dem der alte Judengott sich..., seiner Schöpfung undseines auserwählten Volkes freuen darf,—und wir Alle, Alle wollenuns mit ihm freun!«

[6] Für diesen Zustand einer freien Auslebung derIndividualität hat Nietzsche in seiner Zarathustra-Dichtung, die mandas Hohe Lied modernen Individualismus nennen könnte, die schönstenWorte gefunden. Als besonders charakteristisch können die nachfolgendenAussprüche gelten:

»Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euchNothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefesRauschen und eines neuen Quelles Stimme!... Bleibt mir derErde treu, meine Brüder, mit der Macht eurer Tugend!... Lasst sienicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen ewige Wändeschlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend!

Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück—ja,zurück zu Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einenMenschen-Sinn!...

Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausendGesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft undunentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde.« (I 109 f.)

... »Willst du den Weg zu dir selber suchen?...

... So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu!...

Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören undnicht, dass du einem Joche entronnen bist....

Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Augekünden: frei wozu?

Kannst du dir selber dein Böses und dein Gutes geben und deinen Willenüber dich aufhängen wie ein Gesetz?...« (I 87 f.)

»... Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kindeist: das sei mir euer Wort von Tugend!« (II 21.)

»Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend.« (II 18.)

»—von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse Liebezu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fandich's.« (III 14.)

»Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, sohast du sie mit Niemandem gemeinsam. So sprich und stammle:«....

Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eineMenschen-Satzung und Nothdurft:...

Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herzeich ihn,—nun sitzt er bei mir auf seinen goldnen Eiern.«—

Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie böse. Aber jetzt hastdu nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften.

Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften ans Herz: da wurdensie deine Tugenden und Freudenschaften.

Und ob du aus dem Geschlechte der Jähzornigen wärest oder aus dem derWollüstigen oder der Glaubens-Wüthigen oder der Rachsüchtigen:

Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deineTeufel zu Engeln.« (I 45 f.)

[7] Musik nach Schopenhauer gefasst als das tönende Abbild desDinges an sich.

[8] Ein verwandter Gedanke klingt in der »fröhlichenWissenschaft« (84) an, wenn Nietzsche die Wirkung der orgiastischenCulte darin sieht, dass die Menschen besänftigt und von ihrenLeidenschaften befreit wurden, indem »man den Taumel und dieAusgelassenheit ihrer Affekte aufs Höchste trieb, also den Rasendentoll, den Rachsüchtigen rachetrunken machte:—alle orgiastischen Cultewollen die ferocia einer Gottheit auf Ein Mal entladen und zur Orgiemachen, damit sie hinterher sich freier und ruhiger fühle«.

[9] Im Zusammenhänge dieser Gedanken lese man die Schilderungder ewigen Wiederkunft in Also sprach Zarathustra (III 9 ff.) »VomGesicht und Räthsel«.

»Siehe diesen Thorweg!...: der hat zwei Gesichter. Zwei Wegekommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu Ende.

Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange Gassehinaus—das ist eine andre Ewigkeit.

Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor denKopf:—und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen.Der Name des Thorwegs steht oben geschrieben: »Augenblick.«

Aber wer Einen von ihnen weiter gienge—und immer weiter und immerferner: glaubst du,—dass diese Wege sich ewig widersprechen?«...

Muss nicht, was laufen kann von allen Dingen, schon einmal diese Gassegelaufen sein? Muss nicht, was geschehn kann vonallen Dingen, schoneinmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein?

Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du—von diesemAugenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon—dagewesen sein?

Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieserAugenblick alle kommenden Dinge nach sich zieht? Also—sich selbernoch?

Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch in dieser langen Gassehinausmuss es einmal noch laufen!—

Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieserMondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammenflüsternd, vonewigen Dingen flüsternd—müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein?

—und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns,in dieser langen schaurigen Gasse—müssen wir nicht ewig wiederkommen?—

Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meineneignen Gedanken und Hintergedanken....

Hieran schliesst die Erzählung vom heulenden Hunde, der für einenMenschen um Hilfe ruft. Dem Menschen, einem jungen Hirten, ist eineSchlange in den Schlund gekrochen und hat sich dort festgebissen.

»Meine Hand riss die Schlange und riss:—umsonst! sie riss die Schlangenicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: »Beiss zu! Beiss zu! DenKopf ab! Beiss zu!«—so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, meinEkel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit EinemSchrei aus mir....

—Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutemBisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange—: und sprang empor.—

Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch,—ein Verwandelter, einUmleuchteter, welcher lachte! Niemals noch auf Erden lachte je einMensch, wie ei lachte!

Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachenwar,... und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmerstille wird.«

Die Schlange der im Kreise verlaufenden ewigen Wiederkehr ist es, vonder Zarathustra den Menschen erlöst, indem er ihr den Kopf abbeisst:indem er das Sinnlose und Grauenhafte an ihr aufhebt und den Menschenzu ihrem Herrn macht—zum Verwandelten, Umleuchteten, lachendenUebermenschen:

»So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals schaute, so deutet mirdoch das Gesicht des Einsamsten!

Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn:—was sah ich damals imGleichnisse? Und wer ist, der einst noch kommen muss?«

Vgl. (III 96): »... wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch undmich würgte! Aber ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir.«

[10] Der Zufall wollte, dass eines der vermuthlich letztenwissenschaftlichen Werke, mit denen Nietzsche sich ganz eingehendbeschäftigt hat, dasjenige eines Schopenhauerianers strengsterObservanz über indische Philosophie war, und dieses ihn dem Ideenkreisseiner eigenen ehemaligen Weltanschauung noch einmal nahe brachte.Es ist das vortreffliche Buch von Paul Deussen »Das System desVedanta nach den Brahma-Sûtra's des Bâdarâyana und dem Commentaredes Çankara über dieselben.« (Leipzig, Brockhaus 1883), in dem derVerfasser seinen Gegenstand zwar objektiv darstellt und interpretirt,ihn aber zugleich von seinem eigenen Standpunkte aus beurtheilt. Es istunmöglich, in Nietzsches seit 1883 verfassten Schriften den Einflussdieses Büches zu verkennen, besonders hinsichtlich der Vergöttlichungdes Schöpfer-Philosophen und dessen Gleichsetzung mit dem höchsten,allesumfassenden Lebensprinzip, sowie hinsichtlich der Vorstellung,dass dieser das Nacheinander alles Gewordenen gewissermaassen in einemseelischen Nebeneinander in sich enthalte, in einer räumlichen anstatteiner zeitlichen Seelenwanderung. Manchmal ist man versucht, wenn mandie zerstreuten Ausführungen Nietzsches über einzelne Seelenzustände inihrer halb mystischen Bedeutung zusammenhält, »Atman« und »Brahman« zurErklärung an den Rand zu schreiben.

[11] Nietzsche—Zarathustra.

[12] Die Gräber des Vergangenen, alles Gewesenen.

[13] Im Gegensatz zum blossen Erforschen und gedanklichenErkennen des Vergangenen durch die Wissenschaft, die Nichts zu erlösenvermag.

[14] Unverhüllter noch spiegelt sich dieser Gemüthszustand inden um dieselbe Zeit (Herbst 1888) entstandenen und hinter dem viertenTheile von »Also sprach Zarathustra« gedruckten »Dionysos Dithyramben«.Besonders bezeichnend sind u. a. die nachfolgenden Verse (5 ff.):

Jetzt—einsam
mit dir,
zwiesam im eignen Wissen,
zwischen hundert Spiegeln
vor dir selber falsch,
zwischen hundert Erinnerungen
ungewiss,
an jeder Wunde müd,
an jedem Froste kalt,
in eignen Stricken gewürgt,
Selbstkenner!
Selbsthenker!

Ein Kranker nun,
der an Schlangengift krank ist;
ein Gefangner nun,
der das härteste Loos zog:
im eignen Schachte
gebückt arbeitend,
in dich selber eingehöhlt,
dich selber an grabend,
unbehülflich,
steif,
ein Leichnam—,
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
Lauernd,
kauernd,
Einer, der schon nicht mehr aufrecht steht!
Du verwächst mir noch mit deinem Grabe,
verwachsener Geist!...

Die Briefe von Manuscript

Erster Briefe

An Lou von Salome

[Leipzig, vermutlich 16. September 1882]

Meine liebe Lou, Ihr Gedanke einer Reduktion der philosophischenSysteme auf Personal-Akten ihrer Urheber ist recht ein Gedanke ausdem »Geschwistergehirn«: ich selber habe in Basel in diesem SinneGeschichte der alten Philosophie erzählt und sagte gern meinenZuhörern: »Dies System ist widerlegt und tot—aber die Person dahinterist unwiderlegbar, die Person ist gar nicht tot zu machen.«—ZumBeispiel Plato.

Ich lege heute einen Brief des Professor Jacob Burckhardt bei, den Sieja einmal kennenlernen wollten. Auch er hat etwas Unwiderlegbares inseiner Persönlichkeit; aber da er ein ganzer eigentlicher Historikerist (der Erste unter allen lebenden), so hat er gerade daran, an dieserewig ihm einverleibten Art und Person, kein Genügen, er möchte gar zugerne einmal aus andern Augen sehen, zum Beispiel, wie der seltsameBrief verrät, aus den meinigen. Übrigens glaubt er an einen baldigenund plötzlichen Tod, durch Schlagfluß, nach Art seiner Familie;vielleicht möchte er mich gerne als Nachfolger in seiner Professur?—Aber über mein Leben ist schon verfügt.—

Inzwischen hat der Prof. Riedel hier, der Präsident des deutschenMusik-Vereins, für meine »heroische Musik« (ich meine Ihr»Lebens-Gebet«) Feuer gefangen—er will es durchaus haben, und es istnicht unmöglich, daß er es für seinen herrlichen Chor (einen der erstenDeutschlands, »der Riedelsche Verein« genannt) zurecht macht. Daswäre so ein kleines Weglein, auf dem wir beide zusammen zur Nachweltgelangten—andre Wege vorbehalten.—

Was Ihre »Charakteristik meiner selber« betrifft, welche wahr ist,wie Sie schreiben: so fielen mir meine Verschen aus der »FröhlichenWissenschaft« ein—[II, 22] mit der Überschrift »Bitte«. ErratenSie, meine liebe Lou, um was ich bitte?—Aber Pilatus sagt: »Was istWahrheit!«—

Gestern nachmittag war ich glücklich; der Himmel war blau, die Luftmild und rein, ich war in Rosenthal, wohin mich Carmen-Musik lockte.Da saß ich drei Stunden, trank den zweiten Cognac dieses Jahres,zur Erinnerung an den ersten (ha! wie häßlich er schmeckte!) unddachte in aller Unschuld und Bosheit darüber nach, ob ich nichtirgendwelche Anlage zur Verrücktheit hätte. Ich sagte schließlich nein.Dann begann die Carmen-Musik, und ich ging für eine halbe Stunde unterin Tränen und Klopfen des Herzens.—Wenn Sie aber dies lesen, werdenSie schließlich sagen: ja! und eine Note zur »Charakteristik meinerselber« machen.—

Kommen Sie doch recht, recht bald nach Leipzig! Warum denn erst am 2.Oktober? Adieu,

Zweiter Briefe

An Lou von Salome: 16-07-1882.

Nun, meine liebe Freundin, bis jetzt steht Alles gut, und Sonnabendüber 8 Tage sehen wir uns wieder. Vielleicht ist mein letzter Brief anSie nicht in Ihre Hände gelangt? Ich schrieb ihn Sonntag vor 14 Tagen.

Was Bayreuth betriff, so bin ich zufrieden damit, nicht dort sein zumüssen; und doch, wenn ich ganz geisterhaft in Ihrer Nähe sein könnte,dies und jenes in Ihr Ohr raunend, so sollte mir sogar die Musik zumParsifal erträglich sein (sonst ist sie mir nicht erträglich.) Ichmöchte, daß Sie vorher noch meine kleine Schrift »Richard Wagner inBayreuth« lesen; Freund Ree besitzt sie wohl. Ich habe so viel inBezug auf diesen Mann und seine Kunst erlebt—es war eine ganze langePassion: ich finde kein anderes Wort dafür.

Die letzten geschriebenen Worte Wagner's an mich stehen in einemschönen Widmungs-Exemplare des Parsifal »Meinem theuren FreundeFriedrich Nietzsche. Richard Wagner, Ober-Kirchenrath. Genau zugleicher Zeit traf, von mir gesendet, bei ihm mein Buch »MenschlichesAllzumenschliches« ein—und damit war Alles klar, aber auch Alles zuEnde.

Ich habe viel an Sie gedacht und im Geiste so mancherlei desErhebenden, Rührenden und Heiteren mit Ihnen getheilt, daß ich wie mitmeiner verehrten Freundin verbunden gelebt habe. Wenn Sie wüßten, wieneu und fremdartig mir alten Einsiedler das vorkommt!—Wie oft habe ichüber mich lachen müssen! Was Bayreuth betrifft, so bin ich zufriedendamit, nicht dort sein zu müssen; und doch, wenn ich ganz geisterhaftin Ihrer Nähe sein könnte, dies und jenes in Ihr Ohr raunend, so solltemir sogar die Musik zum Parsifal erträglich sein (sonst ist sie mirnicht erträglich.)

Und wie glücklich bin ich, meine geliebte Freundin Lou, jetzt in Bezugauf uns Beide denken zu dürfen »Alles im Anfang und doch Alles klar!«Vertrauen Sie mir! Vertrauen wir uns! Mit den herzlichsten Wünschen fürIhre Reise Ihr Freund Nietzsche.

Dritter Briefe

Tautenburg bei Dornburg Thüringen.

3. Juli 1882

Meine liebe Freundin,

Nun ist der Himmel über mir hell! Gestern Mittags gieng es bei mirzu wie als ob Geburtstag wäre: Sie sandten Ihre Zusage, das schönsteGeschenk, das mir jetzt Jemand hätte machen können—meine Schwestersandte Kirschen, Teubner sandte die drei ersten Druckbogen der»fröhlichen Wissenschaft«; und zu alledem war gerade der allerletzteTheil des Manuscriptes fertig geworden und damit das Werk von 6Jahren (1876-1882), meine ganze »Freigeisterei«! Oh welche Jahre!Welche Qualen aller Art, welche Vereinsamungen und Lebens-Überdrüsse!Und gegen Alles das, gleichsam gegen Tod und Leben, habe ich mirdiese meine Arznei gebraut, diese meine Gedanken mit ihrem kleinenkleinen Streifen unbewölkten Himmels über sich:—oh liebe Freundin,so oft ich an das Alles denke, bin ich erschüttert und gerührt undweiß nicht, wie das doch hat gelingen können: Selbst-Mitleid und dasGefühl des Sieges erfüllen mich ganz. Denn es ist ein Sieg, und einvollständiger—denn sogar meine Gesundheit des Leibes ist wieder, ichweiß nicht woher, zum Vorschein gekommen, und Jedermann sagt mir, ichsähe jünger aus als je. Der Himmel behüte mich vor Thorheiten!—Abervon jetzt ab, wo Sie mich berathen werden, werde ich gut berathen seinund brauche mich nicht zu fürchten.—

Was den Winter betrifft, so habe ich ernstlich und ausschließlichan Wien gedacht: die Winterpläne meiner Schwester sind ganz unabhängigvon den meinigen, es giebt dabei keine Nebengedanken. Der SüdenEuropa's ist mir jetzt aus dem Sinn gerückt. Ich will nicht mehr einsamsein und wieder lernen, Mensch zu werden. Ah, an diesem Pensum habeich fast Alles noch zu lernen!—

Nehmen Sie meinen Dank, liebe Freundin! Es wird Alles gut, wie Sie esgesagt haben.

Unserem Rée das Herzlichste!

Ganz Ihr F.N.

End of the Project Gutenberg EBook of Friedrich Nietzsche in seinen Werken, by Lou Andreas-Salomé*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH NIETZSCHE IN ******** This file should be named 50525-h.htm or 50525-h.zip *****This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/0/5/2/50525/Produced by Marc D'Hooghe at http://www.freeliterature.orgUpdated editions will replace the previous one--the old editions willbe renamed.Creating the works from print editions not protected by U.S. copyrightlaw means that no one owns a United States copyright in these works,so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the UnitedStates without permission and without paying copyrightroyalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use partof this license, apply to copying and distributing ProjectGutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tmconcept and trademark. 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Itexists because of the efforts of hundreds of volunteers and donationsfrom people in all walks of life.Volunteers and financial support to provide volunteers with theassistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm'sgoals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection willremain freely available for generations to come. In 2001, the ProjectGutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secureand permanent future for Project Gutenberg-tm and futuregenerations. To learn more about the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation and how your efforts and donations can help, seeSections 3 and 4 and the Foundation information page atwww.gutenberg.orgSection 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive FoundationThe Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit501(c)(3) educational corporation organized under the laws of thestate of Mississippi and granted tax exempt status by the InternalRevenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identificationnumber is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation are tax deductible to the full extent permitted byU.S. federal laws and your state's laws.The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with themailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but itsvolunteers and employees are scattered throughout numerouslocations. Its business office is located at 809 North 1500 West, SaltLake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up todate contact information can be found at the Foundation's web site andofficial page at www.gutenberg.org/contactFor additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.orgSection 4. Information about Donations to the Project GutenbergLiterary Archive FoundationProject Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission ofincreasing the number of public domain and licensed works that can befreely distributed in machine readable form accessible by the widestarray of equipment including outdated equipment. Many small donations($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exemptstatus with the IRS.The Foundation is committed to complying with the laws regulatingcharities and charitable donations in all 50 states of the UnitedStates. Compliance requirements are not uniform and it takes aconsiderable effort, much paperwork and many fees to meet and keep upwith these requirements. We do not solicit donations in locationswhere we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the ProjectGutenberg-tm concept of a library of electronic works that could befreely shared with anyone. For forty years, he produced anddistributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network ofvolunteer support.Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printededitions, all of which are confirmed as not protected by copyright inthe U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do notnecessarily keep eBooks in compliance with any particular paperedition.Most people start at our Web site which has the main PG searchfacility: www.gutenberg.orgThis Web site includes information about Project Gutenberg-tm,including how to make donations to the Project Gutenberg LiteraryArchive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how tosubscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
The Project Gutenberg eBook of Friedrich Nietzsche in seinen Werken, by Lou Andreas-Salomé. (2024)
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Name: Corie Satterfield

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